Werbeverbote für ungesunde Lebensmittel: Süßes kriegt Saures – könnte wirken

Experten verwerfen zentrale Einwände gegen Werbeverbote etwa für Süßigkeiten. Solche Einschränkungen könnten zu einer besseren Ernährung beitragen.

Zwei Hände vol Weingummi

Gummibärchen, Fruchtgummi, Weingummi – dafür sollte kaum noch geworben werden dürfen Foto: Victir Cardoner/MOMENT/getty images

BERLIN taz | Lebensmittel- und Werbebranche schießen gerade aus allen Rohren gegen die von Ernährungsminister Cem Özdemir geplanten Werbeverbote für ungesunde Nahrungsmittel. Der Grüne will, dass Werbung für Lebensmittel mit zu viel Salz, Zucker oder Fett von 6 bis 23 Uhr weder im Fernsehen noch im Hörfunk laufen darf. Auch bei Kinderformaten im Internet oder in der Presse sowie auf Werbetafeln etwa in der Nähe von Schulen soll sie verboten sein. Überall und immer untersagt werden soll Werbung für solche Lebensmittel, wenn sie zum Beispiel mit Kindermotiven arbeitet. Das gilt auch fürs Sponsoring etwa von Fußballspielen.

Da die meisten Grenzwerte für Lebensmittel unterhalb von denen der Weltgesundheitsorganisation WHO liegen müssten, würden die Werbeverbote beispielsweise für Gummibärchen oder Überraschungseier sowie alle anderen Süßigkeiten gelten. All das soll laut dem Referentenentwurf von Özdemirs Ministerium Kinder davor schützen, zu einer ungesunden Ernährung verleitet zu werden, die zu Übergewicht und damit verbundenen Krankheiten beiträgt. Hier eine Analyse der wichtigsten Gegenargumente aus der Diskussion.

Behauptung: Werbeverbote würden nicht den Anteil übergewichtiger Kinder verringern, sagt der Lebensmittelverband. Die Lobbyorganisation der Nahrungsmittelwirtschaft wendet ein, „dass keine belastbaren wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirksamkeit der Werbebeschränkungen auf die Gesamternährung und die Entwicklung von kindlichem Übergewicht existieren“.

Analyse: Ob der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, die Techniker Krankenkasse, das Wissenschaftsbündnis Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten oder die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin – alle fordern, Werbung für Lebensmittel mit viel Fett, Zucker oder Salz stark einzuschränken. 2020 tat das sogar der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim damals noch von der CDU geführten Ministerium.

Sie berufen sich zum Beispiel auf Überblicksstudien wie die eines Teams um den britischen Wissenschaftler Simon Russell. Danach nehmen Kinder mehr Kalorien zu sich, wenn sie Werbung für Lebensmittel sehen. Solche Ergebnisse hatten einerseits Beobachtungsstudien, bei denen erhoben wurde, wie viel entsprechende Werbung und wie viele Kalorien Kinder konsumierten. Aber auch in Experimenten zeigte sich, dass Werbung den Konsum erhöht.

Behauptung: Die Beobachtungsstudien sind laut Lebensmittelverband anfällig für Verzerrungen der Ergebnisse. Ursache für die Fehlernährung könnten statt der Werbung „Lebensstilfaktoren“ sein.

Analyse: „In den einschlägigen Studien wurde durch die Methodik sichergestellt, dass die beobachteten Effekte nicht durch sogenannte Störfaktoren wie das soziale Umfeld oder Bildung zu erklären sind“, sagte der taz Peter von Philipsborn, Mediziner und Public-Health-Experte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Bei Beobachtungsstudien werde der Einfluss der Störfaktoren minimiert, indem man zum Beispiel nur Kinder aus Haushalten mit ähnlichem Einkommen vergleicht. „Bei den experimentellen Studien werden die Probanden zufällig in die Untersuchungs- und die Kontrollgruppe eingeteilt.“ Nur die Untersuchungsgruppe sehe die Werbung für ungesündere Lebensmittel.

Behauptung: Dass Untersuchungen zufolge das Kaufverhalten bestimmter Produkte gesunken ist, sage nichts darüber aus, wie sich das Übergewicht in der Bevölkerung entwickelt. „In Großbritannien beispielsweise gibt es bereits seit mehr als 15 Jahren Werbeverbote und die Übergewichts- und Adipositasraten sind dadurch nicht gesunken“, argumentiert der Lebensmittelverband.

Analyse: „Ohne die Maßnahme hätten sich die Zahlen wahrscheinlich noch kritischer entwickelt“, sagt Oliver Huizinga, politischer Geschäftsführer der Deutschen Adipositas-Gesellschaft. „Werbeschranken sind ein zentraler Baustein, aber keine Einzelmaßnahme löst die Adipositas-Epidemie mal eben in Luft auf.“

Zudem seien die Werbeverbote in Großbritannien ohnehin nicht scharf genug gewesen. Sie untersagen Werbung für Lebensmittel mit viel Fett, Zucker oder Salz nur dann, wenn das Publikum der betroffenen Medien zu mehr als 25 Prozent aus unter 16-Jährigen besteht. „Das heißt, dass einige der Sendungen, die Kinder am meisten sehen, … nicht von den aktuellen Restriktionen erfasst werden“, so das britische Ministerium für Digitales, Kultur, Medien und Sport. Zwar werde Kindern weniger Werbung für solche Lebensmittel gezeigt, aber „es gibt immer noch Milliarden von Kontakten“ dieser Altersgruppe mit diesen Produkten schon allein im Fernsehen.

Behauptung: Die WHO habe die Grenzwerte für Fett, Zucker und Salz in einem „intransparenten Prozess“ erarbeitet, so der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft.

Analyse: Die WHO hat das Modell zusammen mit vielen Mitgliedstaaten entwickelt. Es gab Expertenanhörungen sowie Pilot-Tests in mehreren Ländern.

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