Jesiden aus dem Nordirak: Die vergessenen Väter

Nach dem Überfall des IS 2014 ermöglichte Baden-Württemberg 1.100 Jesidinnen, nach Deutschland zu kommen. Einige warten noch immer auf ihre Partner.

Alltagsszenen in einem jesidischen Flüchtlingscamp in Dohuk im Nordirak Ende Januar Foto: Safin Hamed/ afp/getty

KARLSRUHE taz | Die Kinder haben ein Bild gemalt: „Wir wollen unsere Vätter“ steht da. Das zweite „t“ scheint dem Wunsch noch mehr Nachdruck zu verleihen. Nach sieben Jahren wollen sie endlich wieder mit ihren Vätern zusammen sein. Stattdessen leben die Familien in Deutschland, die Männer sieben Flugstunden entfernt in einem Flüchtlingslager im Nordirak. Nach Vertreibung und Traumatisierung ist die Trennung für 18 jesidische Familien in Baden-Württemberg die nächste schwere Bürde. Dabei habe man ihnen damals bei der Abreise nach Deutschland einen späteren Familiennachzug in Aussicht gestellt.

Am Freitag übergeben 18 jesidische Frauen deshalb eine Petition am Regierungssitz Winfried Kretschmanns, auch die Kinderzeichnung wird dabei sein. Denn die Trennung der Familien ist das unerwünschte Ergebnis einer eigentlich verdienstvollen Initiative des Ministerpräsidenten der Grünen. Im Jahr 2014, nach dem Überfall des Islamischen Staats (IS) auf die Städte der Jesiden im Nordirak, hatte Baden-Württemberg als erstes Bundesland ein Flüchtlingssonderkontingent eingerichtet, um traumatisierte Frauen und Kinder aus dem Gebiet zu retten.

Kretschmann und sein damaliger Chef des Staatsministeriums, Klaus-Peter Murawski, hatten dieses Sonderkontingent eingeleitet, nachdem jesidische Vertreter sie am Rande einer Kabinettsklausur mit Bildern des Völkermords des IS konfrontierten. Leiter des Programms wurde der heutige Antisemitismusbeauftragte des Landes, Michael Blume (CDU). Baden Württemberg brachte damals insgesamt 1.100 Frauen und Kinder nach Deutschland. Unter ihnen war auch die spätere Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad.

Kretschmanns Landesregierung fand für ihre Initiative weltweit Anerkennung und Unterstützung der US-Menschenrechtsanwältin Amal Clooney. Später schlossen sich andere Staaten wie Kanada und Frankreich mit Kontingenten an, verhalten folgten auch andere Bundesländer wie Schleswig-Holstein. Mit Prozessen gegen IS-Kämpfer und deren Frauen wegen Völkermord, bei denen auch jesidische Frauen als Zeugen aussagten, betrat die deutsche Justiz juristisches Neuland.

Aber es gab auch Kritik. Hilfsorganisationen wie Medica Mondiale warfen die Frage auf, ob es richtig sei, Frauen aus ihrem Kulturkreis zu reißen, indem man sie allein nach Deutschland holte. Auch kritisieren sie, dass man bei anderen Genoziden nicht ähnliche Kontingente eingerichtet habe.

Uneingelöste Versprechen

Ein Versprechen hat das Land seitdem nicht eingelöst: die Familienzusammenführung. Eigentlich sollte das Kontingent ausschließlich verstoßenen oder alleinstehenden Frauen und ihren Kindern offenstehen. Ganze Familien waren nicht vorgesehen. Doch so einfach ließ sich diese Trennung nicht machen. Frauen, die womöglich sexuelle Gewalt durch IS-Kämpfer erlitten hatten, haben nach den traditionellen Regeln der Jesiden ihre Ehre verloren und werden aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Ihnen sollte geholfen werden.

Doch nachdem die Landesregierung in Verhandlungen mit der religiösen Führung der Jesiden erreicht hatte, dass die Frauen in einem offiziellen Ritus wieder in die Gemeinschaft aufgenommen wurden, waren auch die religiösen Hürden für die Rückkehr der Männer zu ihren Frauen beseitigt. Zudem waren einige Männer selbst in Gefangenschaft des IS und galten als vermisst.

„Aber sie haben es uns doch versprochen“, sagt Zainab Murad, Mutter von drei Kindern, die zwar den gleichen Familiennamen wie die Nobelpreisträgerin trägt, mit ihr aber nicht verwandt ist. Zainab Murad sitzt in einem Konferenzraum der Diakonie Freiburg und sagt mit Nachdruck: „Ich bin mit der Situation nicht zufrieden.“ Sie hätte ihren Mann gerne hier, um die Kinder angemessen zu erziehen. Ihr mittlerer Sohn ist Autist und braucht intensive Betreuung.

Ihr Mann hat selbst unter der Gewalt des IS gelitten, er war neun Monate gefangen und leidet bis heute unter den Folgen. Zweimal konnte sie ihn im Camp Qadya im Nordirak besuchen, wo er in einem Container lebt. Doch auf Dauer in ihre Heimat zurückzukehren, ist für sie undenkbar. Schon allein wegen ihrem Sohn, der mit seiner Behinderung dort keine Perspektive hat.

Für die Männer gelten in Deutschland die allgemeinen Regeln des Familiennachzugs für Geflüchtete. Diese wurden mittlerweile verschärft. So müssen die Männer Sprachkenntnisse nachweisen, die Familien brauchen eine eigene Unterkunft und sie selbst oder jemand anderes muss für ihren Lebensunterhalt garantieren. Die meisten Familien können das nicht erfüllen. Deshalb sind einige Frauen aus dem Kontingent in den Irak zurückgekehrt, bei andern sind die Männer auf eigentlich illegalen Wegen nachgekommen. Übrig geblieben sind 18 Familien, die auf eine legale Lösung warten.

Jetzt will Baden-Württemberg ein neues Kontingent für Jesidinnen auflegen. Dieses ist eigentlich speziell für Frauen, die nach Vergewaltigungen durch IS-Kämpfer Kinder bekommen haben. Denn die Kinder gelten nicht als Jesiden, sie können nicht in die Gemeinschaft aufgenommen werden. Für das neue Kontingent sind im aktuellen Landeshaushalt 10 Millionen Euro eingeplant. Damit sollen 200 bis 250 Frauen und Kinder aus Flüchtlingslagern in Dohuk nach Deutschland gebracht werden. Zainab ­Murad hofft, dass mit diesem Kontingent auch die 18 Männer nach Deutschland kommen können.

In der Außenpolitik mitmischen?

Ministerpräsident Kretschmann setzt dagegen eher auf eine Lösung durch die Bundesregierung. Nachzugsgesuche seien bisher immer an den Regeln der Bundesregierung gescheitert. Die Kinder der Frauen hätten zwar nach Deutschland einreisen dürfen. Aber spätestens nach der Anerkennung des Völkermords durch den Bundestag könne es doch nicht sein, dass die Zusammenführung von 18 Familien scheitert. „Ich werde jedenfalls alles dafür tun, dass das Erfolg hat.“

Aber auch in Baden-Württemberg ist das Problem zwischen dem zuständigen Innen- und Justizministerium und der Staatskanzlei hin- und hergeschoben worden. Mancher in Kretschmanns Regierungsapparat findet, dass sich das Land aus außenpolitischen Themen besser ganz heraushalten sollte. Die Sprecherin des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg, Meike Olszak, verweist dagegen auf juristische Spielräume, die andere Länder wie Bremen genutzt hätten, um Flüchtlingsfamilien aus Sonderkontingenten nachzuholen. Baden-Württemberg habe das bisher nicht versucht.

Eine weitere Frage, die Kritiker des Familiennachzugs stellen: Werden die Frauen vielleicht von ihren Familien im Irak unter Druck gesetzt, ihre Männer nachzuholen, obwohl sie das gar nicht wollen? „Da muss jeder Einzelfall geprüft werden“, sagt der Traumatologe Jan İlhan Kızılhan, der die Auswahl der Frauen im Nordirak wissenschaftlich begleitete und die Jesidinnen in Deutschland auch heute noch psychologisch betreut. „Insgesamt unterstütze ich aber die Petition“, sagt Kızılhan.

Aus psychotherapeutischer Sicht sei es gut, wenn die Familien hier in Deutschland vereint würden, wenn sie das wollen. Eine Rückkehr sei den in der Regel gut integrierten Kindern dagegen kaum zuzumuten. Zumal die Zukunft der jesidischen Gemeinschaft im Nordirak weiter ungewiss sei, so Kızılhan.

Zainab Murad jedenfalls ist sich sicher, dass sie ihren Mann an ihrer Seite haben möchte. Solange sie noch von ihrem Mann getrennt ist, trägt sie jeden Tag Schwarz.

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