Franz Radziwill-Stück in Oldenburg: Theater outet Antisemiten

Das Oldenburgische Staatstheater widmet dem Maler Franz Radziwill eine theatrale Werkschau. Darin belegt: bislang unbekannte antisemitische Äußerungen.

Menschen sitzen an einem Tisch. Auf Gaze davor ist ein durchschimmernder Kassettenrekorder projiziert

Investigatives Theater hinterm Gaze-Vorhang: Szene aus Oldenburgs Radziwill-Stück Foto: Stephan Walzl/Staatstheater Oldenburg

„Wir standen also vor der Wahl zwischen falsch und falsch“: So heißt es zum Höhepunkt vom Bühnenrand – „und haben uns für falsch entschieden“. Dann läuft ein Interview vom Band, das der Maler Franz Radziwill im März 1982 gegeben hat. Im Playback nachgespielt, spricht der alte Mann eineinhalb Jahre vor seinem Tod über die Juden, im Nazijargon von dem „unruhigen Volk“, das an seiner Vernichtung letztlich selbst schuld gewesen sei.

Auch der erschrockene Interviewer ist zu hören: Mehrfach lädt er den Künstler ein, das vielleicht ja doch nur so Dahingesagte zu relativieren. Im letzten Anlauf versucht er es über Empathie: Was, wenn er nun selbst Jude gewesen wäre, also Radziwill, damals im „Dritten Reich“? Aber nein – und da klingt der bis dahin eher fahrig und altersverwirrt scheinende Maler dann doch sehr entschieden: Das Jüdische, das sei ihm völlig wesensfremd!

Sätze wie diese waren von Radziwill bislang unbekannt, sowohl der Kunsthistorie als auch der Familie des Malers, dem das Oldenburgische Staatstheater zum 40. Todesjahr das Stück „Radziwill oder der Riss durch die Zeit“ gewidmet hat. Der Journalist mit dem Tonbandgerät hatte das Gespräch damals nicht veröffentlicht, aber aufgehoben – und nun dem Produktionsteam um Regisseurin Luise Voigt zur Verfügung gestellt. Was auch heißt: Das Stück war längst in der Entwicklung, kann also kaum im Verdacht stehen, als Vorwand dieser Enthüllung von Radziwills Antisemitismus herumkonstruiert zu sein.

Es klingt auch tatsächlich sehr aufrichtig, dieses Ringen um die richtige falsche Entscheidung: Entweder den Antisemitismus weiter totzuschweigen oder aber einen alten Mann bloßzustellen, der wenige Minuten zuvor schon nicht mehr in der Lage war, sich zu erinnern, in welchem Museum sein Hauptwerk noch gleich hängt. Das ist eine ethische Frage, aber eben auch eine ästhetische, die den Charakter des ganzen Stücks betrifft, mit dem man ja offensichtlich etwas ganz anderes vorhatte.

Aufrichtiges Ringen

Und nun ist das Interview eben drin, als eins von unzähligen Fragmenten, die auf der Bühne nebeneinander stehen, mal widersprüchlich, mal richtiggehend miteinander kollidierend. Da wäre zunächst das Biografische: Radziwills Maurerlehre in Bremen, sein Wirken in Dresden, wo Otto Dix ihn porträtiert und er selbst nicht so recht Fuß fasst zwischen Neuer Sachlichkeit, kritischem Realismus und romantischen Nachwehen.

Natürlich ist Dangast am Jadebusen Thema, wo Radziwill zur Natur fand und zum Licht und den intensiven Farben, die sein Werk bestimmen und seinen schwer zu fassenden surrealen Einschlag in die Landschaftsmalerei ausmachen. Na ja, und natürlich ist auch vom Krieg die Rede.

Fürs Auge ist schlichtweg bezaubernd, wie Stefan Bischoffs Videographie zahlreiche Gemälde Radziwills auf Maria Strauchs Bühne holt. Projiziert auf Perspektive schaffende Riesenwände werden sie begehbar von Schau­spie­le­r:in­nen in Kostümen seiner Figuren. Selbst wo Bildelemente animiert werden, sich drehen oder über die Wände fliegen, scheint das stets sehr darauf bedacht, bereits auf der Leinwand angelegte Bewegungsmomente aufzugreifen.

Doch vor allem einer sperrt sich gegen diese Bildrekonstruktion: Schauspieler Thomas Lichtenstein, der einen alten und zugleich sonderbar zeitlosen Radziwill verkörpert. Im strengen grau-braunen Anzug interpretiert er mal im Playback eingespielte Interviews, meldet sich aber wieder auch selbst in langen Zitaten zu Wort – „über spitze Steine stolpernd“, wobei die Mundart hier in Oldenburg bemerkenswerterweise gar nicht so besonders regionalisierend wirkt, sondern eher aufs Alter verweist. Weil heutzutage eben auch hier kaum noch wer so spricht – es aber trotzdem je­de:r von früher noch kennt.

Gespenstisch fühlt sich das an, überhaupt die ganze Produktion über den Künstler und Menschen, der wie aus der Zeit gefallen zwischen seinen Bildern, seinen Zitaten und Erlebnissen herumgeistert. Gewirkt hätte das wohl auch ohne den etwas bemüht heran zitierten Shakespeare: „The time is out of joint“, heißt es mehrfach auf Englisch in den Worten, mit denen Hamlet die Geistererscheinung seines toten Vaters beschreibt.

Es wirkt jedenfalls eher sphärisch als historisch, wenn Lichtenstein auf Radziwills riesenhaften Stahlhelm klettert, Licht über die Backsteinwände norddeutscher Vorkriegsstädte wandert, oder die Industrialisierung am Deich einsetzt. Handlung gibt es nicht, dafür allerlei assoziative und reflektierende Textbrocken: Auszüge philosophischer Einlassungen von Gior­gio Agamben oder Alexander Kluge etwa zur Zeitlichkeit im Großen und Ganzen.

Dass Radziwills Verhältnis zum Nationalsozialismus auch vor dem Stück schon schwierig war, kommt selbstredend auch vor; am prägnantesten in einer Büttenrede über Weser-Ems-Gauleiter Carl Röver, der in den ersten Jahren mit Erfolg versuchte, von Oldenburg aus die Kulturpolitik des Nationalsozialismus maßgeblich zu gestalten: Ob er nun „Thingstätten“ im Umland errichten ließ, oder eben die schützende Hand hielt über anderswo bereits als „entartet“ geltende Künstler – wie Franz Radziwill.

Bis zum Hals im Diskurs

Das ist viel Stoff, manchmal mehr als die Klammer Radziwill zu fassen vermag: Klima-Aktivismus kommt vor, auf ein Gemälde geklatschter Kartoffelbrei und die inzwischen doch eher klischeehaft unterstellte Ratlosigkeit einer „Generation Y“, zu der schließlich auch die Regisseurin und große Teile des Ensembles zählen.

Ähnlich unerwartet, aber deutlich produktiver dockt man an zeitgenössische Popfragen an: Retromanie etwa und die Phantome ausgebliebener Zukünfte. Ganz besonders dürfte das an Frederik Werths Sounddesign liegen, Der schafft hier einen musikalischen Raum, durchzogen von verblassenden und darum eben trügerischen Erinnerungen an die elektronische Musik der 1980er-Jahre durchzogen.

Radziwill oder der Riss durch die Zeit“ ist im Staatstheater Oldenburg zu sehen. Weitere Infos, Termine und Tickets gibt es hier.

„Radziwill oder der Riss durch die Zeit“ ist nicht die Biografie, die der Anlass erwarten ließ – aber sehr viel mehr als die begehbare Werkschau, nach der es sich zunächst anfühlt. Dass der Abend sich wegen seiner Überfülle nicht reibungslos einfügt ins nicht zuletzt touristisch erschlossene Radziwill-Programm zwischen dem berühmten Künstlerhaus in Dangast und dem Oldenburgischen Landesmuseum, macht ihn gerade besonders interessant.

Und eben auch wegen der „falschen Entscheidung“ dürfte er gute Chancen haben, von nun an mitzuspuken im wieder etwas aufregender gewordenen Diskurs um diesen sonderbaren Maler und verwandte Gespenster.

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