Lage in Lützerath: Urlaub vom Kapitalismus

Auch wenn die Ak­ti­vis­t*in­nen am Ende das Dorf räumen müssen: Sie können stolz sein auf gemeinsame Jahre der Solidarität.

Aktivisten während einer Sitzblockade

Aktivisten während einer Sitzblockade in Lützerath am 12. Januar Foto: Thilo Schmuelgen/Reuters

Eckhard von Hirschhausen, der Arzt und Entertainer, will seine Kabarettistenkarriere aufgeben. Er will nur noch klimapolitisch arbeiten. Zu Lützerath sagte er am Mittwochabend bei „Maischberger“, wer einmal im Leben an einer solchen Tagebaukante gestanden habe, sehe beim Blick in so ein monströses Loch die Welt anders: „Und man fragt sich doch: Wo ist das eigentlich hin, was da eben noch war? Antwort: Es schwebt alles über uns.“

Die Voraussetzungen für noch viel mehr herumschwebendes Braunkohlerevier in unserer Luft wird derzeit geschaffen, und das offenbar fix. Die Räumung von Lützerath geht schneller als gedacht. Viele glaubten, die Einsatzkräfte würden warten, bis die große Demonstration diesen Samstag (unter anderem mit Greta Thunberg) vorbei ist. Stattdessen ist die Räumung bis dahin womöglich schon abgeschlossen. Am Donnerstag begannen die Hundertschaften auch in die Häuser einzudringen und machten sich an den ersten Baumhäusern zu schaffen. Die Hoffnung, Lützi bis zum Ende der Rodungssaison am 1. März verteidigen zu können, war offenbar naiv.

Die Polizei, die aus ihrem vertölpelten Einsatz im Hambacher Wald gelernt hat, geht gut organisiert mit chirurgischer Präzision vor. Sie arbeitet mit taghellem Flutlicht, und das 24/7. Aber das Schlimmste kommt erst noch: wenn die RWE-Abrissbagger anrücken und die Häuser wegrasieren.

Bei aller Trauer der vielfach sehr jungen BewohnerInnen von Lützerath haben sie allen Grund, stolz zu sein: auf ihr Durchhaltevermögen, auf ihre eigene emissionsfreie Energie. Und sie wissen, dass ihnen niemand mehr die gemeinsame Lützi-Zeit nehmen kann, die teils zwei Jahre andauerte: Jahre der Solidarität, für ein intensives und selbstbestimmtes Dasein im Miteinander, die für den Rest des Lebens prägend sein wird, auch für differenziertes politisches Denken. Eine Aktivistin hat mal gesagt, sie habe „den Urlaub vom Kapitalismus“ besonders genossen. Uns allen täten mehr freie Tage gut, bis hin zum Langzeiturlaub.

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Sohn des Ruhrgebiets, Jahrgang 1956, erfolgreich abgebrochenes VWL- und Publizistikstudium, schreibe seit 1984 für die taz – über Fußball, Golf, Hambacher Wald, Verkehrspolitik, mein heimliches Lieblingsland Belgien und andere wichtige Dinge. Lebe und arbeite als leidenschaftlich autoloser Radfahrer in Aachen. Seit 2021 organisiere und begleite ich taz-LeserInnenreisen hierher in die Euregio Maas/Rhein, in die Nordeifel und nach Belgien inkl. Brüssel. Bücher zuletzt: "Die Zahl 38.185" - Ein Fahrradroman zur Verkehrswende (2021). "Ach, Aachen!" - Textsammlung aus einer manchmal seltsamen Stadt (2022).

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