Straße in der Neustadt, eine Frau mit Hund auf dem Gehweg, auf dem Autos mit je zwei Reifen parken

Für Mensch mit Hund reicht der gute Meter Gehweg hier in der Bremer Neustadt. Für Rollis eher nicht Foto: Alina Götz

Bremens SPD und Grüne im Streit:Geh weg, Auto

Das Oberverwaltungsgericht Bremen hat entschieden: Die Verkehrssenatorin kann das illegale, aber meist geduldete Gehwegparken nicht einfach akzeptieren.

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10.3.2023, 09:18  Uhr

Die Gehwege in der Bremer Neustadt sind oft voll: Mülltonnen, angeschlossene Fahrräder, Baustellen – und jede Menge Autos, die halb auf der Straße, halb auf dem für Fuß­gän­ge­r*in­nen vorgesehen Weg parken.

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bremen hat nun entschieden: Die Verkehrsbehörde muss über den Antrag von Anwohner*innen, die ein Einschreiten gegen das in der Praxis geduldete, aber eigentlich illegale Gehwegparken in ihren Quartieren gefordert hatten, neu entscheiden. Dabei räumen die Rich­te­r*in­nen der Verkehrsbehörde zwar einen „Ermessensspielraum“ ein, stellen aber fest: Zugeparkte Gehwege einfach so hinnehmen, das geht nicht. Das Urteil fiel bereits im September, vor einer Woche veröffentlichte das Gericht die Begründung für die Entscheidung.

Geklagt hatten Ei­gen­tü­me­r*in­nen und Be­woh­ne­r*in­nen von Häusern in den Bremer Stadtteilen Neustadt, Findorff und Östliche Vorstadt. Wolfgang Köhler-Naumann ist einer der Kläger*innen. Er wohnt in der Neustadt, hier ist er auch mit seinen En­ke­l*in­nen unterwegs. „Mit Kinderwagen sind wir teilweise gar nicht aus der Gartentür rausgekommen“, sagt er.

Auch jetzt, ein paar Jahre später, sei es gefährlich – wenn die Kinder zu Fuß einfach zwischen den Autos verschwinden, oder wenn sie auf dem Rad auf dem Bürgersteig unterwegs sind und an Rückspiegeln hängen bleiben, weil es so eng ist. „Und wenn Müllabfuhr ist, müssen wir auf der Straße gehen.“ Auch der soziale Kontakt leide. „Man hat sich schon dran gewöhnt: Wenn man mit Partnerin oder Partner unterwegs ist, geht man hintereinander.“

Grüne Verkehrssenatorin lehnte Antrag ab

Die Klä­ge­r*in­nen zogen 2019 vor das Verwaltungsgericht, weil die Behörde der Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne) ihren Antrag abgelehnt hatte, in dem die Betroffenen ein Einschreiten gegen das aufgesetzte Parken fordern. Das Verwaltungsgericht gab ihnen recht und der Behörde den Auftrag, sich erneut um den Antrag zu kümmern. Die Behörde legte Revision ein. Nicht weil sie aufgesetztes Parken toll findet, sondern weil die Entscheidung nicht nur Bremen, sondern ganz Deutschland betrifft.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nun „im Kern bestätigt, der Straßenverkehrsbehörde aber ein größeres Ermessen bei der Umsetzung ihrer Maßnahmen eingeräumt“, heißt es nun in der Erklärung zum Urteil. Es stellt dabei fest: Gehwegparken ist laut Straßenverkehrsordnung (StVO) verboten – das Verbot werde in den Straßen der Klä­ge­r*in­nen aber einfach missachtet, die Autos auf dem Gehweg „seit Jahrzehnten weitestgehend“ geduldet. Und: Die Straßenverkehrsbehörde könnte etwas dagegen tun. So weit, so bekannt.

Das Gericht vertritt die Auffassung, dass das Verbot des aufgesetzten Parkens dem „Interesse der Allgemeinheit“ diene, aber auch dem Schutz von Individuen, die den Gehweg nutzen. Letzteres ziehe aber nur, wenn eine „unzumutbare Funktionsbeeinträchtigung des Gehweges“ vorliege.

Im Fall der Klä­ge­r*in­nen treffe das zu, „weil sich in ihren Straßen durch das aufgesetzte Parken verbleibende nutzbare Restgehwegbreiten von – zum Teil deutlich – weniger als 1,50 m auf annähend der gesamten Länge der vorhandenen Gehwege ergeben und ein Begegnungsverkehr nicht mehr möglich ist“. Ein schmaler Engpass, an dem sich Menschen vorbeiquetschen können, reicht also nicht.

Erfolg über Bremen hinaus

Die Marke von 1,50 Meter kommt aus dem Straßenverkehrsrecht, sagt Richter Friedemann Traub, Sprecher des OVG. Genauer aus der Regel, wann aufgesetztes Parken durch Schilder oder Linien erlaubt werden kann – nämlich wenn diese Restgehwegbreite übrig bleibt. Die Klä­ge­r*in­nen verlangen sogar eine freie Breite von 1,80 Meter, weil diese „städtebaulich“ für Gehwege veranschlagt werde.

Die Behörde muss sich mit dem Thema nun befassen, kann das aufgesetzte Parken nicht einfach weiter dulden, hat das Gericht entschieden. Das heiße aber nicht, dass sie verpflichtet ist, dagegen vorzugehen: Es beschreibt im Gegensatz zum Verwaltungsgericht einen Ermessensspielraum, je nach „Dauer und Häufigkeit“ der Verstöße. Dabei solle bedacht werden, dass das Gehwegparken eben gängige Praxis ist. Sollte die Behörde nun ein Konzept entwickelt, dürfe darin priorisiert werden – je nachdem, wo die Gehwege am schlimmsten vollgeparkt sind.

Kläger Köhler-Naumann hat zum OVG-Urteil gemischte Gefühle. „Das Gericht hat eine Marke in unserem Sinne gesetzt, das ist ein klarer Erfolg.“ Ein Erfolg sei auch, dass es aus der StVO den Individualschutz für Fuß­gän­ge­r*in­nen ableite. Und: „Das Gericht fordert den Staat unmissverständlich auf, tatsächlich zu handeln.“ Die Entscheidung gebe auch anderen Gruppen in Deutschland „eine ausgezeichnete Argumentationslinie für ihre Bemühen“.

Die Kehrseite: Das Urteil lasse völlig offen, was genau in den Straßen der Klä­ge­r*in­nen passieren soll; dafür sorgt der eingeräumte Ermessensspielraum. Dieser falle zwar weg, sagt Köhler-Naumann, wenn der Staat das Problem einfach aussitze – aber ein erneuter Klageweg würde dann wieder sehr lange dauern. Ob die Klä­ge­r*in­nen in Revision gehen oder ob sie sich mit dem Erfolg zufriedengeben, werde man noch gemeinsam entscheiden. Das Verfahren könnte dann letztinstanzlich beim Bundesverwaltungsgericht landen.

SPD-Innensenator hat eigenen Plan

Der Beirat im Bremer Stadtteil Findorff beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit dem Parkdruck im Viertel, sagt Ulf Jacob (Grüne), Beiratssprecher für Verkehr und stellvertretender Vorsitzender des Vereins „Klimazone Findorff“. Schon 2019 habe der Beirat beschlossen, An­woh­ne­r­par­ken einzuführen. Doch noch gilt es nicht. „Eine andere Strategie wäre, einfach die Regeln umzusetzen“, sagt Jacob. Aber außer in den zwei Wochen, in denen nebenan auf der Bürgerweide der Freimarkt stattfindet, würde hier nicht kontrolliert werden.

In der zweiten Februarhälfte dieses Jahres fand eine denkwürdige Beiratssitzung statt, in der eine knappe Mehrheit mit Stimmen von CDU, SPD und FDP für einen von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) vorgestellten Plan stimmte. Dabei gehöre das Thema zum Job von Verkehrssenatorin Schaefer, sagt Jacob.

„Aber Mäurer gefiel das wohl nicht gut, also hat er ungefragt einen eigenen Plan entwickelt.“ In der Präsentation, die der taz vorliegt, bezeichnet die Innenbehörde die Pläne der Koalitionspartnerin als „kompromisslos“ und „kostenintensiv“. Man selbst wolle „nicht alle jetzt auf dem Gehweg parkenden Fahrzeuge“ entfernen, sondern einen schrittweisen Übergang schaffen.

Doch was plant Schaefer eigentlich? Im November hat die Mobilitätsdeputation der Bremischen Bürgerschaft zum künftigen Umgang mit dem Gehwegparken einen Vier-Punkte-Plan beschlossen. Darin steht unter anderem, dass das illegale Gehwegparken nach und nach aus den Quartieren verschwinden soll. Je nach Situation würden manche Straßen dabei priorisiert; bis März dieses Jahres sollen so „Straßen mit Restgehwegbreiten unter 1,10 Meter bearbeitet werden“. Die verstärkten Kontrollen sollen den An­woh­ne­r*in­nen mit einer Kommunikationskampagne vermittelt werden, zu der Postwurfsendungen gehören.

Und was will Mäurer? In dem vom Beirat Findorff beschlossenen Plan wird skizziert, dass Gehwegparken legalisiert werden könnte; durch weiße Linien auf dem Bürgersteig, die garantieren sollen, dass auch mit parkenden Autos eineinhalb Meter Gehweg übrig bleiben. Teilweise könnten dafür aber nur Autos mit einer Breite von 1,90 Meter die Parkplätze nutzen. Lücken zwischen den Parkreihen – zum Überqueren der Straße – sind auch eingeplant. Die Idee, die Mäurer „Parkfrieden“ nennt, sei „behutsamer und pragmatischer“ und lasse den Menschen „mehr Zeit zum Umdenken“.

Zugestellter Gehweg

Kein Durchkommen mehr: Es ist eng auf Bremens Fußwegen Foto: Alina Götz

Eine Sprecherin von Senatorin Schaefer schreibt der taz, dass man das „Mäurer-Papier zum Zeitpunkt der Beiratssitzung“ zwar gekannt habe, es aber weder zwischen den Ressorts abgestimmt noch vom Senat beschlossen sei. Für eine Umsetzung gebe es entsprechend „keine Handlungsgrundlage“. Zumal es nicht rechtskonform sei, schreibt sie weiter, und verweist auf ein Gutachten, das ein auf Verkehrsrecht spezialisierter Anwalt aus Berlin im Auftrag der Klimazone Findorff inzwischen erstellt hat.

Mäurers Plan verstoße gegen die StVO, sagt der Gutachter Olaf Dilling der taz. „Laut StVO kann in Einbahnstraßen nur auf einer Straßenseite aufgesetztes Parken angeordnet werden, aber nicht wie von Mäurer vorgesehen auf beiden Seiten.“

Auch werde vom Innenressort nicht bedacht, dass das Parken auf dem Gehweg nicht einfach erlaubt werden kann, wenn sich auf der Straße viele Verschlüsse befinden: Hydranten fürs Löschen oder Gas- und Wasserleitungen, die im Brandfall abgestellt werden müssen. Das zu beachten, entgegnet die Innenbehörde, liege jedoch in der Verantwortung der Autofahrer*innen. Es sei verboten, selbst wenn das Parken auf einem Gehweg durch Schilder erlaubt werde.

Für „unrealistisch“ hält Dilling zudem Mäurers Plan, das Parken nur für Fahrzeuge bis 1,90 Meter Breite zu erlauben. „Mit Spiegeln sind die in der Regel zwei Meter breit“, und diese behinderten schließlich Menschen mit Rollator oder Rollstuhl. Der Vorschlag bringe also keine Entlastung, „weil die Leute da gar nicht parken können oder es eben trotzdem tun und damit wieder die Barrierefreiheit einschränken“.

Wolfgang Köhler-Naumann, Kläger

„Wenn man mit Partnerin oder Partner unterwegs ist, geht man hintereinander“

Die von Mäurer geplante Restgehwegbreite von 1,50 Meter sei zudem „weit davon entfernt, was man als barrierefreien Bürgersteig ansieht“, sagt Dilling und verweist auf Gremien wie die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen. „Kein zwingender Standard, aber gängige Expertenmeinung“ sei eine Breite von 1,80 plus Sicherheitsstreifen. Letztere puffere noch mal ab, wenn Baustellenschilder oder Mülltonnen auf dem Gehweg stehen müssen.

Auch Bremens Landesbehindertenbeauftragter Arne Frankenstein kann nicht ausschließen, dass es auch bei eineinhalb Meter Gehweg „zu Problemen im Begegnungsverkehr kommen kann“. Rollstühle oder andere Hilfsmittel seien unterschiedlich groß. Um ein sicheres Begegnen zu ermöglichen, benenne die Bremer Richtlinie „zur barrierefreien Gestaltung baulicher Anlagen des öffentlichen Verkehrsraums“ daher ein Maß von 1,80 Meter, zuzüglich Sicherheitsstreifen.

Doch auch das OVG spricht in seinem Urteil von einer Mindestbreite von 1,50 Meter. „Es geht hier um Menschen ohne Gehbehinderung“, versucht sich Anwalt Dilling an einer Erklärung dafür. Er gehe davon aus, dass das Urteil an die Klägergruppe angepasst ist. Tatsächlich steht im Urteil: „Auf eine Beeinträchtigung von Kindern und Rollstuhlfahrern könnten sich die Kläger mangels Zugehörigkeit zu diesen Gruppen nicht berufen.“

Frankenstein weist darauf hin, dass die Behörde bei der Umsetzung von der vom Gericht festgestellten Mindestbreite durchaus nach oben hin abweichen könne, ganz im Sinne der Barrierefreiheit.

Jacob stellt zum Gutachten fest: „Der Beirat wurde von Mäurer in ein unsicheres Verfahren geschickt. Das habe ich noch nicht erlebt.“ Ob man in Findorff künftig nun mit oder ohne Bewohnerparken gegen die vielen Autos auf den Gehwegen angehen wird, sei unklar. Denn nicht nur die Bremer Bürgerschaft, auch die Beiräte werden im Mai neu gewählt. Jacob hofft, dass es noch eine Einigung gibt mit einem Vorschlag von beiden Behörden. „Das muss gemeinsam laufen, sonst wird eine Umsetzung nicht gehen“ – denn Schaefer plant, und Mäurers Ordnungsamt muss mitspielen.

Der Wahlkampf beginnt

Das Gerichtsverfahren spielt zwar unter anderem in Findorff, behandelt aber die Frage, ob die Verkehrsbehörde überhaupt etwas tun muss – und nicht, was genau und in welchen Straßen. Ob die Verkehrsbehörde gegen das Urteil in Revision geht, sei noch nicht entschieden. Man prüfe das, heißt es. Mit dem im November beschlossenen Vier-Punkte-Plan gebe es jedoch schon genau jenes Konzept, welches das OVG fordert. Das Urteil bestätige diesen Plan sogar.

Letzteres sieht auch Mäurer so. In seinen Augen widersprechen sich der Plan des Senats und sein in Findorff beschlossener „Parkfrieden“ nicht. Mit der Urteilsbegründung des OVG sei er „sehr zufrieden“. Das Gericht habe „anerkannt, dass man angesichts begrenzter Ressourcen Schritt für Schritt vorgehen muss“, schreibt er der taz. Auf der Grundlage des Urteils lasse sich sein „Parkfrieden“ als Konzept gut umsetzen.

Blöd nur, dass da die Verkehrsbehörde nicht mitmachen möchte.

Doch was wäre, wenn die Behörde trotz Urteil gar nicht handelt? Etwa weil das Ordnungsamt nicht genug kontrolliert, weil in der Behörde Pla­ne­r*in­nen fehlen oder weil das Ressort nach der Wahl im Mai politisch anders ausgerichtet ist? „Unmittelbar vollstreckbar ist das Urteil nicht“, erklärt OVG-Richter Traub. Allerdings steht in der Erklärung des Gerichts: „Der Verweis auf ein Konzept wird aber die Ermessensentscheidung nur solange tragen, wie dieses auch tatsächlich und nachvollziehbar umgesetzt wird.“ Wenn die Behörde also nicht konkret tätig wird, erklärt Traub, könnten die Klä­ge­r*in­nen wieder vor Gericht ziehen.

Das Thema hat es auch ins Wahlprogramm von SPD und Grünen geschafft. Mäurers Partei will „gangbare und ordnungsgemäße Lösungen“ entwickeln, um das Gehwegparken „zurückzudrängen, aber nicht auf einen Schlag übermäßig viele Parkmöglichkeiten zu verhindern“. Im Programm von Schaefers Grünen heißt es hingegen: „Wir wollen aufgesetztes Parken konsequent unterbinden.“

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