Hamburger Kulturzentrum schließt: Sendeschluss im Kraftwerk Bille

Ein ehemaliges Kohlekraftwerk in Hamburg wird seit einigen Jahren von einem Kulturverein bespielt. Damit ist es jetzt vorbei. Ein Abschiedsbesuch.

Zeichnung eines roten Klinkergebäudes, hinter dem sich Bäume im Wind neigen

Industrie trifft Kultur trifft Stadtteilarbeit: das Kraftwerk Bille in Hamburg Foto: Jeong Hwa Min

Am Bullerdeich in Hammerbroock liegt der Geruch von Malzbier in der Luft. Er kommt augenscheinlich aus einer der anliegenden Industrieanlagen. In der Straße ist es ruhig, zwischen Abbruchunternehmen und Autohäusern scheint die Zeit still zu stehen. Obwohl hier – gegenüber eines tristen Gedäudes der Stadtreinigung – ein Umbruch ansteht: beim „Kraftwerk Bille“ nämlich, einem imposanten Gebäudekomplex in klassischer Klinkerbauweise.

Wo Anfang des 20. Jahrhunderts noch mit Kohle Strom für Hamburg produziert wurde, ist heute der Kulturverein Hallo e.V. ansässig. Ein kleiner Rundtorbogen führt in den Innenhof, wo die „Schaltzentrale“ liegt, in der unter anderem das „Hal­l­o:­Ra­dio“ ansässig ist: ein Online-Radio zum Mitmachen.

Egal ob Kochsendung, Anrufgewinnspiel oder aufgelegte Platten, hier ist alles möglich. Auch dilettantisch dürfte es sein: „Dille an der Bille“, sagt eine der Veranstalterinnen dazu und meint damit das Kraftwerk wie den namensgebenden Fluss direkt nebenan. Innen wirkt das alte Gemäuer so rustikal wie charmant. Unter der weißen Farbe sind die Backsteine zu erkennen, es steht auch ziemlich viel Gerümpel herum.

In den letzten Zügen

Dass es hier nach Umzug aussieht, hat einen Grund: Der Kulturverein muss raus, verdrängt von einem Großbauprojekt. Alle Initiativen und Rettungsversuche der vergangenen Monate sind gescheitert. Selbst sein Interieur gibt der Verein heute gegen Spenden ab. Was mitgenommen werden darf, zeigen auf die Einrichtungsgegenstände geklebte Punkte an. So jedenfalls die Idee:„Ey Leute, mein Kochtopf ist weg“, ruft es gerade aus einem der Räume.

Das frühere Café des Vereins ist schon fast leer geräumt: ein Ort der Zusammenkunft für die bald ehemaligen Nutzer*innen. Der alte Tresen, mit seiner massiven Glasoberfläche, klammert sich noch an diesen Ort, in dem alles nach Erinnerungen schreit.

Tatsächlich blickt nicht nur das alte Kraftwerk, sondern auch der Verein bereits auf eine bewegte Geschichte zurück. Seit 2015 bemüht man sich hier in Hammerbrook, Kunst, Kultur und Stadtteilarbeit zusammenzudenken – bei aller Spontaneität immer auch mit Blick auf langfristige Entwicklungen.

Tatsächlich hätte der Verein die Räumlichkeiten am liebsten gekauft und dafür sogar Geld vom Bund beschafft. Am Ende war allerdings mit der Eigentümerin, der Kraftwerk Bille Hamburg GmbH, nur ein Mietverhältnis zu haben. Und nun eben ein Rausschmiss.

Im Gegensatz zum Café ist beim Radio im Nebenraum noch immer etwas los. Der Raum ist klein und für seine Größe ziemlich zugestellt – aber auf irgendwie angenehme Weise. Zwei Sofas, die sich zentral im Raum gegenüber stehen, und ein kleiner Tisch in deren Mitte bilden ein Sitzensemble. Dahinter das Herzstück: Ein Tresen mit Mirkos und Turntables. Rauchend legt hier jemand Platten auf: sphärischer Sound, aber auch groovy. Eine große Tafel hängt an der Wand, auf der mit bunter Kreide die Acts des Tages geschrieben sind.

Der Raum ist gefüllt mit kleinen Details: Neben einem alten Yamaha-Klavier steht ein gelber Kärcher-Industriestaubsauger. An den Wänden hängen Plakate der einzelnen „Editionen“ wie dem Weihnachtsspecial: „Holy:Radio“ mit dem Act „Geesus“. Von einem Billboard an der Wand schaut mich ein roter Plüsch-Elmo an. Daneben eine Spendendose in Form einer Bulldogge, die durch eine leere Wodka Gorbatschow-Flasche ergänzt wird, in der ein verwelkter Blumenstrauß steckt.

Egal wo man hinschaut, der Raum ist ein Sammelsurium von Fotos, kleinen Zuschriften und Oden an das Radio. Was wie ein zusammengewürfeltes Chaos aussieht, ist bei genauerem Hinsehen eine detailversessene Kuration. Dieser Raum hat Charakter.

Ein Tag, der bleiben soll

Hier verewigen sich Gäs­t*in­nen ebenso wie Mitwirkende. Die Grenzen sind fließend, denn das Radio ist nicht nur ein Online-Musik-Stream, sondern ein Ort der gemeinsamen Begegnung. Auch Getränke gibt es hier: Sekt, Bier und Softdrinks gegen Spende. Mit grünem Filzstift hat wer an die Wand geschrieben: „Dieser Tag bleibt.“ Und das klingt vor Schluss wahrscheinlich ein bisschen anders als damals, an „diesem Tag“.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Mit dem Abriss der Schaltzentrale geht ein signifikanter Teil von dem verloren, was der Verein geschaffen hat. Endgültig vorbei soll es darum aber nicht sein. Ein neuer Ort soll her und werde auch längst gesucht, erzählen die Radio-Macher*innen.

Und auch wenn in der Angelegenheit noch nichts konkret ist – am Engagement des Vereins wird es sicher nicht scheitern. Bleibt nur zu hoffen, dass sie mit einem Ortswechsel auch die besondere Aura weitertragen und aus dem „Tschüss“ an der Bille so noch ein „Auf Wiedersehen“ wird.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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