Atomwaffen in Nordkorea: Stolz zeigt Kim sein Arsenal

Nordkorea hat mittlerweile mehr atomwaffenfähige Interkontinentalraketen, als die USA abfangen könnten. Den Preis zahlt die eigene Bevölkerung.

Interkontinentalraketen vor jubelnden Zuschauern

Protzbild der nordkoreanischen Presseagentur KCNA Foto: KCNA

PEKING taz | In der Nacht auf Donnerstag ließ Kim Jong Un die Innenstadt Pjöngjangs mit grellen Scheinwerfern bestrahlen, bat das jubelnde Volk zur Choreografie und ließ die führenden Parteikader auf riesigen Tribünen Platz nehmen: Der 75-jährige Jahres anlässlich der Gründung der nordkoreanischen Streitkräfte fiel standesgemäß aus. Machthaber Kim, im schwarzen Mantel und „Humphrey Bogart“-Hut gekleidet, lächelte ausgelassen zur Parade.

Und dank moderner Satellitentechnologie ist die Weltöffentlichkeit nicht mehr ausschließlich auf die Fotoaufnahmen der staatlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA angewiesen, sondern kann zusätzlich auf dokumentarisches Material aus der Luft zugreifen.

Was auf den Bildern zu sehen ist, lässt einen deprimierenden Rückschluss zu: Noch nie hat Nordkorea so viele atomwaffenfähige Interkontinentalraketen aufgefahren. Und die Armee hat offenbar ein neues Raketensystem mit Feststoffantrieb vorgestellt, welches die Sprengköpfe wesentlich schneller zum Abschuss bereitmacht.

Vor allem die mindestens elf Interkontinentalraketen des Typs Hwasong-17 dürften Washington einen ziemlichen Schrecken eingejagt haben. Denn auch wenn es auf den ersten Blick überraschen mag: Das bitterarme Nordkorea stellt für die USA eine zunehmend ernste Bedrohung dar.

Vier Sprengköpfe

Die USA verfügen zwischen Alaska und Kalifornien über 44 bodengestützte Abfangjäger, die eine Interkontinentalrakete während des Flugs zerstören können. Geht man davon aus, dass Nordkorea pro Rakete je vier Sprengköpfe montieren kann, übersteigt dies also – bei einem gleichzeitigen Abschuss des gesamten Arsenals – die Kapazitäten der US-Abwehr.

Die Hwasong-17 kann die notwendige Distanz fliegen, um die US-Westküste zu erreichen. Bislang aber noch nicht bewiesen: ob Nordkoreas Militär die sogenannte Wiedereintrittstechnologie gemeistert hat. Sprengköpfe fliegen bei solchen Reichweiten derart hoch, dass sie vorübergehend aus der Erdatmosphäre aus- und wieder eintreten. Zu verhindern, dass der Flugkörper dabei verbrennt, zählt zu den Königsdisziplinen der Ingenieurskunst.

Zweifelsohne hat Kim Jong Un so offen wie selten demonstriert, dass er – allen Sanktionen zum Trotz – an der nuklearen Abschreckungsstrategie gegen die USA festhält. Dafür nimmt das Regime das eigene Volk in Geiselhaft: Das sündhaft teure Raketenprogramm frisst nicht nur die knappen Ressourcen des bitterarmen Landes, sondern verhindert auch, dass Nordkorea jemals aus der wirtschaftlichen Isolation herauskommt.

Doch vielleicht, so glauben immer mehr Experten, ist dies auch gar nicht gewollt: Die pandemiebedingte Abschottung spielt dem paranoiden Regime in die Hände. Man möchte sich unabhängig vom Außenhandel machen, absolut autark sein. Dass aufgrund jener Strategie Millionen Menschen unter Mangelernährung leiden, ist für die Machthaber zweitrangig.

Im Visier

Darüber, was das „end game“ von Kims Nuklearkurs ist, wird unter Beobachtern und Forschern heftig debattiert. Thae Yong Ho – ehemaliger nordkoreanischer Botschafter, der nach seiner Flucht 2016 die Seiten wechselte und mittlerweile im südkoreanischen Parlament sitzt, – glaubt, dass Nordkorea sein Atomprogramm ausnutzen wird, um eine Wiedervereinigung mit dem Süden zu erzwingen. Wenn die Raketen Pjöngjangs auch die US-Westküste ins Visier nehmen können, dürfte es sich Washington doppelt überlegen, ob die USA bei einer nordkoreanischen Invasion den Verbündeten in Seoul militärisch helfen.

Noch sind solche Szenarien Gedankenspielereien. Dieser Tage dürfte das nordkoreanische Militär unter banaleren Problemen leiden: etwa, ob es über genügend Benzin für seine Panzer verfügt, oder ob es seine Hunderttausenden Soldaten ausreichend ernähren kann.

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