Korruption in Griechenland: Gnadenlos ermittelt nur Belgien

In Brüssel ermittelt die Justiz im EU-Korruptionsskandal gegen die Ex-Parlaments-Vize Eva Kaili. Derweil bleiben in Griechenland Affären unbearbeitet.

Kyriakos Mitsotakis in einem Gespräch

Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis (r) während einer Parlamentsdebatte zum Abhörskandal Foto: Tatiana Bolari/Eurokinissi/imago

ATHEN taz | Im Korruptionsskandal im EU-Parlament -„Qatargate“ ist in den Augen vieler Griechen der belgische Staatsanwalt Michel Claise der moderne Herakles. Der griechischen Mythologie nach hatte Herakles als einer seiner zwölf Aufgaben die Rinderställe des Königs Augias auf dem Peloponnes zu reinigen. Die Ställe des Augias waren aber schon seit Jahren nicht mehr gesäubert worden. Das Ausmisten galt schlicht als unmöglich. Herakles erledigte die Aufgabe in Heldenmanier, indem er die Fundamente des Stalls an einer Seite aufbrach und durch einen Kanal das Wasser zweier großer Flüsse durch den Stall leitete. Und siehe da: Die Augiasställe waren blitzsauber.

Die Augiasställe – das sind für viele Griechen die EU und ihre Gremien. Und Staatsanwalt Michel Claise, bei dem die Fäden der Ermittlungen der belgischen Behörden im „Qatargate“ in Brüssel zusammenlaufen, räumt dort derzeit kräftig auf. Mit seinen 66 Jahren, von denen er 21 mit Ermittlungen in Fällen von Finanzkriminalität verbracht hat, hat er sich in ganz Europa einen Namen gemacht. Ob gegen Schweizer Banken, Abgeordnete oder die Welt des Fußballs: Claise hat sich den Ruf eines Mannes erarbeitet, der nichts und niemanden fürchtet, schon gar nicht die Mächtigen. Einer seiner Lieblingssätze lautet: „Es ist an der Zeit, dass die Politiker aufwachen.“

Claise hätte auch in Griechenland viel zu tun. Klientelismus, Vetternwirtschaft und Korruption blühen in Athen wie eh und je. Im Korruptionswahrnehmungsindex CPI der Nichtregierungsorganisiation Transparency International (TI) erreicht Griechenland nur Platz 58 in der globalen TI-Rangliste, hinter Mauritius, Ruanda und Saudi-Arabien. Tendenz: sinkend.

Das ist kein Zufall. Immer wenn am Peloponnes Politiker oder hochrangige Vertreter aus der Wirtschaft in Skandale verwickelt sind oder gar in deren Zentrum stehen, tut sich die Strafjustiz auffällig schwer, die Fälle mit der gebotenen Sorgfalt und Effizienz zu bearbeiten, geschweige denn die involvierten Personen zur Rechenschaft zu ziehen und Strafen gegen sie zu verhängen. Selbst bei schwersten Vorwürfen wie Spionage, Geldwäsche oder Korruption im großen Stil werden Razzien gar nicht oder erst nach Monaten oder Jahren durchgeführt – nach Bekanntwerden der Fälle wohlgemerkt.

Siemens-Affäre und Abhörskandal in Griechenland

Ferner werden pikante Strafverfahren gerne in die Verjährung gleiten gelassen. Trotz einer bisweilen erdrückenden Indizien- oder Beweislage bleiben viele Täter in Griechenland ungeschoren, auch wenn sie in der gleichen Sache in anderen Ländern bereits verurteilt worden sind.

Jüngstes Beispiel ist die denkwürdige Siemens-Schmiergeldaffäre. Die ersten Ermittlungen begannen in Athen im Jahr 2006, das Strafverfahren mündete im Herbst nach sagenhaften 16 Jahren in einen Freispruch für alle, darunter auch für mehrere Deutsche – wegen Verjährung.

Immer wenn in Griechenland Politiker oder hochrangige Vertreter aus der Wirtschaft in Skandale verwickelt sind tut sich die Strafjustiz auffällig schwer, die Fälle zu bearbeiten

Auch der hierzulande hohe Wellen schlagende Abhörskandal ist hier zu nennen. Laut griechischen Medienberichten hat der einheimische Geheimdienst EYP mehr als einhundert prominente Griechen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Medien und Militärapparat ausspioniert, darunter amtierende Minister, Oppositionspolitiker sowie Europaabgeordnete.

Ins Fadenkreuz ist kein Geringerer als Premierminister Kyriakos Mitsotakis geraten. Er will jedoch von nichts gewusst haben – obwohl eine seiner ersten Amtshandlungen im Juli 2019 war, den Geheimdienst EYP sich persönlich zu unterstellen. Auch dessen Direktor bestimmt er selbst.

Was unternimmt Athens οberster Staatsanwalt, Isidoros Dogiakos, das griechische Pendant des unermüdlichen Belgiers Michel Claise? Offenbar nicht viel, wie Kritiker monieren. Staatsanwalt Dogiakos gehe es primär darum, die Informationsquelle der Medien ausfindig zu machen, und nicht etwa darum, diese Fälle aufzuklären. Der am 4. Juli von der Regierung Mitsotakis zum Staatsanwalt an Griechenlands oberstem Gericht ernannte Dogiakos griff zuletzt Athener Investigativmedien verbal an und drohte ihnen unverhohlen mit Kontrollen der Steuerfahndung.

Der Anlass für Dogiakos' Ausraster: Das Brüsseler Nachrichtenportal Euractiv hatte enthüllt, Dogiakos habe versucht, griechischen Telekommunikationsanbietern einzubläuen, eine Anfrage der unabhängigen Datenschutzbehörde ADAE über mutmaßlich abgehörte Smartphones besser nicht zu beantworten.

Die ADAE ließ nicht locker. Die Untersuchungen ergaben, dass tatsächlich ein griechischer Europaabgeordneter sowie ein Athener Investigativreporter abgehört wurden.

Die Griechen werden nun Zeugen, wie auf der einen Seite die Brüsseler Strafjustiz im EU-Korruptionsskandal bei der Griechin und in U-Haft sitzenden Ex-Parlaments-Vize Eva Kaili gnadenlos durchgreift und zugleich keine drei Flugstunden weiter in Athen sich in deren Heimat die hiesigen Strafbehörden im Abhörskandal mit offenbar dutzenden Opfern, gelinde gesagt, nicht mit Ruhm bekleckern. Und schon sind zu Füßen der Akropolis Stimmen zu hören, wonach Griechenland dringendst einen belgischen Staatsanwalt brauche.

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