Georgien und Ukrainekrieg: Böses Erwachen

Georgien bemüht sich im Ukrainekrieg um Unparteilichkeit. Dabei ist das Land in den vergangenen Monaten deutlich an Russland herangerückt.

Proteste vor dem Regierungsgebäude in Tiflis

Proteste für den ehemaligen georgischen Staatspräsidenten Saakaschwili in Tiflis am 20. Februar Foto: Irakli Gedenidze/reuters

BERLIN taz | Unter dem Titel „Nicht für uns: Warum sich Georgien immer weiter Putin annähert“ analysierte Wladimir Krawtschenko, Kolumnist für internationale Politik des ukrainischen Webportals Zerkalo nedeli, unlängst die Beziehungen zwischen Kyjiw und Tbilissi. Das Verhältnis, so der ernüchternde Befund, habe seit dem Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 massiv gelitten.

„Georgien bewegt sich auf dem dünnen Eis der Neu­tra­lität und ist in den vergangenen Monaten immer deutlicher weg von der Ukraine und dem Westen in Richtung Russland abgedriftet“, schreibt Krawtschenko. „Die georgische Regierung versucht, zwischen Kyjiw und Moskau, dem Westen und Russland zu balancieren. Daraus will sie auch noch eigenen Profit ziehen.“

Die Fakten, die dieser Einschätzung zugrunde liegen, sprechen für sich. Die Regierungspartei Georgischer Traum (KO), seit 2012 an der Macht und einer gewissen Nähe zu Russland verdächtig, hat sich den westlichen Russland-Sanktionen wegen des Ukrainekriegs nicht angeschlossen. Eine Bitte Kyjiws nach Überlassung von Buk-Luftabwehrsystemen, die Georgien in den nuller Jahren in der Ukraine gekauft hatte, wurde vor Kurzem abschlägig beschieden.

Damit einher geht eine entsprechende Rhetorik führender Ver­tre­te­r*in­nen der KO, die die georgische Opposition, aber auch westliche Po­li­ti­ke­r*in­nen und Di­plo­ma­t*in­nen beschuldigen, Georgien in den Krieg hineinziehen zu wollen.

Die vornehme Zurückhaltung der Südkaukasusrepublik findet in Russland, das mit den Regionen Abchasien und Süd­os­se­tien 20 Prozent des georgischen Territoriums besetzt hält, Anklang. In einer Pressekonferenz am 18. Januar 2023 nannte Außenminister Sergei Lawrow die Entscheidung der georgischen Regierung, sich nicht den Sanktionen anzuschließen, mutig und lobte deren Bemühen, sich westlichem Druck zu widersetzen. Zudem begrüßte er die Möglichkeit, alsbald wieder Direktflüge zwischen der Russischen Föderation und Georgien aufzunehmen.

Dieser Vorschlag geht auf den Duma-Abgeordneten Sergei Gawrilow zurück – jenen Mann, dessen Auftritt im georgischen Parlament 2019 in Tbilissi zu gewaltsamen Massenprotesten mit über 200 Verletzten geführt hatte. Gawrilow empfahl unlängst, nicht nur den Flugverkehr, sondern auch die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern wiederherzustellen.

Abkehr vom Westen

Auch innenpolitisch sind in Georgien Tendenzen einer Abkehr vom Westen unübersehbar. Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit Michail Saakaschwili. Der frühere Staatspräsident, der ukrainischer Staatsbürger ist, verbüßt wegen Amtsmissbrauchs in Georgien eine sechsjährige Haftstrafe. Trotz schwerwiegender gesundheitlicher Probleme und ungeachtet zahlreicher, auch internationaler Appelle wird ihm eine medizinische Behandlung im Ausland verweigert. Die Causa Saakschwili hat mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nichts, dafür aber umso mehr mit einem persönlichen Rachefeldzug zu tun, der politisch motiviert ist.

Für Aufregung sorgte auch die Ankündigung einer Gruppe von formal unabhängigen, jedoch der KO nahestehenden Abgeordneten namens „Volksmacht“, zeitnah einen Gesetzentwurf über sogenannte ausländische Agenten im Parlament einzubringen. So sollen sich Medien und Nichtregierungsorganisationen, die mindestens 20 Prozent ihrer Mittel im Ausland generieren, in ein spezielles Register eintragen lassen. Bei Zuwiderhandlung drohen Geldstrafen von umgerechnet 9.000 Euro. Die Betroffenen fürchten mit einem Blick auf Russland, dass sie stumm geschaltet werden sollen. Zu Recht, denn die KO hat bereits Zustimmung signalisiert.

Der Schlingerkurs der Regierungspartei steht in krassem Gegensatz zu den Wünschen weiter Teile der Gesellschaft, die durch Georgiens Niederlage im russisch-georgischen Krieg um Südossetien 2008 nachhaltig traumatisiert ist. Bei Umfragen spricht sich eine Mehrheit regelmäßig für einen Beitritt zur Nato und EU aus. Daher verwundert es nicht, dass viele die Absage Brüssels im vergangenen Juni, Georgien zu einem EU-Beitrittskandidaten zu machen, als Schlag ins Gesicht empfanden. Hinzu kommt, dass der Zuzug zehntausender Rus­s*in­nen vor allem seit der Teilmobilmachung im vergangenen Herbst die georgische Gesellschaft ohnehin vor eine Zerreißprobe stellt.

Es gehe Russland nicht darum, die Beziehungen zu Georgien zu normalisieren, sondern dort nach einem stärkeren ideologischen Standbein zu suchen, heißt es in einem Meinungsbeitrag des Webportals jam.news. „Moskau dürfte den Druck auf die Regierung Georgiens erhöhen, damit sich diese angesichts der Konfrontation mit dem Westen besser an die neue Moskauer Realität anpasst.“ Das lässt nicht Gutes erwarten.

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