Gefahr Antifeminismus: Ein Kampf für die Demokratie

Das gezielte Sabotieren feministischer Ziele ist ein Angriff auf die plurale Gesellschaft. Umso wichtiger ist es, in breiten Bündnissen gegenzuhalten.

Menschen protestieren im Sommer 2022 für den Schutz des Abtreibungsrechts vor dem US-Supreme-Court

Vor dem US-Supreme-Court: Menschen protestieren im Sommer 2022 für den Schutz des Abtreibungsrechts Foto: Jemal Countess/UPI/laif

Kommt Ihnen diese Situation bekannt vor: Die beste Freundin postet etwas über tolle Periodenunterwäsche in den sozialen Medien. Daraufhin schreibt „TradWife8“ sexistische Kommentare und betont, dass „richtige“ Frauen über „sowas“ lieber schweigen sollten. „Adleralbert“ heizt dabei gut mit an.

Oder das: Die neue „DragRace“-Staffel ist raus und ein paar Freun­d*in­nen treffen sich zum Public Viewing in einer Bar. Eine kleine Gruppe Menschen beklebt die Fenster von außen mit Stickern: „Stoppt den Gaga!“ Sie behaupten, queere Sichtbarkeit in den Medien sei eine Gefahr für Kinder.

Vielleicht erkennen Sie auch diese Situation wieder: Sie starten einen offenen Brief an die Hochschulleitung mit dem Ziel, geschlechtergerechte Sprache einzuführen, damit alle Menschen sprachlich repräsentiert sind. Nach einer Woche hat sich eine mehrköpfige Gegeninitiative durch Angestellte organisiert, die Ihnen den Studialltag zur Hölle machen wird. Wütende E-Mails fluten Ihre Postfächer und manche Dozierende wollen Ihre Hausarbeiten nicht annehmen, weil sie in geschlechtergerechter Sprache geschrieben sind.

All das ist ätzend und verletzend. All das ist sexistisch, frauenfeindlich oder queerfeindlich. All das ist antiemanzipatorisch, abwertend und wendet sich gegen den Alltag vieler Menschen. All das ist: antifeministisch.

Warum beschäftigen wir uns in einem Dossier mit Antifeminismus? Schon in vielen Liedern wird besungen: „Know your enemy“. Oft ist Antifeminismus subtil. Wie wir ihn entlarven können, wird klar, wenn wir uns mit ihm auseinandersetzen: Welche Formen nimmt er an? Wer sind die Akteur*innen? Und wie können wir ihm begegnen? Alle Dossiertexte gibt es im Online-Schwerpunkt zum feministischen Kampftag.

Nun mögen sich einige fragen, ob man dafür nicht lieber etablierte Begriffe wie Sexismus oder Trans- und Homophobie nutzen sollte. Ja, auch, denn sie sind Teil von Antifeminismus. Insbesondere Sexismus bietet die Grundlage für Antifeminismus. Sexismus beschreibt die Diskriminierung aufgrund des (zugeschriebenen) Geschlechts. Egal ob individuell, institutionell oder strukturell – Sexismus ist in einer patriarchalen Welt irgendwie überall.

Doch nicht alles Sexistische ist antifeministisch. Die genannten Alltagsbeispiele zeigen: Hinter antifeministischen Angriffen stecken fast immer organisierte Akteur*innen, die eine politische und ideologisch motivierte Botschaft senden. Auch wenn „TradWife8“ wirkt wie eine wütende Einzelperson: Die Unterstützung von anderen, ähnlich tickenden Use­r*in­nen ist kein Zufall. Cyber- oder Trollmobs können sich hervorragend organisieren und dabei anonym bleiben.

Was hat „TradWife8“ noch mit den Sticker-Menschen oder Geg­ne­r*in­nen des Genderns gemein? Vermutlich reiben sie sich gern an einem oder mehreren der folgenden Themen: an Geschlechtergerechtigkeit, sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, körperlicher und geschlechtlicher Selbstbestimmung oder selbstbestimmten Lebens- und Liebensformen. Das in einer Manier, die meist bewusst strategisch und pauschalisierend ist. Zielscheibe sind oft Menschen oder Organisationen, die sich für die genannten Themen starkmachen.

Diese schwierige, da sehr feine Unterscheidung zwischen Sexismus und Antifeminismus ist notwendig, um bestimmte Phänomene präziser erkennen und analysieren zu können. Antifeminismus kann in zugespitzter Form den Weg für Gewalttaten und Hassverbrechen ebnen. Er hat ein beachtliches Radikalisierungspotenzial, online wie analog.

Antifeministische Tatmotive werden zu selten erkannt

Das zeigt sich nicht zuletzt bei Attentaten der vergangenen Jahre. So versuchte im Jahr 2019 ein 27-jähriger Neonazi, in Halle an der Saale am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur die Synagoge zu stürmen. Er scheiterte und tötete stattdessen die Passantin Jana Lange und den Gast eines naheliegenden Döner-Imbisses, Kevin Schwarze. Zahlreiche Menschen wurden bedroht und verletzt.

Der Attentäter streamte seine Tat live und auf Englisch im Internet. Er veröffentlichte ein Manifest – so wie schon andere Attentäter vor ihm, die ihn inspirierten. Mehrere von ihnen bezogen sich auf die Verschwörungserzählung des „großen Austauschs“, in der Ju­den*­Jü­din­nen, Feminismus und Migration Schuld an der sinkenden (weißen) Geburtenrate im Globalen Norden haben.

Wie so oft verschränkte sich auch im Fall Halle Antifeminismus mit anderen demokratiefeindlichen Phänomenen: Rassismus, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit – you name it. Doch wird ein antifeministisches Tatmotiv bisher viel zu selten erkannt und benannt.

Dabei ist diese Verschränkung kein Nebeneffekt, sondern zentral. Antifeministische Ak­teu­r*in­nen imaginieren in der Regel eine Bedrohung von außen durch „andere“. Stabilität finden sie, indem sie an eigenen traditionellen Normen festhalten, während die Schuld für die eigene Verunsicherung projiziert wird: auf etwas, das von diesen Normen abweicht. Deshalb funktioniert Antifeminismus besonders gut in Krisenzeiten.

Antifeminismus ist vor allem charakteristisch für die Ideologie der extremen Rechten. Diese nutzt antifeministische Politik gern als strategisches Vehikel: Starre binäre Geschlechter- und Rollenvorstellungen wieder en vogue machen, um damit gegen alte Feindbilder zu hetzen. Wenn die antifeministischen Ideen der Rechten gesellschaftsfähig werden, werden beispielsweise auch Trans- oder Homofeindlichkeit oder rassifizierte Geschlechter gesellschaftsfähiger.

Wer aber jeden Antifeminismus allein in die rechte Ecke schiebt, macht es sich zu einfach. Man kann sich Antifeminismus als antiliberale und demokratiefeindliche Brücke vorstellen, als Scharnier oder Kleber, der zum Beispiel Rechte mit religiösen Fun­da­men­ta­lis­t*in­nen zusammenbringt. Er verbindet extrem gut, auch transnational, und schafft durch gemeinsame Feindbilder ein kollektives Gefühl. So können verschiedenste Ak­teu­r*in­nen unterschiedlicher Ideologien einen gemeinsamen Nenner in ihren antifeministischen Einstellungen finden.

Wissenschaftler*innen, die auf längst widerlegten Biologismen beharren, teilen mit rechten Po­li­ti­ke­r*in­nen cis-heteronormative Geschlechtervorstellungen, die Geschlechterrealitäten außerhalb gewisser traditioneller Normen diskriminieren. Manche dogmatisch Religiöse beharren auf dem Gedanken, Frauen hätten gegenüber Männern bestimmte dienende Funktionen zu erfüllen, zum Beispiel Kinderkriegen – und dürften deswegen keinesfalls selbst über das Austragen oder Abbrechen einer Schwangerschaft entscheiden. Auch sogenannte Incels tauschen sich in Onlineforen gerne darüber aus, dass Frauen ihnen zustünden und Dienstleistungen zu erbringen hätten. Sie nennen es Sex.

Don’t get it wrong. Bei Antifeminismus geht es nicht um banale Meinungsverschiedenheiten oder unterschiedliche Weltanschauungen. Vielmehr geht es um Diskursverschiebungen hin zu Menschenfeindlichkeiten und gewaltvollen Aussagen, die letztlich bestimmte Menschengruppen abwerten. Diese Einsicht kann ziemlich ohnmächtig machen. Trotzdem ist es wichtig, dass jene, die sich für Antidiskriminierung, Menschenrechte und Demokratie einsetzen, auch bei Antifeminismus am Ball bleiben.

Wichtig ist eine gesamtgesellschaftliche Sensibilisierung für dieses Thema. Aber das allein reicht nicht. Es braucht Solidarität. Antifeministische Ak­teu­r*in­nen wollen bewusst jene Stimmen mundtot machen, die sich kritisch, emanzipiert oder feministisch in der Öffentlichkeit äußern. Sie wollen sie zum Rückzug drängen. Besonders hart trifft der Silencing-Effekt jene, die ohnehin mehrfach marginalisiert werden – Frauen of Color zum Beispiel oder trans Personen. Im Fokus stehen insbesondere Einzelpersonen und kleinere Organisationen der offenen demokratischen Zivilgesellschaft.

Antifeminismus konstruiert eine breite Palette an Betroffenengruppen zu Feindbildern. Doch darin liegt auch ein empowerndes Potenzial, und zwar für ebenso breite demokratische Bündnisse. Zusammen lässt sich eben einfacher Haltung zeigen.

Das kann übrigens auch geschehen, indem man emanzipatorische und (intersektional-)feministische Ideen einfach nur befürwortet. So bekommen die scheinbar vereinzelten Stimmen Rückenwind aus der breiten Masse – und der Nährboden für antifeministische Angriffe wird kleiner.

Man muss nicht selbst Ak­ti­vis­t*in sein, um sich für eine vielfältige und demokratische Gesellschaft einzusetzen. Denen, die sich aktiv einbringen, den Rücken freizuhalten: Auch das ist wichtige Arbeit gegen Antifeminismus.

Sandra Ho ist im Gunda-Werner-Institut Referentin im Verbundsprojekt „Antifeminismus begegnen – Demokratie stärken“. Zuvor hat sie in unterschiedlichen Kontexten zu (Anti-)Feminismus, Antirassismus, Geschlecht, Intersektionalität und Medien gearbeitet.

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Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.

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