Erdbeben in der Türkei und Syrien: Hilfe als Politikum

Während die Türkei schnell Erdbebenhilfe kriegt, bekommen Menschen in Syrien nicht viel davon mit – unter anderem wegen politischer Konflikte.

Menschen stehen auf Trümmern

Auf der Suche nach Überlebenden in Jindiris, Nordsyrien Foto: Ghaith Alsayed/ap

Während die internationale Erdbebenhilfe in der Türkei auf vollen Touren läuft, kämpfen die Helfer mit der Unterstützung der syrischen Erdbebenopfer. Das hat logistische, aber auch politische Gründe.

Etwa die Hälfte der Menschen, die in Syrien betroffen sind, leben in den Rebellengebieten im Norden des Landes, die andere Hälfte in Gebieten, die vom Regime kontrolliert werden. Nirgends kommt annähernd vergleichbare Hilfe wie in der Türkei an.

Die Rebellengebiete werden normalerweise über die Türkei versorgt, aber die Wege dorthin sind wegen der Schäden kaum passierbar. Derzeit wird die Alternative diskutiert, diese Gebiete via vom Regime Assad kontrolliertes Territorium zu beliefern. Und auch in Regimegebieten, etwa in Aleppo, ist die Not groß. In beiden Fällen fordert Baschar al-Assad, dass die Hilfslieferungen mit ihm koordiniert werden müssen. Und hier wird es politisch.

Westliche Länder boykottieren das Assad-Regime wegen dessen brutalen Umgangs mit seiner Bevölkerung. Jetzt diskutieren sie, ob sie die Hilfe an Assad vorbei organisieren können. Die Länder wollen alles vermeiden, was nach einer Anerkennung Assads aussieht. „Es wäre ironisch und kontraproduktiv, mit einer Regierung zusammenzuarbeiten, die ihre eigene Bevölkerung zwölf Jahre lang so brutal behandelt hat“, sagt Ned Price, ein Sprecher des US-Außenministeriums.

Assad will die Sanktionen fallen sehen

Der syrische UN-Botschafter Bassam Sabbagh insistierte dagegen am Montag, dass sämtliche Erdbebenhilfen nach Syrien mit der Regierung koordiniert werden müssen. Doch damit nicht genug: Assad und sein Regime nutzen die Gunst der Stunde, um die Aufhebung der gegen sie verhängten Sanktionen zu fordern. Nur so könne den Erdbebenopfern geholfen werden, argumentieren sie. Beides sind derzeit kaum realistische Szenarien.

Denn das Regime hält die kontrollierten Territorien fest im Diktaturgriff, hier geschieht nichts ohne Assads Zustimmung. Und auch der Versuch des Regimes, ein Ende der Sanktionen als einzigen Weg zu verkaufen, um Erdbebenhilfe zu organisieren, entspricht nicht der Realität.

Die Zeit drängt

Denn die UNO organisiert seit 2014 humanitäre Hilfe auch in den Regimegebieten – welches zum Großteil von westlichen Staaten finanziert wird. Im Übrigen wird die Hilfe immer wieder diskutiert, da auch Assad von diesen UN-Lieferungen profitiert. Etwa durch einen künstlichen Wechselkurs, der sicherstellt, dass die Hälfte des Geldes in Regimehänden landet.

Fakt ist: Es wird weder eine Erdbebenhilfe ganz ohne Assad noch ein Aufheben der Sanktionen geben. Alles dazwischen ist jetzt Verhandlungssache. Das Positive dabei ist: Die Regimegebiete brauchen die Erdbebenhilfe genauso dringend wie die Rebellengebiete. Das erzeugt Verhandlungsspielraum. Nun muss ein Weg gefunden werden, wie möglichst viel Erd­bebenhilfe mit möglichst wenig Assad verteilt werden kann. Die Zeit drängt.

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Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

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