Rüstungsbetriebe in Norddeutschland: Volle Auftragsbücher durch Panzer

Waffenlieferungen an die Ukraine sorgen für Auslastung in norddeutschen Rüstungsfabriken. Für alle erhofften Aufträge reicht der Sonderetat nicht.

Ein Mann lacht vort der geöffneten Tür eines Militräfahrzeugs

Rheinmetall-Vorstand Armin Pappberger freut sich im Werk Unterlüß Foto: Julian Stratenschulte/dpa

HAMBURG taz | Es war Boris Pistorius’ erster Besuch bei der Rüstungsindustrie: Am Montag, kurz vor dem heutigen ersten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine, besuchte er als neuer Verteidigungsminister das Rheinmetall-Werk im niedersächsischen Unterlüß. „Wer die Zeitenwende gestalten will, braucht Partner – dazu gehört auch die Rüstungsindustrie“, sagte der SPD-Politiker bei seinem Besuch in der Lüneburger Heide. Dass er den ersten Rüstungskonzern ausgerechnet in Niedersachsen besucht, ist kein Zufall – das wusste auch Rheinmetall-Chef Armin Papperger: „Rheinmetall hat speziell hier in Unterlüß seine Kapazitäten massiv ausgebaut – wir laufen hier auf Volldampf.“

Viele Rüstungskonzerne im Norden profitieren vom Krieg in der Ukraine, durch den 100 Milliarden Euro schweren Sonderetat für die Bundeswehr wird es in den kommenden Jahren wohl noch mehr. Besonders profitiert hat der Rheinmetall-Standort Unterlüß. Schon jetzt arbeiten hier mehr als 2.000 Angestellte. Und in wenigen Tagen kommen noch einmal ein paar Dutzend hinzu: Dann soll eine neue Fertigungshalle eröffnet werden. 300.000 Patronen sollen hergestellt werden – Munition für den Flak-Panzer „Gepard“, der bereits in der Ukraine zum Einsatz kommt.

Mindestens 30 dieser Panzer hatte Deutschland der Ukraine schon im vergangenen Jahr geliefert. Für die Munition erhält Rheinmetall vom Verteidigungsministerium, das den Vertrag stellvertretend für die ­Ukraine unterzeichnet hat, einen Betrag im „niedrigen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich“, so Rheinmetall. Erst Mitte Dezember vergangenen Jahres hatte der Konzern den Bau der zusätzlichen Fertigungshalle bekanntgegeben.

Durch den Krieg in der ­Ukraine ist der Standort Unterlüß ohnehin schon gut ausgelastet: Alte Schützenpanzer des Typs „Marder“ sind dort bereits für den Transport in die ­Ukraine vorbereitet worden, auch sie sollen in wenigen Tagen geliefert werden. „Sie stehen hier schon fertig“, sagte Papperger am Montag im Beisein von Pistorius. Dessen Aufruf an die Industrie, ihre Produktion zu steigern, wird er mit Freude gehört haben.

Dabei steht Rheinmetall genauso wie das Flensburger Unternehmen Flensburger Fahrzeugbau Gesellschaft (FFG) bei der Bereitstellung von Kampfpanzern in den Startlöchern: Nachdem die Bundesregierung ihre Zustimmung zur Lieferung gegeben hatte, erteilte sie auch der Rüstungsindustrie einen Auftrag zur Lieferung von „Leopard 1“-Panzern. Beide Unternehmen haben Dutzende dieser Kampfpanzer in Besitz – sie müssten nur aufbereitet werden.

99 Leopard-Panzer

Allein 99 „Leopard 1“-Panzer sollen nach Recherchen des NDR im Norden Flensburgs kurz vor der Grenze zu Dänemark auf einem Gelände der FFG stehen. Das dänische Militär habe sie vor einigen Jahren an das Flensburger Unternehmen, dessen Name im ersten Moment nicht auf die Rüstungsindustrie schließen lässt, verkauft. Nun will Dänemark der Ukraine aber jene Panzer liefern – und kauft die von der FFG aufbereiteten Panzer für ein Vielfaches des ursprünglichen Verkaufspreises zurück.

Auch für die mehr als 500 Beschäftigten in Flensburg gibt es ohnehin schon genug zu tun: So bereitete das Unternehmen erst kürzlich 50 ältere Mannschaftstransporter auf, bewaffnete sie und lieferte sie in die Ukraine. Bei gerüsteten Fahrzeugen, wirbt die FFG, könne sie „Entwicklung und Konstruktion über Fertigung, Modernisierung und Instandhaltung“ anbieten – mit dem Aufpimpen alter Militärmaschinen deckt das Unternehmen einen offenbar großen Bedarf ab.

Doch nicht nur die direkten Lieferungen an die ­Ukraine, auch der Sonderetat für die Bundeswehr weckt bei den Rüstungsunternehmen im Norden Begehrlichkeiten. Noch aber ist in vielen Punkten offen, wofür das Geld ausgegeben wird. Der Arbeitskreis Wehrtechnik, Branchenvertreter in Schleswig-Holstein, beklagte, dass vom Geld noch nichts angekommen und „noch kein einziger Vertrag“ unterschrieben sei.

Als eine weitere Enttäuschung empfand die Industrie schon Ende vergangenen Jahres eine Meldung: Eigentlich wollte die Marine zwei weitere „Fregatten 126“ bestellen, die in Hamburg, Kiel und Wolgast gebaut würden. Doch das Vorhaben wurde wieder gestrichen, nicht alle Wünsche lassen sich mit 100 Milliarden Euro erfüllen.

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