Spannungen in Jerusalem: Einpeitschen am Heiligtum

Itamar Ben-Gvir ist Israels Minister für Nationale Sicherheit. Nun war der rechte Politiker am Tempelberg – offenbar eine bewusste Provokation.

Portrait von Itamar Ben Gvir.

An einer Eskalation interessiert? Israels Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir Foto: Ariel Schalit/ap

TEL AVIV taz | Es war eine seiner ersten Amtshandlungen: Der neue israelische Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, besuchte am Dienstagmorgen den Tempelberg in Jerusalem. Der Chef der rechtsextremen Partei Jüdische Stärke hat damit in der ersten Woche seines Amtes klargemacht, dass er auch in seiner Funktion als Minister seine Agenda durchziehen und den dort herrschen Status quo verändern will.

Der Tempelberg, auf dem die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom stehen, ist einer der am meisten umkämpften Orte im palästinensisch-israelischen Konflikt.

Für Jüdinnen und Juden ist der Berg heilig, weil dort bis zu seiner Zerstörung durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. der Zweite Tempel stand. Mit der Zerstörung begann die jüdische Diaspora – womit Jerusalem zum Sehnsuchtsort vieler Jüdinnen und Juden wurde.

Im Islam stellt er die drittheiligste Stätte dar. Das Gelände ist außerdem zu einem Symbol eines erhofften palästinensischen Staates geworden und verbindet die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen im Gazastreifen, im Westjordanland, in Israel und weltweit symbolisch miteinander.

Ben-Gvir: Zeiten haben sich geändert

Verwaltet wird der Tempelberg von der jordanischen Waqf-Stiftung. Derzeit gilt laut ungeschriebenem Status quo, dass nur Muslime auf dem Tempelberg beten dürfen. Nichtmuslime dürfen den Tempelberg zu bestimmten Zeiten besuchen, jedoch nicht dort beten.

Besuche von jüdisch-israelischen Po­li­ti­ke­r*in­nen auf dem Plateau werden von palästinensischer Seite als besondere Provokation und als Bedrohung des Status quo verstanden. Gleichwohl räumen seit einigen Jahren verschiedene extrem rechte jüdische Knessetabgeordnete dem Tempelberg Priorität ein und besuchen den Ort regelmäßig – sie müssen diese jedoch zuvor genehmigen lassen. Zuletzt besuchte Ben-Gvir den Tempelberg im vergangenen März.

Die militante Organisation Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert und sich den Schutz von al-Aksa auf die Fahnen geschrieben hat, warnte, dass ein Besuch des Ministers für Nationale Sicherheit auf dem Tempelberg „die Situation in die Luft jagen“ werde.

Ben-Gvir twitterte kurz nach seinem Besuch: „Die israelische Regierung, der ich angehöre, wird sich einer abscheulichen Mordorganisation nicht ergeben. […] Wenn die Hamas denkt, dass sie mich abschrecken wird, wenn sie mich bedroht, dann lasst sie verstehen, dass sich die Zeiten geändert haben.“

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu äußerte sich zu dem Tempelberg-Besuch seines Ministers zunächst nicht, aber er wird nicht wie geplant nächste Woche nach Abu Dhabi (Vereinigten Arabischen Emirate) fliegen. Es wäre der erste öffentliche Besuch des neuen Regierungschefs in dem Golfstaat gewesen. Diese Ankündigung kam Stunden nach dem Tempelberg-Besuch, der international, auch in den Emiraten, auf breite Ablehnung stieß.

Sorgen vor dem Frühjahr: Ramadan und Pessach gleichzeitig

Auch die palästinensische Autonomiebehörde kritisierte den Besuch als „beispiellose Provokation“. Der israelische Oppositionsführer Yair Lapid und verschiedene israelische Nichtregierungsorganisationen verurteilten den Besuch ebenfalls scharf.

„Ben-Gvir ist an einer Eskalation interessiert“, erklärt Aviv Tatarsky von der Nichtregierungsorganisation Ir Amim, die sich auf den israelisch-palästinensischen Konflikt in Jerusalem konzentriert: „Ben-Gvir hat in der Vergangenheit erklärt, dass die Moscheen auf dem Tempelberg vorübergehend seien. Sein politisches Lager glaubt, dass Eskalation der Weg ist, um ihre Ziele zur jüdischen Vorherrschaft auch auf dem Tempelberg durchzusetzen – jüdische Vorherrschaft, so wie sie in der Koalitionsvereinbarung dieser neuen extrem rechten Regierung festgehalten ist.“

Mit Sorge blicken viele Israelis und Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen außerdem auf das kommende Frühjahr. Wie schon im vergangenen Jahr überschneiden sich auch in diesem Ramadan und Pessach im April. Ramadan ist für gewöhnlich ohnehin eine Zeit erhöhter Spannung in Jerusalem, zumal wenn es mit dem höchsten jüdischen Fest zusammenfällt.

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