Zanetti „Spielarten des Kompromisses“: Triff mich in der Mitte

Sie ist der Feind der großen Würfe und dennoch eine Tugend: die Verhandlungslösung. Véronique Zanetti zeigt die „Spielarten des Kompromisses“ auf.

Eine Person an einem Seil in der Höhe

Zuletzt und insbesondere in Lützerath hart zu akzeptieren: der Kohlekompromiss Foto: Wolfgang Rattay/reuters

Als die Grünen vor fast vierzig Jahren in den Bundestag einzogen, hatten die meisten irgendwelche „Atomkraft? Nein Danke!“-Buttons am Kragen. Jetzt sind sie in der Regierung, der Atomausstieg rückt näher – und ausgerechnet die Grünen müssen die Restlaufzeit von AKWs verlängern. Ein schmerzlicher Kompromiss. Aber mit wem wird der überhaupt eingegangen? Mit der FDP, die noch längere Laufzeiten wünscht? Oder eher mit der Wirklichkeit, also mit neuen Umständen, die Pragmatismus erzwingen?

Der Kompromiss hat keinen guten Ruf: Er verwässert klare Prinzipien, wird ihm nachgesagt. Ein Kompromiss ist etwas für Leute, die keine gefestigte Haltung haben. Einen „Buh-Hurra-Begriff“ hat der israelische Philosoph Avishai Margalit den Kompromiss einmal genannt. Mal wird er gefeiert, etwa wenn langjährige Kriegsgegner endlich einen Kompromiss schließen, mal wird er verdammt.

Margalit: „Kompromisse gelten manchmal als Ausdruck guten Willens, und bei anderer Gelegenheit empfindet man sie als Wischiwaschi.“ Gern wird er mit dem Attribut „lau“ versehen, nicht selten ist der Vorwurf des „faulen Kompromisses“.

In der Philosophie ist der Kompromiss bisher weitgehend ignoriert worden, schreibt die deutsch-französische Professorin für politische Philosophie, Véronique Zanetti, in ihrer Studie „Spielarten des Kompromisses“.

Véronique Zanetti: „Spielarten des Kompromisses“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022, 287 Seiten, 22 Euro

Das Buch kulminiert in einem „Plädoyer für den Kompromiss“. Dabei macht es sich die Autorin keineswegs leicht. Sie weiß, dass „große soziale Veränderungen“ meist von jenen Menschen vorangetrieben wurden, „die sich kompromisslos für eine Sache eingesetzt haben“. Aber zugleich sind diese Veränderungen in Kompromissen verwirklicht worden.

Zanetti hält bei ihren Betrachtungen zunächst einmal zweierlei auseinander: Den Kompromiss als „Prozess“, also den Aushandlungsprozess, und andererseits das „Ergebnis“ – kurzum das, was in dem Aushandlungsprozess herauskommt. Schon der Prozess selbst ist eine Tugend, denn er kommt nur in Gang, wenn die Konfliktparteien den Vorrang einer friedlichen Lösung anerkennen. In diesem Prozess sind es die Konfliktparteien selbst, die den Kompromiss finden – und am Ende auch verteidigen.

Mal bewundern wir Menschen, die „konsequent“ sind, aber wer rigide und kompromisslos ist, erweist sich nicht selten als eher anstrengender Zeitgenosse. Wer mit seiner Meinung nie hinter dem Berg hält, nervt häufig. Das Herdentier Mensch muss auf andere Rücksicht nehmen, wenn es durchs Leben kommen will. „Ganz wir selbst“ können wir nur um den Preis der Dissoziation sein.

Kompromisse geht man im Lebensvollzug ein. Manchmal geht man sogar Kompromisse mit sich selbst ein. Und dann sind da die großen Kompromisse, die politischen Kompromisse, seien sie in Koalitionsgesprächen oder Friedensverhandlungen. Kompromisse in Sachfragen („Eingangssteuersatz 14 Prozent oder doch besser 13?“) sind leichter zu finden als Kompromisse in Wertefragen oder in solchen, die die eigene Identität berühren.

Irgendwann Kompromiss mit Putin

Wirkliche „faule Kompromisse“ sind, so Zanetti, jene, die ein inakzeptables moralisches Übel akzeptieren. Aber auch die können gerechtfertigt werden. Irgendwann könnte auch ein Kompromiss mit Putin geboten sein. Während des Holocausts verhandelten die Alliierten sogar mit Adolf Eichmann, der die Rettung von einigen Tausenden Juden gegen die Lieferung von Lkws in Aussicht stellte.

Kompromisse mit Despotien sind etwas fundamental anderes als Kompromisse innerhalb von pluralistischen Demokratien. Hier ist die Kompromissbildung im parlamentarischen Verfahren verankert. Absolute Mehrheiten hat sowieso keiner mehr, und gäbe es sie, könnte man dennoch nicht mit 51 Prozent der Stimmen gegen 49 Prozent andere streng durchregieren.

Mehr noch: Die tragende Idee ist, dass das Ergebnis kompromissorientierter Verfahren am Ende besser ist als die divergierenden Ausgangspositionen, weil es vielfältige Gesichtspunkte berücksichtigt. Véronique Zanettis Buch ist eine Lobpreisung des Kompromisses. Der hat diese Würdigung verdient, gerade in Zeiten einer viel beklagten Polarisierung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.