Tagebuch aus Lützerath (10): Thermosocken und Pfefferspray

Die Räumung kann jeden Moment beginnen. Die Eltern unseres Autors haben sich deshalb erstmals umfassend über die Besetzung in Lützerath informiert.

Polizei und Protestierende in Lützenrath

Lützerath am Dienstag: Polizei und Protestierende Aug' in Aug' Foto: Wolfgang Rattay/reuters

Der Energiekonzern RWE will den Weiler Lützerath abreißen, um seinen Braunkohleabbau auszuweiten. Die Be­set­ze­r:in­nen wehren sich. Die Räumung soll im Januar stattfinden. Unsere Au­to­r*in­nen Aron Boks und Annika Reiß leben mit den Ak­ti­vis­t*innen vor Ort. Ein Tagebuch

Ein Alarm schubst mich aus dem Bett. Es ist gerade mal kurz nach 8 Uhr und vor dem Fenster sehe ich eine Hundertschaft der Polizei näher an das Dorf, in dem ich zusammen mit Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen lebe, heranrücken. Die offizielle Räumung könnte nun jeden Moment beginnen. Die Polizei entwarnt durchs Megafon. Will nur, dass eine Sitzblockade den Weg schon einmal frei macht. Dutzend Ak­ti­vis­t:in­nen eilen zur Hilfe. Die Polizei fordert zum Rückzug auf. „Sonst lassen wir Sie räumen!“

In meinem besetzten Haus haben sich alle gegenseitig aufgeweckt, um den anderen bei der Sitzblockade zu helfen. „Auf die Barrikaden!“, singt ein Chor von dort und die Hundertschaft rückt weiter vor.

Vor ein paar Tagen haben sich meine Eltern bei mir gemeldet. Egal wie alt ich bin, immer denke ich in etwas heiklen Situationen, sie wollten mich abholen oder so. „Das ist ja ein Wahnsinn, der da passiert!“, hatte mein Vater gesagt.

Meine Eltern hatten angerufen, weil sie sich mit der anstehenden Räumung erstmals umfänglich darüber informiert haben, weswegen meine neuen Mit­be­woh­ne­r:in­nen und ich eigentlich in Lützerath sind. Gut, ich hatte das Ganze hier im Voraus auch nur eher grob umschrieben und bekam zu Weihnachten Sachen wie Thermosocken geschenkt „für diese Outdooraktivität“.

„Die wollen einfach 280 Millionen Tonnen Kohle abbaggern!“, fuhr mein Vater in ähnlich leicht beunruhigter und aufgeregter Stimme fort, mit der jetzt draußen ein Aktivist vor „schwerem Räumungsgerät“ warnt. Meine Mutter hatte mir geraten, auf mich aufzupassen, und noch gefragt, ob ich hier in meinem neuen Zelt schlafen würde.

„Die Polizei hält Sie dringend an, sich den Maßnahmen nicht zu widersetzen“, ruft ein Polizist. Der Typ mit Vollbart setzt sich neben mich und wir stellen klar, dass wir bleiben. Noch kurz vor der Räumung sind Hunderte neue Ak­ti­vis­t:in­nen angereist und eigentlich sollte es ein Kennenlernfrühstück für das Haus geben, das jetzt aus gegebenem Anlass verschoben wird. Durchs Dorf schwirrt die Meldung: Pfefferspray gegen Akivist:innen. Draußen ist es heute kälter als gestern. Aber noch sitze ich ja im Haus, in Thermosocken.

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Eine Person sitzt auf einem Ausguck. Sie trägt eine blaue Hose und hat eine goldene Wärmedecke um die Schultern geschlagen. Außerdem trägt sie eine weiße Maske und eine Mütze. Szenerie aus Lützerath

Wie lebt es sich im besetzten Weiler? Die taz-Autor*innen Aron Boks und Annika Reiß waren für die Kolumne Countdown Lützerath vor Ort. Zwischen Plenum, Lagerfeuer und Polizei

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