Wintersport im Klimawandel: Skigebiete werden grüner

Vom Skifahren wollen viele trotz Erderhitzung nicht lassen. Aber geht es auch umwelt­freundlich? Am „Wilden Kaiser“ versucht man es.

Ein Skifahrer vor winterlicher Berglandschaft

Glücklich, wer beim Skifahren Schnee hat Foto: Gerhard Fitzthum

Die Schlange an der Talstation wird nicht kürzer, womöglich eine Störung im Betriebsablauf, wie die Deutsche Bahn das nennen würde. Ein banaler Stromausfall? Oder Aktivisten der Letzten Generation, die sich an der Außenwand einer Gondel festgeklebt haben?

Der zweite Gedanke ist schnell wieder verworfen. Nicht nur, weil die Klimarebellen wohl kaum auf eine so hübsche Idee kommen würden – sondern auch, weil sie sich ausgerechnet das Wintersportgebiet ausgesucht hätten, das 2017 vom britischen Telegraph als „Ecological Ski Resort of the Year“ ausgezeichnet wurde.

Die „SkiWelt Wilder Kaiser – Brixental“ verbindet neun Tiroler Dörfer, schreibt schwarze Zahlen und hat in Sachen Klimaschutz tatsächlich einiges zustande gebracht: auf 100 Prozent Ökostrom durch Wasserkraft umgestellt, den ersten vollständig solarbetriebenen Skilift in Betrieb genommen und den Energieverbrauch pro Skifahrer knappe 20 Prozent unter den Landesdurchschnitt gedrückt. Ist es hier also gelungen, Wintersport nachhaltig zu machen?

Plötzlich hat sich die Schlange am Lift aufgelöst. Oben, auf der Kuppe der Hohen Salve angekommen, ist der Klimawandel schnell vergessen. Das betörende 360-Grad-Panorama lässt jeden kritischen Gedanken verschwinden. 70 Dreitausender sollen hier bei klarem Wetter zu sehen sein. Großglockner, Großvenediger und Schrankogel glänzen jedenfalls weltfern im Gegenlicht.

Im Norden ist der namensgebende Wilde Kaiser zum Greifen nah – ein wild zerfurchtes Kalkmassiv, das einen Gegenpol zu den gletschergerundeten Erhebungen bildet, auf denen an manchen Tagen mehr als 30.000 Skifahrer unterwegs sind.

Der ausgiebigen Kaffeepause auf der sonnigen Terrasse des Gipfellokals folgt das eigentliche Tagesprogramm – rhythmisches Abwärtsgleiten auf Skiern. Die Pisten sind breit genug, um genüsslich carven zu können, aber nicht so ausgedehnt, dass man sich in einem grenzenlosen Freizeitpark fühlen müsste, in dem von Natur rein gar nichts mehr zu sehen ist. Auf bestens präpariertem Kunstschnee geht es nun so steil hinunter, dass einem Anfänger die Haare zu Berge stehen würden.

Wer danach sucht, findet an allen sieben Bergen des Skigebiets aber auch blaue Abfahrten – kein Wunder, bei insgesamt 270 Pistenkilometern. Man könnte hier an drei bis vier Tagen eine Strecke wie die von Berlin nach Hannover zurücklegen, ohne auch nur eine Strecke zweimal zu fahren. Zudem kann man mühelos von der Südseite auf die Schattenhänge wechseln, falls die Nachmittagssonne – wie so oft – den Kunstschnee aufzuweichen beginnt.

Was dieses Skigebiet sympathisch macht, sind die 80 Einkehrhütten, die zum größten Teil von den Familien betrieben werden, denen der Grund gehört und die einstmals ganz von der Landwirtschaft gelebt haben. Michael Krall, der Wirt von der Brantl-Alm, hat im Sommer sogar noch 50 Stück Jungvieh auf seinen Weiden stehen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Und sein Bruder hat den Hof des Vaters übernommen und liefert die Milch – nicht nur hier kommt also zumindest ein Teil der Nahrungsmittel aus eigener Produktion und damit aus der Region, in der sie konsumiert werden. Statt internationaler Konzerne verdienen in der „SkiWelt“ vor allem die Einheimischen ihr Geld. Mit einer Ausnahme sind auch die sechs beteiligten Bergbahngesellschaften regional verwurzelt.

Der touristische Erfolg ist für die hier Lebenden allerdings nicht nur ein Segen: An schönen Wochenenden und in der Hauptsaison sind die Straßen und Pisten hoffnungslos verstopft. Die Folge ist ein allgemeiner Unmut, die Volkskrankheit in Overtourism-Gebieten. Ein Unmut allerdings, der am Wilden Kaiser schon seit Jahren ernst genommen wird.

Weil man sich mit dem Festhalten an der Wachstumsideologie nur Ärger einhandeln würde, werden nur noch Infrastrukturverbesserungen in Angriff genommen, von denen Gäste und Gastgeber gleichermaßen profitieren.

Statt die Zahl der Betten und der Hotels weiter in die Höhe zu treiben, sehen die Verantwortlichen ihre Hauptaufgabe nun darin, die Touristenströme auf das ganze Jahr zu verteilen.

Zugleich sollen die bereits prämierten ÖPNV-Angebote weiter optimiert werden, auf dass ein größerer Teil der Urlauber ihr Auto zu Hause lässt und die vielen Tagesgäste aus dem etwa 100 Kilometer entfernten Münchner Raum nicht jedes Wochenende einen Verkehrskollaps verursachen. Alles im Sinne einer Regionalentwicklung, die das kurzfristige Gewinnstreben durch „nachhaltige“ Entwicklungsstrategien ersetzen will.

Um die zahllosen Schneekanonen der „SkiWelt“ als Zeichen der Nachhaltigkeit zu deuten, braucht es allerdings eine Menge Fantasie. Und über die auf den Liftmasten angebrachten Scheinwerferbatterien kann man eigentlich nur entsetzt sein. Nachtskifahren unter Flutlicht – muss das wirklich sein?

Wenn es dunkel wird, wird so weithin sichtbar, wovon man Abstand zu nehmen behauptet: jener leichtfertiger Umgang mit Energie, der zu den Kernkompetenzen unserer Wohlstandsgesellschaft zählt. Und dem Betrachter geht das Licht auf, dass „der umweltfreundlichste Skibetrieb“ vielleicht auch nur so etwas ist wie „das sauberste Verbrennerauto“.

Zur Beruhigung kann man sich das sogenannte Factsheet der Österreichischen Bergbahndachorganisation anschauen, das einem bei kritischen Nachfragen gerne in die Hand gedrückt wird. Hier wird vorgerechnet, wie verschwindend gering der Energiebedarf des Wintersportbetriebs sein soll: gerade mal 1,2 Prozent des gesamtösterreichischen Stromverbrauchs nämlich, und damit weniger als die Stand-by-Verluste der Elektrogeräte, mit denen der Zeitgenosse seinen ökologischen Fußabdruck zu vergrößern pflegt.

Das suggestive Zahlenspiel verfehlt seine Wirkung nicht, sogleich glaubt man, dass der wintersportliche Massentourismus gar nicht so schlimm ist fürs Klima. Greenwashing und Verschleiern sind nun mal zu den profiliertesten Kulturtechniken und zu Schlüsselqualifikationen jeder Marketing-Fachkraft geworden.

Liest man etwa, dass man mit einer Autobahnfahrt von Wien nach Salzburg so viel Energie verbraucht wie bei einer siebentägigen Pistengaudi, so muss man sich klarmachen, dass sich beides üblicherweise addiert – selbst in der klimabewussten „SkiWelt“, weil auch hier 95 Prozent der Wintergäste mit dem Auto anrauschen.

Dass am Wilden Kaiser immerhin achtsamer als anderswo mit Energie umgegangen wird, kann man dennoch glauben. Diese Bemühungen lohnen sich für die Betreiber inzwischen sogar doppelt. Zum einen, weil die Kosten für Beschneiung und Pistenpräparierung in den letzten Jahren effektiv verringert wurden. Und zum anderen, weil sich der systematische Aufbau eines Ökoimages immer stärker auszahlt, je weiter der Klimawandel im Bewusstsein der Menschen ankommt.

Folgerichtig stürzen sich die Reiseredaktionen zurzeit geradezu auf Wintersportregionen, die mit einem ausgefeilten Energiemanagement jene Zukunftsfähigkeit unter Beweis zu stellen versuchen, die durch den Klimawandel ja gerade infrage gestellt wird.

Anita Baumgarter, die Marketing-Chefin der „SkiWelt“, freut sich über die große Medienresonanz, beteuert aber, dass sie „niemals etwas aus bloßen Marketinggründen“ tun würde. Der rücksichtsvolle Umgang mit den Ressourcen verdanke sich der traditionellen Bodenständigkeit der Bergbevölkerung.

Die habe schließlich über Jahrhunderte mit wenig auszukommen gelernt und sei deshalb äußerst sparsam mit ihren Gütern umgegangen – mit Strom, Wasser, Natur und Nahrungsmitteln –, und da sei es nur folgerichtig, wenn man nun möglichst viel Energie über Solaranlagen selber herzustellen versuche.

Mit GPS-gestützten Beschneiungssystemen sei es inzwischen auch gelungen, 20 bis 25 Prozent der Energie einzusparen, sagt Mario Gruber von der Berg- und Skilift Hochsöll GmbH – ein sympathisch und jugendlich wirkender Mann, der es für dumm hielte, „den Klimawandel wegleugnen“ zu wollen. Dazu komme die Nutzung der Rückwärme aus dem Anlagenbetrieb – ein ganzes Bergrestaurant könne auf diese Weise nun klimaneutral beheizt werden. Es ist ein Anfang.

Was aber, wenn die Prophezeiungen der Klimaforscher tatsächlich eintreffen? Wenn die Temperaturen in den Alpen in den nächsten Jahrzehnten überdurchschnittlich ansteigen, nämlich um 3 bis 4 Grad? Grubers Stimme klingt plötzlich belegt: „In der jetzigen Größenordnung wird sich das Skigebiet dann natürlich nicht halten lassen“, sagt er.

Wenn es die für die Beschneiung nötigen Minustemperaturen erst im Januar oder Februar gäbe, wäre es dann aber einfach wieder so wie früher, als noch niemand von Klimawandel gesprochen hatte. Da habe es auch Jahre gegeben, in denen die Lifte erst nach Ende der Winterferien gefahren seien.

Der Blick aus dem Fenster könnte nicht besser zum Thema passen: Die zweite Januarwoche hat begonnen und von Winter noch keine Spur. Unbekümmert düsen zahllose Skifahrer und Snowboarder auf weißen Bändern durch die grüne Landschaft. „Die Leute wollen schönes Wetter und schöne Pisten“, der Rest spiele keine große Rolle, hatte Hüttenwirt Michael Krall dazu gesagt. Rudi Köck, der Vorstand der Bergbahnen Brixen AG, meint allerdings, dass potenzielle Tagesgäste wegbleiben, weil sie unter solchen Bedingungen ihre Freizeit lieber anders verbringen: „Das Landschaftsbild ist ja nicht gerade einladend.“

Beide dürften aber darin recht behalten, dass sich erst mal nicht viel ändern wird. Die Experten sind sich zwar sicher, dass Skigebiete, die nur 600 bis 1.800 Meter hoch liegen, keine Überlebenschance haben. In der „SkiWelt“ ist man aber gar nicht mehr so einseitig vom Wintersport abhängig, wie man das vermuten würde.

Mittlerweile machen manche der Bergbahnen bereits 20 Prozent ihres Umsatzes im Sommer. Und da schlummert noch einiges Potenzial: Je heißer es in den Tallagen wird, desto öfter werden Menschen auf die Idee kommen, sich mit einer Gondel in wenigen Minuten in kühlere Gefilde hinaufschaufeln zu lassen.

Dass es nicht allzu attraktiv ist, seine Bergwanderungen zwischen Stromkabeln und Liftmasten zu machen, wissen die Verantwortlichen allerdings auch. Deshalb hängen sie schon seit Jahren nach Ende der Skisaison alle Sessel ab, beseitigen die Absperrungen, lassen Propeller-Schneekanonen verschwinden und versehen die Schneelanzen mit grünen Überziehern. Und vielleicht wird in einigen Jahren sogar auch der eine oder andere Lift abgebaut sein. Es würde dann wieder alles aussehen wie in der Natur. Also fast.

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