Lebensmittel aus Hausgrillen in der EU: Neue Heimchen am Herd

Eine vietnamesische Firma darf in der EU künftig Insektenmehl verkaufen. Dass es VerbraucherInnen untergejubelt wird, ist nicht zu befürchten.

usgewachsene Hausgrillen (auch Heimchen genannt) krabbeln in der Fabrik Cricket Lab des Tschechen Husek auf ihren Boxen

Zirpen war gestern: Die Europäische Union erlaubt nun auch Pulver aus Hausgrillen als Lebensmittel Foto: Visarut Sankham/dpa

BERLIN taz | Der rechtsradikale Internetmob jagt gerade eine neue Sau durchs virtuelle Dorf: Auf Blogs der Szene wird in diesen Tagen mobilisiert gegen „die EU“, die uns jetzt angeblich Insekten ins Essen mische. Zufälligerweise oder gerade deshalb polemisierte am Samstag auch Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bei Twitter gegen Insektenessen („#GenussStattEkel“). Zuvor hatte die Bild-Zeitung auf ihrer Titelseite mit der Schlagzeile aufgemacht: „Diese Insekten sind jetzt im Essen erlaubt“. Darunter ein bei den meisten Menschen wahrscheinlich Ekel erregendes Foto von einer Made. In sozialen Netzwerken schimpften User: „Das könnt ihr und Frau von der Leyen gerne fressen. Wie Viecher“ und „Pfui Teufel!“.

Wahr ist: Die Europäische Union erlaubt der vietnamesischen Firma Cricket One ab Dienstag, teilweise entfettetes Pulver aus Hausgrillen – auch Heimchen oder lateinisch Acheta domesticus genannt – als Lebensmittel zu verkaufen. Insekten dieser Art darf das niederländische Unternehmen Fair Insects laut einer Verordnung schon seit März 2022 gefroren, getrocknet und pulverförmig zum menschlichen Verzehr in der EU auf den Markt bringen.

Diese Woche tritt auch noch eine Erlaubnis für Larven des Getreideschimmelkäfers in Kraft. Bereits seit Mitte 2021 dürfen Larven des Mehlkäfers (Tenebrio molitor, gelber Mehlwurm) seit Ende 2021 die Wanderheuschrecke als Nahrungsmittel vertrieben werden.

„Niemand wird gezwungen, Insekten zu essen“, verteidigte die Vertretung der EU-Kommission in Deutschland die Verordnungen. „Jede und jeder kann selbst entscheiden, ob er oder sie Lebensmittel aus oder mit Insekten kauft oder nicht.“ Entscheiden können die KonsumentInnen, weil die Insekten in der Zutatenliste genannt werden müssen. Und zwar nicht nur mit den lateinischen Namen, sondern auch mit den bekanntesten deutschen. Acheta domesticus muss also auch als „Hausgrille, Heimchen“ in der Liste auftauchen.

Vor der Zulassung mussten die Unternehmen nachweisen, dass diese in Europa neuen Lebensmittel nicht der Gesundheit schaden. Wie viele andere Nahrungsmittel könnte auch Insektenpulver in seltenen Fällen allergische Reaktionen auslösen – etwa bei den Menschen, die gegen Krebstiere, Weichtiere und Hausstaubmilben allergisch sind. Deshalb müssen entsprechende Warnungen in unmittelbarer Nähe der Zutatenliste stehen.

200 Euro pro Kilogramm

„Der Vorteil dieser Lebensmittel ist der höhere Eiweißgehalt im Vergleich zu konventionellem Mehl oder Nudeln, da Grillen sowie andere Speiseinsekten auch generell gute Proteinlieferanten sind“, erläutert die Branchenorganisation Lebensmittelverband. Man könnte mit dem Grillenmehl also zum Beispiel Mehrkornbrötchen mit besonders hohem Proteingehalt backen – vielleicht interessant für Bodybuilder? Auch für Fleischersatzprodukte ist es zugelassen.

Obwohl einzelne Insektenarten schon seit Jahren als Lebensmittel erlaubt sind, sind sie in der EU nicht weit verbreitet. „Das ist wirklich ein Nischenmarkt. Die Skepsis in der Bevölkerung ist groß“, sagte Manon Struck-Pacyna, Sprecherin des Lebensmittelverbands, der taz. Hierzulande sind aktuell nur wenige Produkte mit geringen Mengen an Insekten erhältlich – etwa Riegel oder Nudeln.

Dass die Industrie jetzt versuchen wird, den VerbraucherInnen Grillen- statt Weizenmehl unterzujubeln, ist extrem unwahrscheinlich. Dafür sorgt schon der Preis: Ein Kilogramm des Insektenmehls wird online zum Beispiel für knapp 200 Euro angeboten. Die gleiche Menge Weizenmehl kostet im Laden typischerweise weniger als 1 Euro. „Weizen ist ein Massenprodukt. Grillenmehl ist eine Proteinquelle, die aus einer nachhaltigen und qualitativ hochwertigen Erzeugung kommt“, schrieb Cricket-One-Gründerin Bicky Nguyen der taz. „Grillenmehl kann Weizenmehl nicht ersetzen.“

Besser als Fleisch, aber schlechter als Pflanzen

Aus Umweltsicht wäre es wohl ein Fortschritt, wenn auch die EuropäerInnen statt Fleisch mehr Insekten äßen. „Hausgrillen benötigen sechsmal weniger Futter als Rinder, viermal weniger als Schafe und zweimal weniger als Schweine sowie Masthähnchen, um die gleiche Menge Protein zu produzieren“, schreibt die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO). „Außerdem stoßen sie weniger Treibhausgase und Ammoniak aus als herkömmliches Vieh.“ Insekten könnten auch mit Bioabfällen gefüttert werden. Mit diesem „Mini-Vieh“ ließen sich also Proteine entweder für den direkten menschlichen Verzehr oder als Futtermittel erzeugen.

Eine günstigere Umweltbilanz dürfte aber weiterhin eine pflanzliche (vegane) Ernährung haben. Denn auch Insekten verbrauchen Kalorien für den Eigenbedarf, der so der menschlichen Ernährung verlorengeht.

Vegetarier müssen jedoch keine Angst haben, dass in als „vegetarisch“ deklarierten Lebensmitteln bald Insekten stecken. „Insekten gelten laut EU-Recht als Produkte tierischen Ursprungs“, teilte die EU-Kommission mit. „Entsprechend müssen sie auch gekennzeichnet sein.“

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