Karneval im Rheinland: Alaaf ist net ferkeet

Krieg, Erdbeben, Leid und Tod – und im Rheinischen tanzen die Jecken? Sollen sie ruhig, denn der Karneval war und ist immer auch politisch.

Karnevalist:innen in Köln

Weiberfastnacht: Kar­ne­va­lis­t:in­nen feiern vor dem Kölner Dom am 16. Februar Foto: Oliver Berg/dpa

Darf man hierzulande feiern, wenn anderswo Bomben fliegen, Häuser einstürzen, Menschen sterben, gefoltert und vergewaltigt werden? Kinder ihre Eltern verlieren und Abertausende ihre Existenz? In der Ukraine tobt seit einem Jahr ein fürchterlicher Krieg, in der Türkei und in Syrien hat es eins der schlimmsten Erdbeben der vergangenen einhundert Jahre gegeben. Und die Deutschen kommen auf die Idee, im Ritter- und Marienkäferkostüm auf den Straßen zu tanzen und sich dabei die Kante zu geben.

Ja, die spinnen, die Kölner, Mainzer, Düsseldorfer – jedenfalls aus Berliner Sicht. Mit großen Augen schauen Nichtrhein­län­de­r:in­nen auf die „fünfte Jahreszeit“: Kinder bekommen in diesen Tagen schulfrei, sonst so unabkömmliche Ma­na­ge­r:in­nen verabschieden sich in den Urlaub und schalten ihr Handy ab. Straßenbahnen fahren nicht, weil die Umzüge die Magistralen verstopfen, Straßenzüge werden für Karnevalsumzüge gesperrt und Busse umgeleitet.

Aus ostdeutscher Perspektive mutet die Karnevalsextase ähnlich befremdlich an. Die Bür­ge­r:in­nen zwischen Dresden und Warnemünde haben beim Fasching früher auch die Sau rausgelassen. Aber auf die Idee, sich auf der Straße mit Bonbons zu bewerfen, sich in Kneipen zu quetschen, in die nicht mal mehr eine Maus passt, und dabei „Et jeilste Land“ und „Dicke Mädchen haben schön Namen“ zu trällern, kamen sie nie. Aber soll ja jede und jeder Spaß haben, wie es ihr und ihm gefällt. Gern auch im Hasenkostüm. Und wenn es unbedingt sein muss, auch mit Vollrausch. Das Vorhaben „nie wieder Alkohol“ hält in den meisten Fällen ohnehin nicht länger als bis zur Ausnüchterung.

Die Vehemenz, mit der die Jecken – ja, so neckisch bezeichnen sich Kar­ne­va­lis­t:in­nen selbst – jetzt ihre Ausgelassenheit zelebrieren, ist verständlich. Kontakt- und Feierverbote infolge der Pandemie haben die schunkelbedürftigen Seelen arg gebeutelt, drei Jahre ausgefallene Narrenfreiheit wollen nun heftiger denn je nachgeholt werden.

Und ja, auch in Zeiten wie diesen – so zynisch das klingen mag. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist nicht schneller beendet, wenn der Karneval aus politischen Gründen wieder nicht stattfindet. Und: Der Karneval war immer politisch – und ist es in diesem Jahr mehr denn je. So nimmt laut Karnevalsorganisation ein Umzugswagen Putin aufs Korn, man sieht, wie er die Erde durch einen Fleischwolf dreht. Die Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien werden solidarisch bedacht. Selbst beim Kinderkarneval spielt der Krieg eine Rolle: So sind in Kasseler Kitas diesmal Spielzeugpistolen verboten. Das sollte zwar grundsätzlich so sein, zeigt aber, dass sogar im Karneval etwas Lehrreiches steckt.

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Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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