Nach Angriff im Regionalzug: Mit KI gegen Messerattacken

Hamburg zieht Konsequenzen aus dem tödlichen Angriff bei Brokstedt. Aus U-Haft Entlassene sollen betreut werden und Behörden besser kommunizieren.

Innensenator Andy Grote (SPD) und Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) im Phönixsaal des Hamburger Rathauses

Vorwärtsverteidigung: Innensenator Grote und Justizsenatorin Gallina stellen ihr Maßnahmenpaket vor Foto: Georg Wendt/dpa

HAMBURG taz | Direkt vor einer eigens anberaumten Sitzung des Hamburger Justizausschusses zum Messerangriff von Brokstedt hat der Senat versucht, in die Vorhand zu kommen. Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) und Innensenator Andy Grote (SPD) stellten die Maßnahmen vor, mit denen sie Konsequenzen aus dem Vorfall ziehen wollen.

Bei der Attacke am 25. Januar hatte ein offenbar staatenloser Palästinenser zwei Menschen umgebracht und vier weitere verletzt. Zwei davon liegen noch immer im Krankenhaus, schweben aber nicht mehr in Lebensgefahr. Der Angreifer Ibrahim A. war erst eine Woche zuvor nach einjähriger Haft aus dem Hamburger Untersuchungsgefängnis Billwerder entlassen worden. Die Entlassung war rechtlich zwingend, weil er auch bei einer Verurteilung nicht länger hätte einsitzen müssen.

In der Anhörung des Justiz­ausschusses kam auch eine Äußerung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zur Sprache, nach der Ibrahim A. unter bestimmten Umständen hätte abgeschoben werden können. „Wir haben versucht, an ihn ranzukommen, und hätten wir gewusst, dass er in U-Haft sitzt, hätten wir ihn anhören und dann abschieben können“, sagte Faeser der dpa.

Wie Frank Schimmelpfennig vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bestätigte, hätte seine Behörde wissen müssen, wo sich Ibrahim A. aufhielt, um überhaupt tätig werden zu können. Einer Abschiebung hätten dann aber noch einige Hürden entgegengestanden, weil A. an verschiedenen Stellen hätte vor Gericht ziehen können.

Warum das Bamf den Aufenthaltsort nicht kannte, ist unklar. Schimmelpfennig zufolge hatte es im Januar 2022 zumindest Unterlagen zu Ibrahim A. in Kiel angefordert. Zudem war das Bamf nach Aussage von Justizsenatorin Gallina durch die Kieler Ausländerbehörde im Verteiler.

Kommunikation soll besser werden

Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Behörden der Länder und des Bundes ließ in dem Fall allgemein zu wünschen übrig. Das lag auch daran, dass E-Mails zum Teil nicht beantwortet wurden, komplett untergingen oder jedenfalls nicht in Akten erfasst wurden. „Lediglich die Mitteilung des Hamburger Landgerichts nach der Messerattacke ist bei uns aktenkundig“, sagte der Kieler Stadtrat Christian Zierau.

Ebenso wie die Staatssekretärin im schleswig-holsteinischen Sozialministerium, Marjam Samadzade, wies er darauf hin, dass der formlose, gesprächsartige Austausch per E-Mail fehleranfällig sei. Das liege auch daran, dass die Einwanderungs- und Ausländerbehörde überlastet sei. „Wir sind am Limit“, sagte Zierau. Umso wichtiger sei es, den gesetzlich vorgeschriebenen Weg förmlicher Mitteilungen zu wählen.

Eine bessere Kommunikation zwischen den Behörden gehört deshalb auch zu den Maßnahmen des Senats. Dabei soll klarer gefasst werden, welche Ausländerbehörde zuständig ist und sichergestellt werden, dass sie alle relevanten Informationen erhält.

Sofort wollen die Hamburger Behörden alle gewalttätigen Untersuchungsgefangenen, die psychisch auffällig, aggressiv oder drogenabhängig sind, im Rahmen von Fallkonferenzen einschätzen, um Gefahren vorbeugen zu können. Sämtliche Hinweise auf extremistische Haltungen sollen an den Verfassungs- und den Staatsschutz weitergegeben werden. Ibrahim A. hatte einem Justizbediensteten gesagt: „Es gibt nicht nur einen Anis Amri, es gibt mehrere, ich bin auch einer.“ Das war aber als nicht bedeutsam eingestuft worden.

Mit Blick auf Untersuchungsgefangene versprach Gallina einen Paradigmenwechsel. „Wir haben uns vorgenommen, stärker am Menschen entlang zu arbeiten“, sagte sie. Anders als Strafgefangene erhalten U-Häftlinge bei ihrer Entlassung bisher kaum Hilfen – schließlich sind sie ja nicht verurteilt. Gallina will deshalb das Hamburgische Resozialisierungs- und Opferhilfegesetz überarbeiten. Im Zuge dessen will sie „Übergangscoaches“ in der U-Haft einführen, die die Gefangenen begleiten.

Der rot-grüne Senat will auch dafür sorgen, dass mehr ausländische Straftäter abgeschoben werden. Dazu soll es mehr Abkommen mit den Herkunftsstaaten geben. Zudem empfiehlt der Senat sein Modell der Gemeinsamen Ermittlungs- und Rückführungsgruppe ausländischer Straftäter, bei dem verschiedenen Behörden eng zusammenarbeiteten.

Um Vorfälle wie bei Brokstedt künftig zu verhindern, schlug Innensenator Grote vor, auch Regional- und Fernzüge in Zukunft standardmäßig per Video zu überwachen. Die Bilder sollten in Echtzeit mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) auffällige Bewegungsmuster erfassen und ein Eingreifen ermöglichen.

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