Koalitionspläne für Wahlrechtsreform: Dann lieber ganz radikal

Durch die Wahlrechtsreform könnten flächendeckend Wahlkreise ohne Direktmandat bleiben. Da wäre es besser, das Zwei-Stimmen-Prinzip ganz abzuschaffen.

Der Plenarsaal im Bundestag mit leeren blauen Sesseln

Der Bundestag muss kleiner werden, aber nicht auf Kosten der kleinen Parteien Foto: Christian Spicker/imago

Ein Bundestag ohne CSU hätte diesem Land viel erspart. Kein Franz Josef Strauß, der als Verteidigungsminister die Polizei in die Spiegel-Redaktion schickte. Kein Karl-Theodor zu Guttenberg, der nichts als eine vermurkste Bundeswehrreform hinterließ. Und kein Andreas Scheuer, der als Verkehrsminister der Großen Koalition darauf bedacht war, möglichst große Teile seines Etats nach Bayern umzuleiten.

Die Aussicht, dass die CSU aus der Bundespolitik verschwinden könnte, ist mit Blick auf ihre politische Bilanz also einerseits verlockend. Trotzdem ist der neueste Plan der Ampelkoalition für das Wahlrecht gefährlich. Der am Sonntag publik gewordene Entwurf der Regierungsfraktionen könnte die Demokratie beschädigen. Anders als in bisherigen Entwürfen fehlt in den neuen Plänen zur Wahlrechtsreform die sogenannte Grundmandatsklausel. Erste Medienberichte haben die Auswirkungen zum Teil verkannt. Ihnen zufolge entfiele nur die geltende Regelung, wonach eine Partei, die mindestens drei Wahlkreise gewinnt, auch dann in Fraktionsstärke ins Parlament einzieht, wenn sie bundesweit unter 5 Prozent bleibt.

Schon das hätte ein Geschmäckle gehabt: 2021 hat es die Linkspartei nur wegen dieser Klausel noch mal mit mehr als drei Abgeordneten in den Bundestag geschafft. Die Ampel stünde also im Verdacht, sich gezielt der linken Opposition entledigen zu wollen. Grundsätzlich hätte sich die Streichung aber doch noch einigermaßen schlüssig begründen lassen können: Warum muss ein gewonnener Wahlkreis in Ostberlin dazu führen, dass ein Kandidat aus dem Schwarzwald ein Mandat erhält?

Tatsächlich sind die Konsequenzen des neuen Entwurfs aber weitreichender: Eine Partei, die unter 5 Prozent bleibt, dürfte künftig nicht mal ihre gewonnenen Wahlkreise behalten. Die Linke säße also nicht mal mehr mit ihren drei direkt gewählten Abgeordneten im Bundestag. Und für die Zukunft ist denkbar, dass die CSU zwar weiterhin Dutzende Wahlkreise gewinnt, aber trotzdem kein Mandat erhält: Auf den Bund hochgerechnet landete sie schon 2021 nur knapp über der Fünfprozenthürde.

Auch die ursprünglichen Reformpläne der Ampel hätten zur Folge gehabt, dass einzelne Wahlkreissieger ohne Mandat bleiben. Ein Makel, aber akzeptabel angesichts des Ziels, den Bundestag auf halbwegs gerechte Weise zu verkleinern. Der neue Plan könnte jedoch dazu führen, dass flächendeckend Wahlkreise ohne Direktmandat bleiben. Das geht so sehr gegen die Intuition, dass es sogar besser wäre, das Wahlrecht noch radikaler zu reformieren – und die Wahlkreise und somit das 2-Stimmen-Prinzip ganz abzuschaffen.

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Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.

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