Ausstellung „The F*Word“ in Hamburg: Frauen nicht mehr nur Objekte

Uuups! Künstlerinnen hat das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe bislang konsequent gemieden. Jetzt will es sich bessern.

Unter einem Teller mit einem Franzbrötchen und einem Krümel steht: Dieser Krümel steht für die Arbeiten von Frauen: 1,5 Prozent

Frauen sind ein verschwindender Rest: die MK&G-Sammlung aus Sicht der Guerilla Girls Foto: MK&G/Guerilla Girls

HAMBURG taz | Das Rosa der Wände im ersten Ausstellungsraum wird, wie zufällig, durch ein sattes Gelb aufgebrochen – als hätte ein*e Ma­le­r*in angefangen, den Raum zu streichen. Das scheinbar Unfertige irritiert kurz. Es ist Anfang Februar, „wir sind jetzt zwei Wochen vor Eröffnung“, sagt Julia Meer, aber fest steht: Die Irritation soll bleiben. Meers Stimme hallt durch die menschenleere Architektur, der Boden knarzt unter den Schritten, eine Oase der Stille im freitäglichen Besucher*innen-Betrieb des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe (MKG).

Nachhaltigkeitsüberlegungen hatten auch eine Rolle gespielt für die Entscheidung, den Anstrich der vorherigen auch für die kommende Ausstellung zu verwenden. Aber, sagt Meer, das Aufbrechen der eher biederen Grundfarben passe vor allem inhaltlich: Denn die Ausstellung „The F* Word – Guerilla Girls und feministisches Grafikdesign“, die am 17. Februar eröffnet, hinterfragt das Alte und markiert einen Aufbruch, eine Neuorientierung.

Julia Meer leitet seit zwei Jahren die Sammlung Grafik und Plakat des MKG. „The F* Word“ ist ihre erste große Ausstellung. Die Idee entstand 2021, als Meer das 100 Arbeiten umfassende Gesamtwerk des feministischen Künstler*innen-Kollektivs Guerilla Girls ankaufte und die New Yorker Gruppe kontaktierte. Die hatte sich 1985 gegründet – als Aufschrei gegen die Unterrepräsentanz von weiblichen und BIPoC, also Schwarzen, Indigenen sowie Künst­le­r*in­nen of Color, im Kunstbetrieb. Um darauf aufmerksam zu machen, zählten sie die von Frauen stammenden Werke im Metropolitan Museum of Arts. Das Missverhältnis ist drastisch: Im Jahr 1989 stammten nur 5 Prozent der gesammelten Werke von Frauen, während 85 Prozent der abgebildeten nackten Körper weiblich waren. Das Kollektiv, dessen Mitglieder als Kampfnamen die Namen berühmter Künstlerinnen tragen, kritisierte den „männlichen Blick auf den weiblichen Körper“ und die bestehenden Machtstrukturen in Museen.

Das Zählen ist weiterhin ein zentraler Bestandteil des Ansatzes, die entstehenden Statistiken formulieren sie auf Plakaten, Flyern und Broschüren. Ihre Arbeit habe sich in den letzten Jahren verändert, erzählt die Künstlerin, die sich Frida Kahlo nennt: „Während wir früher auf den Straßen New Yorks plakatiert haben, kommen heute Museen auf uns zu und fragen uns an, mit ihnen zusammenzuarbeiten und ihre Institution zu evaluieren.“

So auch Julia Meer. Sie wollte den Blick der Guerilla Girls einnehmen und zählen – einmal durch alle 400.000 grafischen Arbeiten des Museums für Kunst und Gewerbe: „Wir haben quasi die Hosen heruntergelassen und uns selbst als Institution unter die Lupe genommen. Die Erkenntnisse taten weh.“ Zusammen mit ihrem Team durchforstete sie die Gesamtwerksammlung, machte alle Schubladen auf, schrieb Namenslisten der Gestalterinnen und wertete diese aus. Das Ergebnis: 6.000 Werke konnten Frauen zugeordnet werden. Das entspricht 1,5 Prozent der Sammlung. „Ich dachte, wir haben uns verzählt“, so Meer. „Ich hatte in unserer Sammlung mit vielleicht 10 Prozent gerechnet.“

„The F*-Word“, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, bis 17. 9. 2023

Workshop „Aestheticize ur Activism“ mit The Guerrilla Girls, 18. 2.

Die Resultate dienten auch als Grundlage weiterer Statistiken. Sammlungsmanagerin Katharina Müller wertete unter anderem auch die Herkunft der Gestalterinnen aus. All diese Erkenntnisse wurden in einem Raum der Ausstellung zusammengefasst. Er dient der Selbstreflexion und Faktensammlung und bildet zusammen mit einer Auswahl der 6.000 Arbeiten von Gestalterinnen eines von drei Kapiteln der Ausstellung.

Dabei sei ihnen wichtig gewesen, aus allen Zeitepochen Arbeiten abzubilden. „Es gab immer aktive Grafikdesignerinnen, sie sind keine Ausnahmeerscheinungen“, sagt Meer. „Sie sind nur aus der Geschichte herausgeschrieben worden.“ Die Ausstellung bringt die Arbeiten miteinander in Dialog, durch Form – und Farbgebung werden Verbindungslinien geschaffen und der Erzählleitfaden der Ausstellung durch die Ästhetik unterstrichen. Dabei entschied sich das Team bewusst gegen eine chronologische, lineare Hängung der Arbeiten. „Wir wollten eine vergleichende Position verhindern und durch Leerstellen an den Wänden zeigen: Das ist erst der Anfang, wir wollen die Sammlung erweitern!“

Über die Frage, ob das feministisches Kuratieren sei, denkt Julia Meer etwas länger nach: „Ich weiß gar nicht, ob das eine Schublade ist, die mir gefällt.“ Die Vorstellung der Zusammenarbeit spiele eine große Rolle. In der siebenmonatigen Vorbereitungsphase habe stets ein respektvoller Ideenaustausch stattgefunden, kein Ego habe im Vordergrund gestanden.

Der Prozess der Selbstreflexion zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung. Besonders deutlich wird das in einem Kapitel, das in die Zukunft gewandt versucht, erste Konsequenzen aus den Statistiken zu ziehen. Als Antwort auf den Vorwurf der Guerilla Girls, den „männlichen Blick auf den weiblichen Körper“ zu konservieren, schafft das Gestalter*innen-Team hier einen Raum der Selbstrepräsentation. In dem nehmen neben feministischen Publikationen vor allem Zines einen zentralen Stellenwert ein: Bei einem erneuten Besuch, eine Woche vor Eröffnung, sind die kleinen, selbst publizierten und verlegten Hefte eingetroffen.

Die Ausstellungsräume sind mittlerweile perfekt ausgeleuchtet. Ein Arbeitstisch, der Anfang des Monats noch im hinteren Ausstellungsbereich stand, ist verschwunden.

In Schlangenlinien ziehen sich die Regale nun durch den Raum. Im Juli 2022 hatte das MKG einen Open Call für feministische Zines gestartet. Gesucht wurden vor allem queerfeministische Designs, auch Ama­teu­r*in­nen konnten Arbeiten einschicken. „Ich darf als Leitung, in Absprache mit der Museumsleitung, entscheiden, welche Arbeiten in die Sammlung für Grafik und Plakat kommen“, erklärt Julia Meer. Sie wünsche sich für die Zukunft der Sammlung neue Perspektiven. Der Open Call habe das Prinzip des Sammelns umgedreht und Kriterien der bisherigen Sammlungswürdigkeit aufgebrochen. Es seien unter anderem Arbeiten aus Rumänien, Kanada oder Südamerika eingeschickt worden, ein tolles Gefühl für die Kuratorin: „Es war wie zwei Monate Weihnachten.“

Ein Museum habe die Machtposition, Relevanz zu erzeugen, dabei könne es in Zukunft nicht immer um die Medienwirksamkeit von Arbeiten gehen. Findet auch die Guerilla Girl-Frida Kahlo: „Museen sind Orte der Repräsentation“, sagt sie. „Wenn Museen den Anspruch haben, die Geschichte einer Kultur zu repräsentieren, dann sollten alle Stimmen dieser Kultur im Museum vertreten sein.“

Das Museum habe eine Sammlungsstrategie entwickelt, in Zukunft würden Arbeiten von Frauen und marginalisierten Gruppen priorisiert werden, erklärt Julia Meer den Prozess, den die Ausstellung in Gang gebracht hat. Es brauche momentan feministische Ausstellungen, um Sichtbarkeit zu schaffen. Aber eigentlich möchte sie genau diese Aussonderung überwinden: Weder werde man künftig ausschließlich Werke von Frauen, Lesben, inter-, nonbinären, trans* und agender-Personen (Flinta) sammeln, noch mache jede Gestalterin automatisch feministische Kunst. Diversere Ausstellungen seien aber eine Bereicherung für alle. Darüber gelte es aufzuklären.

Nur die Krümel vom Franzbrötchen

Die Räume der eigenen Auseinandersetzung mit den Statistiken bilden den Rahmen ums Hauptkapitel der Ausstellung – das Gesamtwerk der Guerrilla Girls. „Wir erwarten eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Fakten, die wir durch unsere Arbeit schaffen“, formuliert Frida Kahlo die Anforderungen des Kollektivs an die Museen, mit denen es kooperiert, und lobt das Hamburger Team.

Die Arbeiten der Guerilla Girls wurden auf Wunsch der Gruppe an die Ausstellungswände tapeziert. „Wir sind natürlich trotzdem noch eine Institution, wollten aber die Ästhetik des Plakatierens als zentralen Bestandteil des Protests auch widerspiegeln“, sagt Julia Meer. Dessen Witz spricht aus der unmittelbar einleuchtenden Arbeit, die von den Guerilla Girls eigens fürs Museum für Kunst und Gewerbe angefertigt wurde: ein Plakat, was sonst, auf dem ein Franzbrötchen zu sehen ist. Auf demselben Teller liegt daneben ein Krümel, genau 1,5 Prozent der Backware. Das Nichts, auf das die Sammlung bislang den weiblichen Anteil an der Geschichte von Kunst und Gewerbe reduziert.

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