Nachruf auf den Ökonomen Axel Troost: Ein unideologischer Linker

Mit dem Tod von Axel Troost verliert die Bundesrepublik einen der profiliertesten linken Ökonomen. Und die Linkspartei einen ihrer klügsten Köpfe.

Axel Troost 2018 beim Bundesparteitag der Linkspartei in Leipzig Foto: dpa

BERLIN taz | Dass es nicht gut um ihn steht, wussten Bekannte. Nun steht fest: Alles Hoffen auf Genesung war vergeblich. Am Wochenende ist der Ökonom Axel Troost nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben. Mit gerademal 68 Jahren. Mit ihm verliert die Bundesrepublik einen hervorragenden Ökonomen – und die Linkspartei einen ihrer klügsten Köpfe. Über Parteigrenzen hinweg genoss der Mann mit der imposanten Erscheinung und dem herzlichen Wesen eine hohe Reputation.

Geboren 1954 im südwestfälischen Hagen, studierte Troost nach dem Abitur 1973 Volkswirtschaftslehre an der Universität Marburg. 1982 promovierte er mit einer Arbeit über „Staatsverschuldung und Kreditinstitute – die öffentliche Kreditaufnahme im Rahmen des gesamten Kredit- und Dienstleistungsgeschäfts der Geschäftsbanken“.

Im Jahr zuvor war Troost bereits Geschäftsführer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik geworden, was er bis zu seinem Lebensende blieb. Besser bekannt als Memorandum-Gruppe, veröffentlicht der parteiübergreifende Zusammenschluss linkskeynesianischer Wirt­schafts­wis­sen­schaft­le­r:in­nen und Ge­werk­schaf­te­r:in­nen jedes Jahr eine Art Gegengutachten zum Gutachten des Sachverständigenrates, also der vermeintlichen „Wirtschaftsweisen“.

Nach mehreren Jahrzehnten wissenschaftlichen Streitens für eine andere, eine gerechtere Wirtschaftspolitik entschied sich Troost 2004, in die Politik zu gehen. Anlass war die nicht nur von ihm als unsozial begriffene „Agenda 2010“ der rot-grünen Bundesregierung unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder. Da sei ihm klar gewesen, „dass es nichts nutzt, wenn ich auf der Ebene der Wissenschaft bleibe“. Als sich im März 2004 ein kleiner Kreis von rund 30 unzufriedenen Ge­werk­schaf­te­r:in­nen im Berliner DGB-Haus in der Keithstraße traf, um über eine Wahlalternative zu diskutieren, war Troost dabei.

Mitgründer der WASG und der Linkspartei

„Wir möchten den Frust der sozialdemokratischen und grünen Wähler abfangen“, sagte er anschließend. Das von ihm mitorganisierte Treffen war eine entscheidende Keimzelle der wenige Monate später gegründeten Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), deren geschäftsführendem Vorstand der Ökonom bis zur Vereinigung mit der PDS zur Partei Die Linke 2007 angehörte.

2005 zog Troost als WASG-Vertreter über die offene Liste der PDS in den Bundestag ein, dem er zunächst zwölf Jahre am Stück angehörte. Aufgrund einer schlechteren Platzierung auf der sächsischen Landesliste – 2010 war er mit seiner Frau von Bremen nach Leipzig gezogen – verpasste er bei der Bundestagswahl 2017 den Wiedereinzug ins Parlament, ein schwerer Verlust für die Linksfraktion, die dadurch ihren finanzpolitischen Sprecher verlor.

Als Nachrücker kehrte Troost im Februar 2021 zwar noch einmal für ein paar Monate in den Bundestag zurück. Aber mit seinem Kandidaturverzicht zur Bundestagswahl 2021 beendete er im Herbst vergangenen Jahres endgültig sein parlamentarisches Engagement.

Auch wenn es in der Außenwahrnehmung manchen verborgen geblieben mag, hat Troost in der Linkspartei lange Jahre eine enorm wichtige Rolle gespielt. Denn er war einer, ja wenn nicht der ökonomische Vordenker der Partei. So trägt deren steuer- und finanzpolitisches Konzept unübersehbar seine Handschrift. Was unter anderem daran ablesbar ist, dass es nicht ideologisch überfrachtet ist, wie so manches andere in der Linken. Troost war zwar stets prinzipienfest, aber nie dogmatisch. Sein Blick war daher nie nur auf das Wünschbare, sondern gleichfalls auf das Umsetzbare gerichtet.

Das zeigte sich nicht zuletzt in seiner Haltung zu Griechenland. Was wurde nicht nach dem Wahlsieg von Syriza im Januar 2015 innerhalb der Linken in Deutschland an verwegenen Erwartungen auf Alexis Tsipras und seinen Finanzminister Yanis Varoufakis projiziert, die es wagten, auf Konfrontationskurs zur ganzen Eurogruppe und deren brutaler Austeritätspolitik zu gehen! Und wie schnell war es mit den wortreichen Solidaritätsbekundungen vorbei, als sich die griechische Regierung gezwungen sah, sich der EU zu fügen. Nach dem vermeintlichen „Verrat“ gehörte Troost zu den wenigen Ausnahmen, die nicht umgehend ihr Interesse an Griechenland verloren.

Er blieb nicht nur interessiert, sondern auch solidarisch. Ohne die Augen vor Fehlern zu verschließen, erkannte er das Bemühen von Tsipras und dessen Mitstreiter:innen. an, aus einer verzweifelten Lage das Beste zu machen. So fuhr der Wirtschaftswissenschaftler etliche Male nach Athen, um seinen griechischen Ge­nos­s:in­nen Hilfestellungen zu geben. Was diese zu schätzen wussten. Und er schrieb eine Reihe kluger Artikel über die politische und ökonomische Situation in Griechenland.

Glühender Europäer

Troosts Blick auf die griechischen Verhältnisse war keiner mit deutscher Brille. Das zeichnete ihn aus. Er war eben kein Nationalist, sondern im besten linken Sinne Internationalist – und ein glühender Europäer. Weswegen er wusste, dass sich die EU grundlegend verändern muss, um eine Perspektive zu haben.

Nach der unbarmherzigen Drangsalierung der Syriza-Regierung verfasste er 2016 unter anderem mit der Sozialdemokratin Gesine Schwan, dem Grünen Frank Bsirske und Harald Wolf von der Linkspartei eine kämpferische „Streitschrift für eine andere Europäische Union“. Unter der Überschrift „Europa geht auch solidarisch!“ forderten die Au­to­r:in­nen eine „Radikalreform“ der EU.

Mit 67 Jahren zog sich Troost im Juni 2022 aus dem Bundesvorstand der Linkspartei zurück, dem er seit 2007 angehört hatte, neun Jahre lang als stellvertretender Parteivorsitzender. Es war kein Rückzug im Streit, auch wenn er mit der Entwicklung der Linkspartei unglücklich war.

Seine langjährige Hoffnung war eine Kooperation von SPD, Grünen und Linken, was sich unter anderem in seinem Engagement für das Institut Solidarische Moderne ausdrückte, einer von ihm 2010 mitgegründeten rot-rot-grünen Denkfabrik, deren Vorstandsprecher er gemeinsam unter anderem mit den linken Sozialdemokratinnen Franziska Drohsel und Andrea Ypsilanti war. Doch stattdessen regieren SPD und Grüne mit der FDP – und die Linkspartei kämpft um ihr Überleben.

Dass er sich einen klareren Kurs gegen das zerstörerische Treiben von Sahra Wagenknecht und ihrer Anhängerschaft gewünscht hätte, dokumentierte Troost mit seiner Teilnahme an dem Treffen der „progressiven Linken“ Anfang Dezember in Berlin. In der vorletzten Reihe sitzend, verfolgte er aufmerksam und immer wieder Beifall spendend die Diskussionen. Es war sein letzter öffentlicher Auftritt.

Mit Wagenknechts „Linkskonservatismus“ konnte er nichts anfangen. Das unterschied ihn von so manchen Mit­strei­te­r:in­nen aus den Anfangstagen der WASG, die bis heute ihren Lafontaine-Kult pflegen. Wobei seine Kritik an Lafontaine, Wagenknecht und ihrer Gefolgschaft stets eine politische blieb. Persönliche Feindschaften waren nicht sein Ding. Es ging ihm um die Sache. Auch in seinen Umgangsformen unterschied sich Troost wohltuend von so manchen in der Linkspartei und in der gesellschaftlichen Linken.

„Ein Absacker ging immer“

Troost entzog sich der klassischen Flügelarithmetik. Jenseits der Hardcore-Wagenknechtianer:innen blieb er dank seines enormen ökonomischen Sachverstands strömungsübergreifend ein geschätzter Gesprächspartner. „Links bedeutet auch, Spaß an Politik zu haben“, formulierte er einmal in einem Interview. Und so hielt er es auch in seiner eigenen Praxis.

Entsprechend groß ist der Schock und die Trauer über sein Ableben. „Wir verneigen uns in großer Trauer“, schrieb die Linkspartei in einer ersten Reaktion aus Twitter. Troost habe „großen Anteil am Entstehen der Linken“, schrieb der Parteivorsitzende Martin Schirdewan. „Klug, engagiert und mit viel Humor“ habe Troost die Partei mitaufgebaut. „Er wird schmerzlich fehlen.“ Troost sei „ein kluger, engagierter und lebensfroher Genosse, verlässlicher Kollege im Bundestag, engagierter Begleiter der ersten rot-roten Koalition in Mecklenburg-Vorpommern, kompetenter Ratgeber“ gewesen, twitterte Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch.

Für Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow war Troost „ein engagierter Wissenschaftler, aktiver Gewerkschafter, starker Partner bei der Entstehung unserer Partei ‚die Linke‘ und ein guter Streiter für soziale Gerechtigkeit“. Mit ihm verliere die Linkspartei „einen aufrechten und mutigen Menschen“. Er trauere um einen Freund.

„Bis an sein Lebensende hat er gekämpft für eine gerechtere Welt“, würdigte ihn die linke Europaabgeordnete Özlem Demirel. Die Berliner Linken-Landesvorsitzende Katina Schubert schrieb auf Facebook: „Wir haben viel zusammen diskutiert, über Lösungen nachgedacht, manchmal auch gestritten, zusammen gelacht, gegessen und getrunken. Und nun ist alles vorbei.“

Er sei ein Linker gewesen, „mit dem man streiten konnte“, twitterte der stellvertretende Parteivorsitzende Lorenz Gösta Beutin. „Ich habe von ihm gelernt, immer wieder.“ Seine Ideen für eine alternative Wirtschaftspolitik würden bleiben. „Wir haben gekämpft, gestritten und gelacht“, schrieb der ehemalige Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi. „Mit Axel konnte man sich den Kopf heißdiskutieren, aber ein Absacker und ein lustiger Spruch ging immer!“

Axel Troost hinterlässt eine Frau und zwei Kinder.

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