Internes Lagebild des Auswärtiges Amts: Iranische Abgründe

Das Auswärtige Amt warnt in einem internen Lagebild vor einer dramatischen Menschenrechtslage. Das Regime gehe „unerbittlich“ gegen Gegner vor.

Demonstranten stehen vor einem brennenden Autoreifen

Nach dem Tod von Mahsa Amini kam es im ganzen Land zu Protesten, hier in Teheran im Oktober Foto: Middle East Images/ap

BERLIN taz | Die Warnungen des Auswärtigen Amtes sind drastisch. Angesichts der landesweiten Proteste sei die iranische Regierung „massiv“ unter Druck geraten, heißt es in ihrem internen Lagebild. Sie versuche einen „System­erhalt mit allen Mitteln“ und zeige „keine Bereitschaft, ihren brutalen Umgang mit der eigenen Bevölkerung zu überdenken“. Gegen Re­gime­geg­ne­r:in­nen werde „unerbittlich vorgegangen“. Abschiebungen in den Iran? Folgt man dem Papier, müsste das auf lange Sicht unmöglich sein.

Das 28-seitige Lagebild wurde bereits Ende November im Auswärtigen Amt erstellt – nach den im September 2022 ausgebrochenen Aufständen im Iran und der blutigen Reaktion des Regimes. Bisher war der als „Verschlusssache“ eingestufte Bericht öffentlich nicht bekannt. Der taz liegt er nun vor. Er dient dem Bundesinnenministerium und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) als Grundlage für Asyl- und Abschiebungsfragen.

Die Einschätzungen des Ministeriums sind niederschmettend. Etliche Teile der iranischen Bevölkerung seien „starken Repressionen“ ausgesetzt – sei es wegen ihrer Ethnie, Sexualität oder Religion, ihrer politischen, künstlerischen, journalistischen Tätigkeit, heißt es im Bericht. Gerade Frauen seien „erheblichen rechtlichen und gesellschaftlichen sanktionsbewährten Einschränkungen ausgesetzt“.

Eine Gewaltenteilung existiere nicht, insbesondere nicht in der Justiz. Diese sei vielmehr geprägt von „Korruption und Willkür, besonders bei politischen Fällen“. Es gebe Fälle von Folter und unmenschlicher Behandlung. Die Zahl der Hinrichtungen sei „merklich gestiegen“, auch von Minderjährigen. In Gefängnissen kommen es regelmäßig zu „ungeklärten“ Todesfällen.

Unterdrückung mit „allen zur Verfügung stehenden Mitteln“

„Jegliche Formen von Dissens werden mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterdrückt“, konstatiert das Auswärtige Amt. Eine Niederschlagung gelinge bisher aber nicht, im Gegenteil. Der Protest weite sich immer mehr aus und konzentriere sich nicht mehr nur auf Frauenrechte und die urbane Bevölkerung, sondern werde zunehmend zur Bürgerrechtsbewegung, auch in den Provinzen.

Zur Frage der Abschiebungen äußert sich der Bericht vorsichtiger. Die Auswirkungen der aktuellen Proteste für Rück­keh­re­r:in­nen lasse sich derzeit „nicht abschließend einschätzen“, heißt es weiter. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Heimkehrende verstärkt von Sicherheitsdiensten überprüft würden. Insbesondere Personen, die den Iran zuvor illegal verlassen hätten, müssten mit einer Befragung und Wiederausreisesperre sowie einem Passentzug rechnen. Ein Fall von Folter bei Zurückgekehrten sei bisher zwar nicht bekannt. Die Behörden hätten aber durchaus ein „Verfolgungsinteresse“ gegen Regimegegner:innen, betont der Bericht.

Bereits im Oktober 2022 hatte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) für einen Stopp von Abschiebungen in den Iran ausgesprochen. Die Bundesländer folgten und hielten diesen im Dezember auf der Innenministerkonferenz fest. Abschiebungen von Gefährdern, schweren Straftätern und Personen mit „besonders schwer wiegendem Ausweisungsinteresse“ oder die „hartnäckig“ ihre Mitwirkung an der Identitätfeststellung verweigerten, seien aber im Einzelfall weiter „geboten“, so ihr Beschluss.

Eine Abschiebung noch im Oktober

Tatsächlich wurden im vergangenen Jahr 32 Personen in den Iran abgeschoben, eine noch Mitte Oktober aus Bayern. Auch hatte das Bundesamt für Migration und Flucht (Bamf) zuletzt weiter Asylansprüche von Ira­ne­r:in­nen abgelehnt, weil sie angeblich nicht bedroht seien – trotz Revolte. So lag die monatliche Schutzquote für sie seit September nur zwischen 39 und 42 Prozent.

Das Innenministerium hatte zuletzt erklärt, dass man angesichts des neuen Lagebilds des Auswärtigen Amtes die internen Leitsätze zum Iran überarbeite. Zudem beobachte das Bamf fortlaufend die Entwicklung im Land.

Erst diese Woche verlängerten Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ihren Abschiebestopp bis 30. Juni. „Die Menschenrechtslage im Iran ist dramatischer als je zuvor“, erklärte Schleswig-Holsteins Integrations­ministerin Aminata Touré (Grüne). Abschiebungen dorthin wären „unverantwortlich“. Gleichlautend äußerte sich die rheinland-pfälzische Integrations­ministerin Katharina Binz (Grüne).

Auch die Linke fordert, Abschiebungen in den Iran komplett auszusetzen – allen Betroffenen drohe dort konkrete Lebensgefahr. Pro Asyl spricht ebenso von einem „Skandal“, dass trotz der Menschenrechtslage derart viele Ira­ne­r:in­nen als Asylsuchende abgelehnt würden. Es brauche einen „sofortigen Stopp“ dieser Ablehnungen, fordert die Initiative. Dies sei auch deshalb nötig, weil bereits in der Vergangenheit „unzählige“ Fehlentscheidungen im Bamf zum Iran ergingen.

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