Militärbudget weltweit steigt deutlich: Krieg in der Ukraine als Trigger

Der Kreml hat mit seinem Angriff weltweit einen neuen Rüstungswettlauf entfesselt. Auch Moskaus Verbündete erhöhen ihre Rüstungsausgaben.

Kampfflugzeuge fliegen in einer Formation über eine Landschaft

Kampfjets aus Italien, Polen und den USA flogen im Oktober 2022 über die Ostflanke der NATO Foto: Cover-images/imago

Russlands Einmarsch in die Ukraine hat das stärkste Wachstum des globalen militärisch-industriellen Komplexes seit 20 Jahren ausgelöst. Alle Nachbarstaaten Russlands – von Norwegen bis zur Mongolei – bauen ihre militärischen Kapazitäten aus. Finnland und Schweden treten der Nato bei, Lettland führt die Wehrpflicht wieder ein, und Georgien erhöht die Verteidigungsausgaben, um „aggressive Kräfte“ abzuschrecken. Es wird erwartet, dass der Militärhaushalt des Planeten im Jahr 2023 einen Rekordwert erreicht. Und es wird nicht dabei bleiben. Die Abteilung für Datenjournalismus der Novaya Gazeta hat untersucht, wie sich das neue Wettrüsten entwickelt.

Bereits 2021 haben die weltweiten Verteidigungsausgaben 2 Billionen Dollar erreicht (vollständige Zahlen für 2022 sind noch nicht öffentlich zugänglich) –, sechsmal mehr als die Summen, die Regierungen für die Bekämpfung des Klimawandels ausgaben. Allein in den vergangenen zehn Jahren ist das Militärbudget nach Angaben des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (Sipri) weltweit real um 9 Prozent gestiegen.

Die Novaya Gazeta ist Russlands älteste unabhängige Publikation. Nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine wurde sie verboten. Das Team der Novaya Gazeta Europe hat das Land verlassen, um ihre Arbeit fortsetzen zu können und denjenigen eine Stimme zu geben, die die Invasion niemals akzeptieren werden. In diesem Dossier veröffentlicht die taz Texte russischer Jour­na­lis­t:in­nen über das erste Kriegsjahr und seine Folgen für die Welt und für Russland, über die Veränderungen in der russischen Bevölkerung, wofür das Adjektiv „russisch“ heute und in Zukunft steht, und berichten über Menschen, die Widerstand leisten. Die Texte sind auf Initiative der taz Panter Stiftung entstanden und geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Es ist bereits das zweite Dossier mit Texten der Novaya Gazeta Europe in der taz. Das erste ist im Mai 2022 erschienen. Die Texte des ersten Dossiers finden sich hier.

Die Hälfte der Ausgaben im Jahr 2021 entfallen auf nur zwei Länder, nämlich die Vereinigten Staaten (USA) mit 800 Milliarden Dollar und China mit 265 Milliarden Dollar. Zudem investierte China zu Beginn des Jahrhunderts nur 2 Prozent des weltweiten Militärbudgets in die Verteidigung; 2021 gab Peking dafür 14 Prozent aus. In den kommenden fünf Jahren will China seine Verteidigungsausgaben jedes Jahr um 7 Prozent erhöhen, was mindestens doppelt so hoch ist wie die Wachstumsrate der Finanzierung des militärisch-industriellen Komplexes in den USA.

Die ganze Welt befand sich im Jahr 2022 in einem Wettrüsten. Der Krieg in Europa hat zu nie dagewesenen Ausgaben für Waffen und zu einer Aufstockung der Armeen geführt – insbesondere in den an Russland angrenzenden Ländern. In den kommenden Jahren wird die weltweite Verteidigungsindustrie voraussichtlich neue Rekorde erreichen: Das Budget des Pentagons wird bis 2023 um 10 Prozent steigen, und die Verteidigungsausgaben in Europa werden sich bis 2026 um das Anderthalbfache verdoppeln.

Dies wird zwangsläufig zu höheren Steuern oder geringeren Ausgaben für andere staatliche Programme führen: „Jeder Euro, der für die Verteidigung ausgegeben wird, ist ein Euro, der nicht in Gesundheit, Wohnen, Renten und Bildung investiert wird“, sagt Alexandra Marksteiner, Militärexpertin am Stockholmer Friedensforschungsinstitut.

Am meisten Angst haben die Nachbarstaaten

Fünfunddreißig der 40 Länder, auf die mehr als 60 Prozent der weltweiten Militärausgaben entfallen, haben ihren Verteidigungshaushalt im Jahr 2022 erhöht. Kasachstan gehört zu den Spitzenreitern im Rüstungsbereich: Die Verteidigungsausgaben des Landes stiegen um 75 Prozent, und im Juli veröffentlichte das Wall Street Journal einen Artikel über die Pläne der Regierung, die Armee zu reformieren und die Beziehungen zu den USA, China und der Türkei angesichts des Kriegs in der Ukraine zu intensivieren.

Im Jahr 2023 wird sich das Anwachsen des militärisch-industriellen Komplexes beschleunigen. An der Spitze der geplanten militärischen Aufrüstung steht Polen, dessen Verteidigungsausgaben sich von 13 auf 31 Milliarden Dollar fast verdreifachen werden.

Kasachstan gehört zu den Spitzenreitern im Rüstungsbereich: Die Ausgaben für Verteidigung stiegen um 75 Prozent

„Die beste Strategie ist es, den Feind mit der Stärke der eigenen Armee und durch die Zusammenarbeit mit anderen abzuschrecken“, sagte Polens Premierminister Mateusz Morawiecki bei einer Militärübung im November 2022. Im Jahr 2023 werden die Mittel für das polnische Verteidigungsministerium höher sein als die Militärbudgets der Ukraine, der Türkei und fast aller europäischen Länder zusammen.

Im vergangenen November landeten zwei Raketen auf polnischem Gebiet nahe der ukrainischen Grenze. Zwei Wochen später traf ein weiteres militärisches Geschoss die Republik Moldau.

Wie Kasachstan plant die Republik Moldau, ihr Militärbudget bis 2023 um 75 Prozent zu erhöhen. „Wir müssen den Rüstungssektor ausbauen, einschließlich der Luftverteidigung, oder uns den verschiedenen Verbänden anschließen, die auf EU-Ebene bereits existieren“, sagte der moldauische Verteidigungsminister Anatolie Nosatîi auf dem moldauisch-europäischen Integrationsforum.

Das dritte führende Land in Bezug auf das Wachstum der Verteidigungsindustrie ist Armenien. Vor dem Hintergrund des Konflikts mit Aserbaidschan beabsichtigen die Behörden, die Verteidigungsausgaben um das Anderthalbfache zu erhöhen. Nach den jüngsten Grenzstreitigkeiten beklagten sich Beamte in der Hauptstadt Jerewan über den Mangel an modernen Waffen in der armenischen Armee. Ministerpräsident Nikol Paschinjan erklärte, Russland habe keine Waffen geliefert und die Kontrolle über den Latschinkorridor, der die Republik Bergkarabach mit Armenien verbindet, verloren.

Im Wettrüsten ist die Türkei neuer Spitzenreiter. Im vergangenen Jahr hat die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan die Mittel für das Militär um 30 Prozent erhöht und plant für 2023 eine Erhöhung um weitere 50 Prozent. „Infolge der zunehmenden Bedrohungen in der Welt und in unserer Nachbarschaft erhöhen wir unseren Verteidigungshaushalt auf ein recht hohes Niveau von 469 Milliarden Lira (25 Milliarden Dollar)“, sagte der türkische Präsident im Oktober 2022. Währenddessen forderte der türkische Verteidigungsminister Griechenland und Zypern auf, von weiteren Waffenkäufen abzusehen, um die Situation nicht „in eine Sackgasse zu lavieren“.

„China und die Türkei haben sich bereits vor 20 Jahren bewaffnet und haben nun mit einer neuen Aufrüstungsrunde begonnen, um auf modernere Systeme umzusteigen“, so der Militäranalyst Pavel Luzin. „China kann dafür große Summen ausgeben, denn das Land hat es geschafft, eine gute Industrie im Lande aufzubauen. Die Nachbarn fühlen sich bedroht und beginnen ebenfalls, in die Verteidigungsindustrie zu investieren.“

Wiederbelebung der Nato

Die weltweite Rüstungsindustrie wuchs bis Ende der Nullerjahre stetig. Im Jahr 2010 froren dann die großen Volkswirtschaften, insbesondere die USA und das Vereinigte Königreich, die Aufstockung ihres Militärhaushalts ein. Nach der russischen Annexion der Krim (2014) wurden die Investitionen wieder aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt versammelte sich der Nato-Block zu einem Gipfel in Wales, um über „Russlands Vorgehen gegen die Ukraine zu diskutieren, das die Grundprinzipien eines geeinten, freien und friedlichen Europas infrage stellt“.

Auf dem Treffen wurde beschlossen, „den rückläufigen Trend bei den Verteidigungshaushalten umzudrehen“. Die Bündnispartner verpflichteten sich, bis 2024 mindestens 2 Prozent des BIP für die Verteidigung ihrer Länder auszugeben. Im Jahr 2014 erfüllten nur die USA, das Vereinigte Königreich und Griechenland diese Vereinbarung. Bis 2022 sind die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, außerdem Polen, die Slowakei und Kroatien hinzukommen. Die Türkei will die 2 Prozent bis 2024 erreichen. Allerdings bleibt es dann immer noch bei der Hälfte des 30 Mitglieder umfassenden Bündnisses.

Am wenigsten geben die westeuropäischen Länder Luxemburg, Spanien und Belgien für die Verteidigung aus, während an der Grenze zu Russland die Nato-Vorgaben bereits von allen baltischen Staaten und Polen überschritten wurden. „Nicht alle Mitglieder des Bündnisses werden in der Lage sein, die 2 Prozent zu erreichen“, sagt der Militärexperte Pavel Luzin. „Aber die wichtigsten Länder haben es entweder schon getan oder werden es in den nächsten Jahren tun.“

Am 5. Juli 2022 unterzeichneten die Nato-Mitgliedstaaten die Beitrittsprotokolle für Finnland und Schweden zum Nordatlantikrat. Beide Länder können dem Bündnis beitreten, sobald alle Bündnismitglieder die Protokolle ratifiziert haben – von den 30 Staaten haben nur die Türkei und Ungarn dies noch nicht getan.

„De facto sind Schweden und Finnland bereits Mitglieder der Allianz“, sagt Luzin. „De jure werden sie es sein, auch wenn sich die Türkei weiterhin gegen die Idee sträubt, weil Russland für diese Länder eine direkte Bedrohung darstellt und die Nato eine Garantie für die Stärkung ihrer Sicherheit ist.“

Schweden hat sich seinerseits verpflichtet, die Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent des BIP zu erhöhen, wie es das Bündnis seit 2014 verlangt. Finnland hat diesen Standard bereits 2021 erreicht. Sechszehn weitere Länder haben sich verpflichtet, die Anforderungen des Bündnisses bis 2024 zu erfüllen.

Quelle: Stockholm International Peace Research Institute

Die beste Verteidigung ist, der Ukraine zu helfen

Litauen hat für 2023 einen Rekordmilitärhaushalt genehmigt – 2,5 Prozent des BIP des Landes – und Vilnius ist bereit, ihn bei Bedarf auf 3 Prozent zu erhöhen. Nur Griechenland und die Vereinigten Staaten geben unter den Nato-Staaten mehr für die Verteidigung aus. Nach Ansicht des litauischen Verteidigungsministers Arvydas Anušauskas sei dies notwendig, um der Ukraine weiterhin helfen zu können.

In den ersten 10 Monaten des Krieges erreichte die militärische Unterstützung für Kyjiw 40 Milliarden Dollar (davon ausgenommen sind die humanitäre und finanzielle Hilfe, die das Land parallel bekommt). Der wichtigste Geldgeber sind die Vereinigten Staaten: Das Pentagon ist für 60 Prozent der an die ukrainischen Streitkräfte (AFU) überwiesenen Mittel verantwortlich.

Für die US-Wirtschaft sind diese Ausgaben jedoch weitaus weniger bedeutend als für europäische Länder: So stellten die USA beispielsweise 3 Prozent des Militärhaushalts und 0,001 Prozent des BIP für die Unterstützung der Ukraine bereit, während Estland und Lettland jeweils 40 Prozent der nationalen Verteidigungsausgaben an Kyjiw überwiesen.

Wie der estnische Verteidigungsminister Jüri Luik erklärt, „verringern die heutigen Entscheidungen zur Unterstützung der Ukraine die Chancen Russlands, sich in der baltischen Region irrational zu verhalten“. Das bedeutet, dass „der Sieg Kyjiws in diesem Krieg auch die Sicherheit Estlands erhöhen wird“.

Im neuen Jahr wollen Europa und die Vereinigten Staaten ihre militärische Unterstützung für die Ukraine nicht reduzieren. Der britische Premierminister Rishi Sunak hat für dieses Jahr sogar noch mehr als die 2,8 Milliarden Dollar zugesagt, die er 2022 an die AFU überwiesen hat. Sunak fordert die nordeuropäischen Länder auf, dasselbe zu tun: „Wir wissen, dass Ihre Sicherheit unsere Sicherheit ist. Wir werden die Ukraine weiterhin unterstützen.“

Aus dem Russischen Gemma Terés Arilla

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