Ausstellung über frühe NS-Lager: Das KZ lag nebenan

Frühe Konzentrationslager waren im NS-Staat wichtige Zwischenschritte zum systematischen Holocaust. Eine Hamburger Ausstellung zeigt, warum.

Torhaus am Eingang zum einstigen KZ Fuhlsbüttel

In der NS-Zeit kein Idyll: Eingang der JVA Fuhlsbüttel, wo ab 1933 auch ein KZ untergebracht war Foto: Angelika Warmuth/dpa

HAMBURG taz | Diese Diktatur fiel nicht vom Himmel. Sie brach auch nicht wie ein Gewitter über die ahnungslosen Deutschen herein. Das Volk hatte die NSDAP im März 1933 vielmehr mit 43,9 Prozent der Stimmen gewählt. Bewusst übergaben die konservativen Eliten Hitler vor 90 Jahren die Macht – in der Hoffnung, er werde tatkräftig die Weltwirtschaftskrise bannen. Tatkräftig und zügig etablierte die NSDAP dann vor aller Augen und unter Mitwirkung breiter Bevölkerungsschichten ihre Diktatur.

Eindrücklich und fokussiert schildert dies derzeit die Ausstellung „Auftakt des Terrors“ in Hamburg auf zehn Stellwänden mit reproduzierten Fotos, Dokumenten und Begleittexten. Konzipiert wurde die in mehreren Städten parallel eröffnete und danach tourende Schau von der „Arbeitsgemeinschaft Gedenkstätten an Orten früher Konzentrationslager“.

Im Fokus stehen die frühen Konzentrationslager des NS-Regimes, die ein wichtiger Zwischenschritt zum systematischen Holocaust in den ab 1937 errichteten großen Vernichtungslagern waren. Die frühen Lager – im Norden etwa Fuhlsbüttel, Ahrensbök und Esterwegen – entsprechen optisch nicht dem, was man gemeinhin mit KZs verbindet: Es waren keine riesigen Barackenlager mit Wachtürmen und Stacheldrahtzaum.

Die meisten ab 1933 eingerichteten, frühen Lager waren zunächst improvisiert, in leeren Fabrikgebäuden, Waisen- und Arbeitshäusern, in Kasernen und sogar einstigen Klöstern untergebracht. Auch lagen sie, anders als die späteren KZs, innerhalb der Städte oder am Stadtrand – was heißt, dass es bekannte, sehr öffentliche Orte waren.

Mitten im Wohngebiet

Das zeigt das Foto vom Appellplatz des Bremer KZ Mißler mit Häftlingen und SS-Wachmännern inmitten dichter Wohnbebauung. Die Anwohner müssen gehört und gesehen haben, was dort vorging. Auf einem andern Bild lesen Passanten in einem Münchner Schaufenster das Schild „Inhaber in Dachau“.

In der Umgebung kursierte der Spruch „Lieber Gott, mach mich stumm, dass ich nicht nach Dachau kumm.“ Die Leute wussten also, wofür der Name stand. Zudem sahen sie die Häftlinge täglich durch die Stadt zum Arbeitseinsatz gehen, wie Fotos aus einer Privatwohnung zeigen.

„Gebraucht“ wurden die frühen Lager nach den Massenverhaftungen durch SA und SS nach dem Reichstagsbrand vom Februar 1933. Deren Grundlage war die „Reichstagsbrandverordnung“, der zufolge Menschen ohne Gerichtsverfahren auf unbestimmte Zeit in „Schutzhaft“ genommen werden konnten.

Daraufhin verhafteten und misshandelten SA und SS etliche Regimegegner aus Arbeiterbewegung, KPD und SPD. Infolgedessen waren die regulären Gefängnisse bald voll, und man schuf Platz auch an Orten wie dem feuchten, württembergischen Fort Oberer Kuhmberg, um Menschen festzuhalten, zu foltern, oft auch zu ermorden.

Zu Tode geprügelt

Der 21-jährige Kommunist Alwin Esser etwa wurde im KZ Fuhlsbüttel von Wachleuten zu Tode geprügelt. Sein Neffe, der Hamburger Gedenk-Aktivist Bernhard Esser, hat zur Ausstellungseröffnung davon berichtet. Der regimetreue Gefängnisarzt habe den Mord damals als „Suizid“ deklariert, was eine häufige Praxis war.

Charakteristisch für die frühen KZs war zudem, dass es, anders als die späteren, keine per Lagerordnung festgelegten „Regeln“ für Strafen und Gewalt gegen Gefangene gab. Die Insassen waren also der Willkür der Wachmannschaften ausgeliefert.

Die wiederum bestanden anfangs aus SA-Leuten – brutalen Schlägern, die schon vor 1933 Saal- und Straßenschlachten sowie rücksichtslose Hausdurchsuchungen gegen Regimegegner initiiert hatten. Erkannten sie, nun zum Wärter avanciert, unter den KZ-Häftlingen einstige Gegner wieder, übten sie oft persönliche Rache.

„Auftakt des Terrors. Frühe Konzentrationslager im Nationalsozialismus“: Museum für Hamburgische Geschichte, täglich außer Di, 10–17 Uhr, Do bis 21 Uhr, So bis 18 Uhr; bis 28. 3.

In allen norddeutschen Bundesländern gab es früh Konzentrationslager.

Hamburg: KZ Fuhlsbüttel, im Gefängnisgebäude

Bremen: KZ Mißler in den ehemaligen Auswandererhallen im Stadtteil Findorff

Schleswig-Holstein: KZ Wittmooor auf dem Gelände einer Torfverwertung, KZ Ahrensbök auf einem Fabrikgelände, KZ Eutin im Gefängnis, KZ Kuhlen in einer Arbeitersiedlung und KZ Glückstadt im ehemaligen Landesfürsorgeheim

Heutiges Niedersachsen: KZ Moringen im Waisenhaus sowie die drei ersten Emslandlager, neu errichtet: KZ-Börgermoor, Gemeinde Surwold, KZ-Esterwegen und KZ-Neusustrum, Gemeinde Sustrum

Eine andere Methode, mit der das NS-Regime seine Macht zu festigen suchte, war die öffentliche Demütigung renommierter Politiker der Opposition. Fotos zeigen, wie sie im offenen Lastwagen durch die Stadt gefahren werden oder antifaschistische Parolen von einer Mauer waschen müssen. Und die gleichgeschaltete Presse berichtete hämisch, dass jüdische Politiker nun Gras schneiden müssten und „endlich arbeiten“ lernten.

Studiert man die Mimik der Täter, erfasst man, wie gezielt das Regime das öffentliche Anprangern nutzte, um einerseits Häme, andererseits Furcht der Zuschauenden zu wecken. Wenn man außerdem bedenkt, dass SA- und SS-Leute, oft aus Arbeitslosen rekrutiert, jetzt jüdische Bankdirektoren schikanieren durften, begreift man, wie stark sich das Regime auch den Sozialneid zunutze machte.

Wobei die frühen KZs – anders als die späteren, deren „Interna“ der Geheimhaltung unterlagen – auch in den Medien sehr präsent waren. In einer Lokalzeitung warben Oranienburger Kinos 1933 zum Beispiel für einen Propagandafilm mit Aufnahmen aus dem nahen Konzentrationslager. Andere Blätter druckten verharmlosende Reportagen über KZs, illustriert mit gestellten Fotos Sport treibender Häftlinge.

Kritisch blickte dagegen die Auslandspresse wie der britische Daily Herald auf die Entwicklung. Auch entkommene Häftlinge berichteten: Als Erster der KPD-Politiker Hans Beimler, dem nach einem Monat Haft die Flucht aus dem „Mörderlager Dachau“ gelang. Und der Hamburger Schriftsteller Willi Bredel veröffentlichte 1934 in London seinen Roman „Die Prüfung“.

Basierend auf seiner eigenen 14-monatigen Haft erzählt er von Misshandlungen, systematischer Folter, zermürbenden Haftbedingungen und Verhören im Hamburger „Kola Fu“: Sein Roman wurde in 17 Sprachen übersetzt und war bereits 1945 über eine Million mal verkauft.

Selbstbehauptung durch Gesang

Was den Inhaftierten blieb, war Selbstbehauptung – etwa in Form des (erfolgreichen) 5-Tage-Hungerstreiks im KZ Moringen für bessere Verpflegung. Instrument des Zusammenhalts war auch das auf einem Notenblatt präsentierte Lied von den Moorsoldaten, im KZ Börgermoor bei Papenburg gedichtet von Wolfgang Langhoff und Johann Esser, vertont von Widerstandskämpfer Rudi Goguel.

Auf der anderen Seite der Macht, zynisch und nah: das Fotoalbum, das der Lagerkommandant Karl Otto Koch 1937 von seinem Mitarbeitern zum Geburtstag geschenkt bekam. Wie auf Urlaubsfotos posiert er stolz vor verschiedenen KZs, seinen Karrierestationen.

Das Kapitel „Gedenken nach 45“ schließlich erinnert an die Kämpfe zwischen Überlebenden und Anwohnern beziehungsweise Lokalpolitik um würdige Gedenkorte. Einen Spot auf die schleppende Aufarbeitung wirft ein Artikel der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinem von 1983. Es handelt sich um den Bericht von einer öffentliche Sitzung, in der die Mitglieder des Moringer Stadtrats darüber abstimmten, ob es in der NS-Zeit in Moringen ein KZ gegeben habe. Aus heutiger Sicht bizarr.

Aber wenn man bedenkt, dass etwa in Hamburgs Isestraße im illustren Stadtteil Harvestehude einige bis heute keinen „Stolperstein“ für einst enteignete und verfolgte Jüdinnen und Juden vor ihrer Villa wollen, klingt es gar nicht so fern.

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