Ex­per­t_in über Hass gegen Frauen: „Antifeminismus als Einstiegsdroge“

Die Amadeu Antonio Stiftung startet eine Meldestelle zu frauenfeindlichen Vorfällen. Betroffen sei vor allem, wer in der Öffentlichkeit stehe, sagt Ans Hartmann.

Feiernde Personen auf einer Straße

Angriffe auf Frauen in Queer-Demonstrationen sind nicht nur queerfeindlich, sondern auch antifeministisch Foto: Michael Schick/imago

taz: Ans Hartmann, wie sieht das bei Ihnen aus, wenn ich einen antifeministischen Vorfall melden will?

Ans Hartmann: Wenn dir selber was passiert ist, was du als antifeministisch einordnest, gehst du auf unsere Seite und auf der Startseite steht überall prominent „Vorfall melden“. Dafür gibt es eine simple Meldemaske mit wenigen anzugebenden Eckdaten, wann und wo es passiert und ein großes Freifeld, wo der Vorfall geschildert werden kann. Das wird direkt an uns übermittelt.

Und was man noch angeben kann, zusätzlich, ist: „Ich wünsche weitergehende Beratung“, das kriegen wir dann mitgeteilt. Meldungen können sich genauso auf öffentliche Ereignisse oder Berichte beziehen.

Das heißt, Sie beraten auch?

leitet die Meldestelle Antifeminismus der Amadeu Antonio Stiftung, die seit dem 1. Februar unter antifeminismus-melden.de online ist. Hartmann arbeitete zuvor beim Bundesverband für Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe am Projekt „Aktiv gegen digitale Gewalt“.

In der Fachstelle Gender, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus haben wir langjährige Erfahrungen in der Unterstützung zum Umgang mit antifeministischen Angriffen und Strukturen. Aber wir schauen natürlich, um welche Bedarfe es sich handelt und was wir leisten können.

Ansonsten sind wir gut genug vernetzt, um fachadäquat weiter verweisen zu können – zum Beispiel an Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, mobile Beratungsteams vor Ort oder Frauenberatungsstellen.

Warum gibt es die Meldestelle?

Bisher gibt es keine systematische Erfassung von antifeministischen Vorfällen. Wir wollen dokumentieren, wie alltäglich Antifeminismus ist, wie differenziert er sich äußert und vor allen Dingen auch, in welchen Bereichen er eine Rolle spielt. Es wird eine Art Evaluation und Kategorisierungen geben, um zu gucken, welche Ebenen von Antifeminismus wir sehen.

Wir wollen aber nicht nur sammeln, wir wollen Antifeminismus als Problem benennen und das sichtbar machen und nach außen tragen. Das heißt, wir werden jährlich ein Lagebild zu Antifeminismus veröffentlichen, in dem wir die verschiedenen Problemfelder aufzeigen wollen. Wir wollen es in den Fachaustausch und die Bildungsarbeit tragen, aber damit auch an die Politik herantreten.

Mit welchen Vorfällen rechnen Sie bei der Meldestelle?

Da sich Antifeminismus vielschichtig äußert, hoffen wir, dass auch viele verschiedene Meldungen bei uns ankommen. Dazu gehören Vorfälle wie die sogenannte Gehsteigbelästigung vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen oder vor Arztpraxen, die Abtreibungen vornehmen.

Das kann, wenn man jetzt in bestimmten Botschaften denkt, auch ganz simpel ein Plakat mit einer Schmiererei sein. Ich sehe aktuell viele beschmierte Wahl-Plakate mit Begriffen wie „Massenmörder (Paragraf 218)“ und „Homosexverbrecher“. Was sicherlich auch eine Rolle spielen wird, sind Angriffe auf queere Veranstaltungen, zum Beispiel am Rande von einem Christopher Street Day.

Das heißt, auch der Kontext spielt eine Rolle?

Wenn Menschen mit queerfeindlichen Aussagen auf einer Demo angegriffen oder körperlich verletzt werden, kann man davon ausgehen, dass es eine antifeministisch motivierte Tat ist. Antifeminismus ist an sich ja nicht als Strafbarkeitsbestand fassbar. Die meisten Sachen, die bei uns ankommen werden, liegen wahrscheinlich unter der sogenannten Strafbarkeitsschwelle.

Arbeiten Sie mit der Polizei zusammen?

Die Daten werden nicht an Behörden oder an Dritte weitergegeben. Was wir dazu veröffentlichen, ist anonymisiert. Wir werden nicht so über Fälle berichten, dass sie nachverfolgbar sind.

Was ist das eigentlich, Antifeminismus?

Antifeminismus wendet sich gegen Emanzipationsbestrebungen und äußert sich häufig als organisiertes Vorgehen gegen Geschlechtergerechtigkeit und körperliche sowie geschlechtliche Selbstbestimmung. Man kann sagen, dass Antifeminismus eine Ideologie ist, die eine als natürlich angenommene Geschlechterordnung und die Aufrechterhaltung heteronormativer Geschlechterverhältnisse verteidigt. Das antifeministische Weltbild baut auf Sexismus, Frauen- und Queerfeindlichkeit auf.

Welche Rolle spielt dabei Rassismus?

Wir wissen, dass antifeministisch motivierte Gewalt Menschen, die von Rassismus betroffen sind, noch einmal in einer besonderen Qualität und Quantität trifft. Thematisch sieht man das stark in der rassistischen Instrumentalisierung von Frauenrechts- und Gewaltschutzthemen. Es wird gesagt, „wir“ müssen Frauen vor Gewalt schützen. Aber Gewalt gegen Frauen wird gegen alle Fakten als alleiniges Problem nicht-weißer Täter dargestellt, um die rassistische Stimmung anzuheizen, um Einfluss auf Migrations- und Asylpolitik zu nehmen.

Und inwiefern geht Antifeminismus in andere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit über?

Ein aktuelles Thema ist Transfeindlichkeit. Auf dieses Thema hat man sich übergreifend quasi geeinigt, darin sieht man großes Mobilisierungspotenzial. Die Themen, die im Antifeminismus drin sind, wir sprechen häufig von antifeministischen Narrativen, die verbinden viele verschiedene antifeministische Akteur_innen.

Transfeindlichkeit ist eines der größten aktuellen Mobilisierungselemente rechter und religiös fundamentalistischer Bewegung. Dazu muss man sagen, dass die Narrative und Einstellungen auch in der sogenannten gesellschaftlichen Mitte zu finden sind.

Ist der Politik denn das Problem des Antifeminismus bewusst?

Ich glaube, was massiv unterschätzt wir­d:­ An­ti­fe­mi­nis­mus und antifeministische Ideen sind sowas wie eine Einstiegsdroge in rechte und extrem rechte Bewegungen und rechtes Gedankengut. Das sieht man auch bei verschiedenen rechtsterroristischen Attentaten in den letzten Jahren.

Zum Beispiel in Halle.

Genau. Wenn man sich die Manifeste der Täter hinterher durchliest, spielt Hass auf Frauen, Incel-Ideologie und ein manifestes antifeministisches Weltbild immer eine Rolle in der Begründung und Radikalisierung.

Welche Rolle spielt denn allgemein das Internet?

Das Internet ist grundlegend für die Verbreitung und Aufbereitung antifeministischer Erzählungen. Antifeminismus ist immer auch eine Diskursstrategie. Gleichzeitig äußert sich Antifeminismus im Netz als organisierte Angriffe auf Bewegungen, Menschen und Stimmen, die für Geschlechtergerechtigkeit und Gleichberechtigung stehen.

Das ist das Ziel von antifeministischen Akteur_innen – dass diese Menschen sich nicht mehr äußern, nicht mehr sichtbar sind und zurückgedrängt werden. Da, wo die Räume für zivilgesellschaftliches Handeln immer kleiner werden, spricht man auch von Shrinking Spaces.

Es gibt auch strukturellen Antifeminismus, der in den Institutionen verankert ist – beispielsweise vor Gericht, wenn es um das Umgangsrecht von Kindern geht. Wie gehen Sie damit bei der Meldestelle um?

Das wäre auf jeden Fall ein Thema. Das kann ja ein Urteilsspruch sein oder bestimmte schlimme Urteilsbegründung, an denen man sieht, dass zum Beispiel die Väterrechtslobby ein paar Talking Points gesetzt hat, die wir dann auch gut sichtbar machen wollen, in der Art und Weise, wie wir es auswerten.

Sie haben gerade die Väterrechtslobby angesprochen. Wie antifeministisch ist die?

Das, was die Väterrechtslobby macht und die Aussagen oder Narrative, die sie bedient, sind grundlegend antifeministisch. Letztendlich sind es sehr frauenfeindliche Konzepte, die sie in die Gerichte einbringen. Beim Parental Alienation Syndrom (Eltern-Kind-Entfremdung durch manipulatives Verhalten eines Elternteils, Anm. d. Red.) ist schon lange bewiesen, dass es nicht in der Form existiert, in der die Väterrechtslobby es verwendet. Wenn man sieht, welche Netzwerke und Lobbyarbeit dahintersteckt und wie lange das schon betrieben wird, ist es ein klassisches antifeministisches Betätigungsfeld.

Was sind drei Themen, die im Moment relevant sind im Bereich Antifeminismus?

Ein großes Thema, was ja quasi der Dauerbrenner ist, sind Angriffe und Einschüchterungen auf Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen. Ich denke da zum Beispiel an den Shitstorm gegen Sarah-Lee Heinrich von den Grünen. Oder Gleichstellungsbeauftragte und Lokal-Politikerinnen im ländlichen Raum. Frauen werden fertiggemacht und haben letztendlich gar keine Lust oder sichere Möglichkeit mehr, tätig zu sein. Das betrifft ja genauso gut Frauen, die im Netz sichtbar sind.

Das schließt sich ja nicht aus: Sarah-Lee Heinrich wurde ja auf Twitter angegriffen.

Genau. Das ist ein großes Thema, Verunmöglichung von Repräsentanz, von Sichtbarkeit.

Was wäre ein zweites wichtiges Thema?

Ein sehr großes Thema ist Trans- beziehungsweise Queerfeindlichkeit, wo sehr viel Mobilisierung und sehr viel Hass gerade verbreitet wird, auch rund um das geplante Selbstbestimmungsgesetz. Man konnte quasi zusehen in den letzten Jahren, wie relevant das geworden ist und etwa an die Diskurse aus den USA oder aus Großbritannien angeknüpft wird. An der Lebensrealität von trans Personen sieht man, wie wirkmächtig so was ist.

Inwiefern?

Es gibt Meldungen, die zeigen, dass Gewalt gegen trans Personen im öffentlichen Raum massiv zugenommen hat. Aber das passiert ja nicht einfach so. Es ist eine strategische Entscheidung, so ein Thema stark zu bedienen.

Und als drittes Thema?

Wir merken, dass die christlich-fundamentalistischen Akteur_innen sich immer weiter radikalisieren und weltweit vernetzen, zum Beispiel in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche und in Deutschland gegen die Streichung von Paragraf 218.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.