Russische Desinformation in Deutschland: Angriff auf die Demokratie

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs ist Deutschland verstärkt Ziel russischer Desinformation. Aus Sicherheitskreisen heißt es, sie sei aggressiver geworden.

Ein ausgebombter russischer Panzer vor der russischen Botschaft in Berlin

Ein ausgebombter russischer Panzer, der den russischen Terror anprangert Foto: Lutz Jaekel/laif

An einem Freitagmorgen im Februar rollt ein sichtlich demolierter russischer Panzer in Berlin-Mitte ein. „Achtung! Aufgepasst! Ein russischer Panzer ist soeben in Berlin gesichtet. Aber wir kümmern uns darum!“, twittert der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev ironisch.

Es ist der 24. Februar 2023, Jahrestag des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Nach Berlin geholt hat das Kriegsgerät der Konfliktforscher Enno Lenze. Platziert wird der Panzer vor der Russischen Botschaft, mit dem Rohr auf das Gebäude gerichtet, als Mahnmal gegen den russischen Terror.

Auf dem Twitteraccount der Russischen Botschaft in Berlin wird die Aktion einen Tag später jedoch umgedeutet. Die Rede ist von einer „Provokation“, die kein Verständnis, keine Unterstützung und kein Mitgefühl in der Gesellschaft finde. Die Botschaft nimmt damit Bezug auf diejenigen Menschen, die am Samstag nach dem Jahrestag mit Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer vor dem Brandenburger Tor gegen Waffenlieferungen an die Ukraine demonstrierten. Aus Solidarität mit Russland hatten die De­mons­tran­t:in­nen den Panzer mit Blumen geschmückt. Für die Russische Botschaft ist dies ein Zeichen „für den Kampf gegen den Neonazismus in der Ukrai­ne.“ Es ist nicht das erste Mal, das eine Auslandsvertretung Russlands damit auffällt, Diskurse zu beeinflussen. Fälle von gezielter Desinformation hat es im vergangenen Jahr auch in Paris und Genf, in Wien und Madrid gegeben.

Der russische Angriffskrieg findet in der Ukraine statt. Deutschland aber sei das Hauptziel russischer Desinformation, hieß es bereits vor einem Jahr in der Untersuchung einer Task Force des Auswärtigen Dienstes der EU. Der EU-Bericht beschrieb eine systematische Kampagne, die sowohl auf formeller politischer Ebene als auch durch regierungsnahe kremlfreundliche Medien ausgeführt werde. Und im Bericht zur Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2022 schrieb das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), dass die Bedrohung im Cyberraum so hoch wie nie sei.

Reaktionen der Ampelfraktionen

Und heute? Aus Sicherheitskreisen heißt es, russische Desinformation und Propaganda seien in der Tonalität aggressiver und von der Menge her intensiviert worden. Soziale Medien hätten für die Verbreitung von prorussischen Narrativen an Bedeutung gewonnen.

Auch die Ampel-Fraktionen im Bundestag beschäftigt das Thema. „Die Dimension, mit der uns mittlerweile täglich bewusst lancierte Kampagnen begegnen, hat längst ein beängstigendes, aus rechtsstaatlicher Perspektive nicht zu tolerierendes Ausmaß angenommen“, sagt Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz der taz. Ein besonderer Fokus müsse bei den sozialen Netzwerken und großen Plattformen liegen. „Hier braucht es dringend eine verstärkte nationale, europäische wie internationale Regulierung, die die Unternehmen als wichtige Gatekeeper in der digitalen Gesellschaft zu mehr Verantwortungsübernahme und der Beachtung gesetzlicher Vorgaben zwingt.“

FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle verweist darauf, dass es neben gezielter Desinformation auch eine finanzielle Einflussnahme gebe, etwa durch eine „offene oder verdeckte Finanzierung rechtsextremer Parteien in Europa“. Gegen solche „Versuche der Unterwanderung und Destabilisierung“ müssten sich liberale Demokratien verteidigen. Russischsprachige Europäerinnen und Europäer dürfe man „nicht alleine der russischen Staatspropaganda überlassen“, so Kuhle weiter. „Deutsche und europäische Diplomaten müssen verstärkt in russischer Sprache kommunizieren, auch über die sozialen Medien.“

Resilienzbildung innerhalb der Gesellschaft

Die Bundesregierung definiert Desinformation als “nachweislich falsche oder irreführende Informationen, die mit dem Ziel der vorsätzlichen Beeinflussung oder Täuschung der Öffentlichkeit verbreitet werden und gegebenenfalls die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich stören können“. Ende Februar warnte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Interview mit der Funke Mediengruppe vor einer hohen Gefahr durch russische Desinformation, Spionage und Sabotage. Gefahren sieht Faeser maßgeblich – wie auch das BSI – im Bereich der Cybersicherheit. Angriffe prorussischer Hacker hätten zugenommen.

Russische Hacker, die in abgedunkelten Räumen vor Computern sitzen und die IT-Sicherheit anderer Länder angreifen – dieses Bild wird häufig mit Desinformation assoziiert. Sich aber allein auf den Bereich der inneren Sicherheit zu fokussieren hält Sozialpsychologin Pia Lamberty für zu eng gefasst. Lamberty ist Geschäftsführerin des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), und forscht unter anderem zu Verschwörungsideologien und Desinformation. „Es geht auch um einen Marker, wie es um unsere Demokratie steht. Desinformation hat es leichter, in demokratische Schwachstellen hineinzunavigieren“, sagt sie der taz.

Was es brauche, sei eine größere Resilienzbildung. Laut einer repräsentativen Umfrage des Cemas ist die Zustimmung zu prorussischen Propagandanarrativen in der deutschen Bevölkerung zwischen Frühjahr und Herbst 2022 merklich gestiegen. Zuletzt stimmte mit 19 Prozent fast je­de:r Fünfte der Aussage zu, dass der russische Angriffskrieg eine alternativlose Reaktion Russlands auf eine Provokation der Nato sei. 21 Prozent stimmten dieser Aussage teilweise zu – und damit mehr als noch wenige Monate vorher: Dem Cemas zufolge lag die Zustimmung im April 2022 noch bei 12 Prozent und die Teils-teils-Antwort bei 17 Prozent.

Kampagne gegen ukrainische Flüchtlinge

Die Ziele russischer Desinformation ließen sich in zwei Hauptpunkten zusammenfassen: Russland versuche die Demokratie zu destabilisieren sowie die Solidarität mit der Ukrai­ne zu schmälern, indem eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben werde. Im Hintergrund dieser Einflussnahme laufe zudem immer das Grundrauschen des Antiamerikanismus und der Verteufelung der Nato mit, sagt Lamberty.

Einen Wendepunkt markierte das EU-weite Verbot des von Russland finanzierten Auslandssenders RT DE im März vergangenen Jahres. Die EU-Sanktionen haben laut Lamberty zu einer Fragmentierung der Des­in­for­ma­ti­ons­ak­teu­r:in­nen geführt. Wo sich der Desinformationsakteur zuvor noch eindeutig mit RT DE benennen ließ, als Verbreitungsplattform hauptsächlich Youtube und die RT-DE-Website diente, hat sich seit dem Verbot ein Raum für alternative Ak­teu­r:in­nen eröffnet. Telegramkanäle kreml­freund­licher In­flu­en­ce­r:in­nen wie der von Alina Lipp haben an Bedeutung gewonnen, ehemalige RT-Mitarbeiter haben Alternativmedien wie Infrarot gegründet.

Ein zentrales Thema russischer Desinformation sind die 1,1 Millionen Menschen, die vor dem Krieg nach Deutschland flohen. „Ukrainische Geflüchtete wurden als Gefahr dargestellt: für die öffentliche Gesundheit oder für die Sicherheit in den Aufnahmeländern“, sagt Julia Smirnova der taz. Sie forscht am Institut for Strategic Dialogue (ISD) zu Desinformation im Netz. „Das sind klassische Antimigrations­nar­ra­tive, die früher auch von anderen Akteuren gegen Geflüchtete aus anderen Ländern eingesetzt wurden.“ Hier setzt das aktuelle Projekt „Narrative über den Krieg Russlands gegen die Ukraine (NUK)“ des ISD im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung an. Regelmäßig werden dazu Videos veröffentlicht.

Eines habe man aus dem vergangenen Jahr gelernt, sagt Smirnova: Angesichts der Flut an Propagandanachrichten sei es unmöglich, alle Narrative zu entlarven. Deshalb müsse man die Zielgruppen schulen – und sie für die Methoden der Desinformation sensibilisieren.

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