Pläne zur Wahlrechtsreform: Ampel spielt gefährliches Roulette

Klagen gegen die Abschaffung der Grundmandatsklausel könnten durchaus Erfolg haben. Vermutlich würden sie aber eher der CSU nutzen als der Linken.

Der Plenarsaal des Bundestages wird für die konstituierende Sitzung umgebaut

Hier steht ein Umbau an Foto: Kay Nietfeld

BERLIN taz | Die Ampel geht voll ins Risiko. Schon am Freitag soll der Bundestag das neue Wahlrecht beschließen. Bei Abstimmungen in den Fraktionen stimmten am Dienstagnachmittag die Abgeordneten von Grünen und FDP jeweils einstimmig und die der SPD mit überwältigender Mehrheit zu. Das teilten die Fraktionschefs Rolf Mützenich (SPD), Britta Haßelmann (Grüne) und Christian Dürr (FDP) im Anschluss an die Sitzungen mit. Sie bezeichneten die Reform, durch die der auf 736 Abgeordnete angewachsene Bundestag auf 630 Mandate verkleinert wird, als „fair und verfassungsgemäß“.

Linke und CSU haben bereits Verfassungsklagen angekündigt. Vor allem wegen der kurzfristig gestrichenen Grundmandatsklausel könnten Klagen beim Bundesverfassungsgericht Erfolg haben. Selbst der SPD-nahe Rechtsprofessor Franz Mayer spricht von „Wahlrechts-Roulette“.

Akzeptiertes Ziel der Reform ist die Verkleinerung des Bundestags. Umstritten sind aber die geplanten Mittel der Ampel. Damit keine Überhangmandate mehr entstehen, soll jede Partei nur noch so viele Sitze bekommen, wie ihrem Zweitstimmergebnis entspricht. Die Wahlkreissieger mit den niedrigsten Prozentanteilen gehen deshalb leer aus. Dagegen protestierten CDU/CSU schon seit Monaten. Es verstoße gegen das Demokratieprinzip, dass der Erststimmensieger im Wahlkreis kein Mandat erhalte. Überhangmandate haben bisher vor allem CDU/CSU und SPD erhalten. Deren Wegfall betrifft alle Parteien, weil es auch keine Ausgleichsmandate mehr gibt.

Erst seit wenigen Tagen ist bekannt, dass die Ampel auch die Grundmandatsklausel streichen will. Parteien, die die Fünfprozenthürde verfehlen, können trotzdem entsprechend ihrem Wahlergebnis in den Bundestag einziehen, wenn sie mindestens drei Direktmandate geholt haben.

Bartsch kündigte Verfassungsklage an

Davon profitiert derzeit die Linke, die mit 4,9 Prozent der Stimmen dank dreier Direktmandate doch mit 39 Abgeordneten im Bundestag vertreten ist. Fast wäre auch die CSU mit bundesweit 5,2 Prozent der Stimmen auf die Grundmandatsklausel angewiesen gewesen. Gegen den Wegfall dieser Klausel wettern daher vor allem Linke und CDU/CSU. Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch sprach von einem „brutalen Angriff auf die Linke“. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnte vor einer „Attacke auf die Demokratie“. CDU/CSU-Fraktions-Chef Friedrich Merz sprach von „Manipulation des Wahlrechts“.

Bartsch kündigte bereits eine Verfassungsklage an. Auch Söder drohte damit. Er bräuchte dazu nur die bayerische Landesregierung. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag will erst später über eine Verfassungsklage entscheiden. Grundsätzlich hat der Gesetzgeber im Wahlrecht relativ viel Gestaltungsspielraum. Im Grundgesetz steht nicht, nach welchem Wahlsystem der Bundestag gewählt werden soll.

Das Bundesverfassungsgericht zog daraus den Schluss, dass der Bundestag bei der Festlegung des Wahlsystems auch ganz mit den bisherigen Traditionen brechen kann. So könnte er zum Beispiel nach englischem System eine Mehrheitswahl einführen, bei der nur noch die Wahl­kreis­ge­win­ne­r:in­nen ein Mandat erhalten. Er könnte aber auch ein reines Verhältniswahlrecht vorschreiben, bei dem es keine Wahlkreise mehr und nur noch Parteilisten gibt.

Dass auch Mischformen zulässig sind, hat das Bundesverfassungsgericht 2012 ausdrücklich festgehalten. In der Aufzählung zulässiger Wahlformen findet sich auch „eine Erstreckung des Verhältniswahlprinzips auf die gesamte Sitzverteilung unter angemessener Gewichtung der Direktmandate“. Das ist ungefähr das, was die Ampel im Kern plant. Nach ihrem Plan wäre für den Wahlkreisgewinner zwar kein Mandat garantiert, letztlich würden aber wohl nur ein, zwei Dutzend Wahlkreisgewinner leer ausgehen. Mit dieser Reform hätte die Ampel das Bundesverfassungsgericht wohl nicht fürchten müssen.

Anders dürfte es beim Wegfall der Grundmandatsklausel aussehen. Das Argument der Ampel, dass die Klausel ein „Systembruch“ sei, dürfte Karlsruhe nicht überzeugen. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht die Grundmandatsregelung 1997 ausdrücklich gebilligt. Schließlich könnten so „besondere Anliegen“ der Wähler berücksichtigt und integriert werden. Damit war zwar nur gesagt, dass die Grundmandatsklausel zulässig, also nicht verfassungswidrig ist.

Doch das Bundesverfassungsgericht achtet auf die Akzeptanz der Demokratie und auch seiner Urteile. Es ist nur schwer vorstellbar, dass das Gericht eine Regelung akzeptiert, bei der die CSU in Bayern zwar in 45 Wahlkreisen die meisten Stimmen holt, am Ende aber kei­ne:n einzigen Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te:n erhält, weil sie bundesweit nur 4,9 Prozent der Stimmen erhielt. Um das zu verhindern, könnte Karlsruhe eine Grundmandatsklausel als notwendiges Korrektiv für die wahlverzerrende Fünfprozenthürde vorschreiben – zwar sicher nicht ab 3 Direktmandaten, aber zum Beispiel ab 15 gewonnenen Wahlkreisen. Klagen könnten also eher der CSU nutzen als der Linken.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.