Krieg in der Ukraine: Im Jahr eins der Zeitenwende

Die Welt kann im Kampf gegen Russland nicht einlenken. Auf der Sicherheitskonferenz geht es darum, möglichst wenig Fehler zu machen.

Ein Militärwagen fährt an einem nicht explodierten Geschoss vorbei

Der Angriff auf die Ukraine war eine Zäsur, von der es kein Zurück mehr gibt Foto: Alex Chan Tsz Yuk/Zuma Press/imago

In diesen Tagen jährt sich der brutale russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Damit sind rund 12 Monate vergangen, in denen die Welt zurückgefallen ist in sich bekämpfende Blöcke, weg von der vermeintlichen Gewissheit, dass es wenigstens in Europa eine gesicherte Friedensordnung gäbe. Die Welt ist eine andere und es gibt kein glaubwürdiges Szenario derzeit, das auch nur ansatzweise ein „Zurück“ in friedvollere Zeiten wagt.

Wenn in diesen Tagen die Münchener Sicherheitskonferenz tagt, so wird das allbeherrschende Thema der Krieg sein, das Jahr eins der Zeitenwende. Galt das Forum einst als Treffpunkt für den Austausch unterschiedlichster Positionen, so haben die Organisatoren der Konferenz allein durch die Teil­neh­me­r:in­nen­lis­te unmissverständlich klar gemacht, auf welcher Seite sie stehen. Der Aggressor Russland ist nicht eingeladen – im vergangenen Jahr, wenige Tage vor Kriegsbeginn, hatte Russlands Außenminister Lawrow noch von sich aus abgesagt, zum ersten Mal seit vielen Jahren. Geworben wird um Schwellenländer wie Indien oder Brasilien, der Globale Süden spielt eine tragende Rolle. Wohlweislich ist auch eine große Delegation aus China eingeladen. Auch hier will man die Türen nicht schließen, sondern Wege ausloten.

Wahr ist aber auch, dass die vergangenen Monate geprägt waren von der bitteren Erkenntnis, dass Dialog, Diplomatie, wirtschaftliche Beziehungen oder Sanktionen weder einen Krieg verhindern noch beenden. Um die Ukraine auch nur annähernd in eine Verteidigungsposition gegenüber Russland zu bringen, musste ihr Militär aufgerüstet werden und wird dies auch noch in naher Zukunft von den westlichen Verbündeten. Es geht um Panzertypen, Kurz- oder Langstreckenwaffen, Luftabwehrsysteme, Kampfjets. Ist die Sicherheitskonferenz in Wahrheit nicht eine Kriegskonferenz? Viele Friedensbewegte und An­hän­ge­r:in­nen eines vergangenen Pazifismus würden dies sicher so unterschreiben.

Doch einfache Antworten gibt es nicht. Es gilt eben nicht oder nicht mehr die Stärke einer vereinbarten völkerrechtlichen Basis. Sondern schlicht das Recht des Stärkeren. 2022 fand die Siko wenige Tage vor dem russischen Großangriff auf die Ukraine statt. Heute mutet es naiv und merkwürdig an, dass westliche Staaten über Jahre hinweg die Kriegsgefahr ignoriert oder mindestens unterschätzt haben. Und das, obwohl Tausende russische Soldaten im Grenzgebiet zur Ukraine sichtbar stationiert wurden, die brutalen Worte von Russlands Präsident Putin eben nicht verpufften.

Jetzt gilt Solidarität

Jetzt gilt also Solidarität mit dem Land, das angegriffen wurde, mit der Bevölkerung, die unterjocht, wenn nicht „ausgelöscht“ werden soll. Solidarität heißt auch, der Ukraine abseits von Aufrüstung die Chance zu geben, dem Aggressor die Stirn zu bieten. Milliarden werden mitten im Kriegsgeschehen in den Wiederaufbau vor Ort gesteckt, es wird über wirtschaftliche Stabilisierung nachgedacht, investiert. Auch an dieser Front wird aufgerüstet, was von Waf­fen­geg­ne­r:in­nen oft verkannt, unterschätzt oder verschwiegen wird. Natürlich ist auch der beschleunigte EU-Beitrittsprozess ein eindeutiges politisches Signal an Russland. Unausgesprochen ist noch, wie die tiefe Wunde zwischen den beiden Kriegsnationen jemals geheilt werden kann.

Die Münchner Sicherheitskonferenz ist eigentlich ein Format zu persönlichem Gespräch zwischen Regierenden und Expert:innen, sie bietet die Chance zum Nachdenken über langfristige Sicherheitsperspektiven. Genau das ist in Kriegszeiten kaum möglich – wer öffentlich und ehrlich seine Optionen, Ziele und Grenzen diskutiert, schwächt die eigene Position.

Offene Diskussion unmöglich

Natürlich wird im Westen hinter verschlossenen Türen längst darüber nachgedacht, zu welchen Zugeständnissen die Ukraine womöglich irgendwann bereit sein muss und wie Russland langfristig davon abgehalten werden kann, erneut Staaten anzugreifen. Sicherheitsgarantien und ihre militärische Absicherung, neue Bündnisse mit und ohne Nato-Mitgliedschaft, die Verlockung der Aufhebung von Sanktionen – all diese und weitere Elemente sind in der Abwägung. Diese Diskussion über Ziele und Instrumente aber offen zu führen würde zunächst nur die Position der Ukraine schwächen.

Naiv wäre zu denken, die Blockbildung in der Welt lasse sich leicht wieder zurückdrehen. Ebenso naiv wäre es zu behaupten, dass die Welt im Kampf gegen den russischen Aggressor einlenken könne. Zu viel steht auf dem Spiel und zu groß ist die Sorge, dass Putins Vorgehen anderen Diktatoren Vorbild sein könnte. Langfristig darf weder eine Blockhaltung noch der Nachschub an Kriegsgerät den Weg für Dialog versperren. Wie der Krieg um die Ukraine enden wird, wird entscheidend die Sicherheitsarchitektur der Welt prägen. Deshalb gilt es, jetzt möglichst wenige Fehler zu machen.

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Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Seit März 2024 im Ressort ausland der taz, zuständig für EU, Nato und UN. Davor Ressortleiterin Inland, sowie mehrere Jahre auch Themenchefin im Regie-Ressort.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

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