Biologe Michael Succow über Moorschutz: „Moore müssen wachsen“

Deutschlands Moore sind gefährdet. Michael Succow und Lebrecht Jeschke haben in einem Bildband das Schicksal dieser Kulturlandschaft beschrieben.

Blick auf ein Moor in Morgenstimmung

Morgenstimmung im Moor Foto: Jürgen Reich

taz: Herr Succow, was ist für Sie das schönste Moor in Deutschland?

Michael Succow: Die Loisachmoore am Rande der Kalkalpen mit dem Pfrühlmoos und dem Murnauer Moos. Das sind die schönsten, wertvollsten, ungestörtesten Moore, die wir in Deutschland noch haben. Das Pfrühlmoos, ein Regenmoor, zeigt noch eine ungeheure Wüchsigkeit.

Ihr neues Buch über die Moore in Deutschland ist ein umfassender Überblick über den Wert und den Zustand der Moore.

Auf den Landflächen der Erde bedecken die noch wachsenden Moore eine Fläche von 3 bis 4 Prozent. In Deutschland waren es ursprünglich weit über 10 Prozent der Landfläche. Aktuell liegt die Gesamtmoorfläche Deutschlands bei etwa 1.280.000 Hektar, was nur noch 3,6 Prozent der Gesamtfläche entspricht. Davon sind nur noch etwa 50.000 Hektar, also circa 4 Prozent, wachsend und damit torfspeichernd. Alle anderen Moore sind entweder durch die Torfindustrie abgebaut oder für den Ackerbau entwässert. Im Westen wie im Osten Deutschlands wurden die Moore drei Jahrhunderte lang mit zunehmender Intensität entwässert, um daraus Grünland zu gewinnen und Ackerbau zu betreiben. Das war das Aus der großen Moorlandschaften Deutschlands.

1941 als Sohn eines Landwirts geboren. Succow studierte Biologie und arbeitete an der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR. 1990 wurde er stellvertretender Umweltminister. In diesem Amt gelang es ihm, 12 Prozent des DDR-Territoriums als Großschutzgebiete auszuweisen.

Auf welche Weise nützen Moore dem Klima?

Moore sind ganz besondere Ökosysteme. Die an permanente Nässe angepassten Moorpflanzen nehmen das CO2 aus der Luft auf, um ihr Kohlenstoffgerüst aufzubauen. Daraus wird dann im sauerstofffreien Wurzelbereich Torf. So sind Moore die effizienteste CO2-Senke auf den Landflächen unserer Erde. Sie bergen trotz ihres geringen Flächenanteils noch immer ein Drittel des terrestrischen Kohlenstoffs.

Sie sagen: „Moor muss nass sein“, aber der Grundwasserspiegel sinkt.

Durch unseren ständig steigenden Wasserverbrauch und den sich beschleunigenden Klimawandel ist in weiten Teilen der Erde nicht mehr genug Süßwasser vorhanden, um Moore wachsen zu lassen. Das Schlimmste ist aber, dass beim künstlichen Entwässern Sauerstoff in den Torfkörper dringt und sich der Torf in kurzer Zeit zersetzt. Der freiwerdende Kohlenstoff geht wieder als CO2 in den Himmel und belastet damit unser Klima.

Was ist sonst noch wichtig für die Ökologie der Moore?

Moore speisen sich aus der sie umgebenden Landschaft. Die hochspezialisierten Moorpflanzen benötigen Wasser, nährstoffarme Bedingungen und viel Sonnenlicht. Torfmoose leben vom Licht, sie brauchen offene Landschaften, ohne Konkurrenz durch Bäume, Gehölz oder hochwüchsige Pflanzen. Wenn aber viele Nährstoffe verfügbar sind, und das ist heute in unserer Kulturlandschaft die Regel, dann wachsen schnell Gehölze und Hochstaudenfluren mit hohem Eigenwasserbedarf auf. Torfbildende Pflanzen wie Moose und Kleinseggen haben keine Chance. Die Überernährung der Landschaft macht den Mooren das Leben schwer.

Schlechte Aussichten, denn der Druck der Agrarindustrie auf die Landschaft wächst. Oder sehen Sie das anders?

Das ist eines unserer großen Probleme. Niedersachsen hatte den höchsten Mooranteil, durch die Nordseenähe genug Wasser aus dem Niederschlag und in der Urlandschaft kaum Nährstoffe. So wuchsen die Moore bis zu 12 Meter hoch und bedeckten fast ein Drittel der Landschaft. Diese Moore wurden inzwischen weitestgehend abgebaut, zunächst als Brennstoff, später für gärtnerische Erden. Vor allem durch die industrielle Massentierhaltung und die agrarindustrielle Flächennutzung, aber auch die dichte Besiedlung und den Autoverkehr ist die Nährstofflast hier besonders hoch. Damit wird es immer schwerer, wieder wachsende Moosmoore mit ihrer von Nährstoffarmut geprägten Vegetation aufzubauen. Selbst wenn der Torfabbau eingestellt und die Abbauflächen wieder vernässt werden.

Inzwischen werden bundesweit millionenschwere Programme bereitgestellt, um Moore wieder zum Wachsen zu bringen. Ist das vielversprechend?

Ja, wenn es gelingt, die Grundwasserbildung in den Ackerlandschaften rund ums Moor wieder gesunden zu lassen. Ökologischer Landbau leistet hier gute Dienste. Wenn man Moore wieder revitalisieren will, müssen die sie umgebenden Mineralbodenstandorte Pufferzonen sein, um die Nährstofflast herauszufiltern.

Gibt es bereits Erfolge?

Ja, die gibt es. Darüber bin ich sehr glücklich. Die aktuelle Bundesregierung hat das „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ verabschiedet. Das Programm ist beispielhaft auch für Europa. Und das Stichwort „Natürlicher Klimaschutz“ macht klar, dass Moore für den Klimaschutz einen wichtigen Beitrag leisten. Und das heißt: Moore müssen wachsen.

Beeinflusst die Politik über diese einzelnen Programme hinaus die zukünftige Entwicklung der Moore?

Es ist wohltuend zu erleben, dass ökologische Leistungen, die die Natur „ohne uns für uns“ erbringt, inzwischen mehr in Wert gesetzt werden. Wir Steuerzahler sind zunehmend bereit, das mitzufinanzieren. Bisher wurde allein der Flächenbesitz honoriert. Da setzt ein Umdenken ein und ökologisch wirtschaftende Betriebe werden endlich für ihre Gemeinwohlleistungen belohnt. Dennoch wird immer noch die Landwirtschaft auf entwässerten Moorböden subventioniert. Bei den Förderprogrammen für ökologische Leistungen geht es nur um den Verzicht auf Mineraldünger und Pflanzenschutzmittel. Die Frage des Wasserhaushaltes bleibt unberücksichtigt. Die nasse Bewirtschaftung von Mooren wird noch nicht genügend gefördert.

Buchtipp: Michael Succow, Lebrecht Jeschke: Deutschlands Moore. Ihr Schicksal in unserer Kulturlandschaft., 2022, 544 Seiten, 69,-Euro

Es tut sich also was in der Subventionspolitik?

Ja, endlich! Der Landwirt, unter dessen Acker sich trinkfähiges Grundwasser in Menge und Güte bildet, muss dafür belohnt werden. Trinkbares Grundwasser ist ein Lebensmittel und ein immer knapper werdendes Gut. Wir müssen deshalb auf den ökologischen Landbau setzen. Also auf eine klimaneutrale, humusaufbauende Landwirtschaft ohne Gifte. Auch müssen wir eine naturnahe Waldbewirtschaftung zur Regel machen. Dabei spielt die Umwandlung der Nadelforste in Laubwälder eine wichtige Rolle. Denn unter Laubwäldern, die nur im Sommer Wasser verbrauchen, kann der Grundwasserkörper stabilisiert werden.

Welche Moore sind in Deutschland zukunftsfähig?

Es gibt zwei Regionen, die noch gute Potenziale für Moorbildung haben. Das ist zum einen der direkte Alpenrand, eine Jungmoränenlandschaft mit vielen Mooren und Seen, die durch hohe Niederschläge und besonders kalkreiches Wasser gespeist werden. Hier ist auch die Stickstoffbelastung vergleichsweise gering. Und zum anderen das nordostdeutsche Tiefland mit seinen Flusstalmooren, die meist auf Höhe des Ostseespiegels liegen. Dieser steigt seit Jahrtausenden leicht, zukünftig vielleicht noch stärker. Dadurch haben diese Moore eine Zukunft. Auch in Brandenburg gibt es in den Waldlandschaften Räume, wo noch Moore wachsen. Ein spezielles Waldmoorprogramm der Landesregierung hat viele der einst entwässerten Moore wieder zum Wachsen gebracht. Allein im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin sind es über hundert Moore. Das funktioniert vor allem bei den vielen kleinen Kesselmooren in Laubwäldern mit noch ausreichend Wasserzulauf gut.

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