Jugendliche Flüchtlinge in Hamburg: „Wir sollten sie als Chance sehen“

Der Träger Sternipark eröffnet eine Ersteinrichtung für junge Flüchtlinge, um die Stadt zu entlasten. Leiterin Moysich will Integration von Anfang an.

Zwei junge Flüchtlinge sitzen lachend in einem Bus

Seit einigen Monaten reisen wieder deutlich mehr Minderjährige allein ein: Ankunft in Deutschland Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

taz: Frau Moysich, stimmt es, dass „Sternipark“ in Hamburg eine Erstaufnahme für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge eröffnet hat?

Leila Moysich: Ja, das ist richtig. Auch die taz hat ja berichtet, wie sehr der Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) beansprucht ist. Wir haben kurz vor Weihnachten in Bahrenfeld eine Einrichtung eröffnet. Die hat 48 Plätze ist und noch nicht voll belegt. Wir bauen es langsam auf.

Was heißt Erstaufnahme?

Es kommen Jugendliche vom KJND zu uns, bei denen klar ist, dass sie aufgrund der Verteilungsregelung des „Königsteiner Schlüssels“ in Hamburg bleiben. Und die nehmen wir nach Paragraf 42 Jugendhilfegesetz in Obhut.

Werden Sie die Erstaufnahme im KJND ersetzen?

Nein. Aber der Landesbetrieb Erziehung und sein KJND mussten ja in ganz kurzer Zeit ganz viele Jugendliche aufnehmen, weil durch den Ukraine-Krieg wieder mehr Flüchtlinge kommen. Wir wurden gefragt, ob wir helfen können, diese Zustände abzubauen. Diese wünscht sich nämlich niemand. Weder in Turnhallen noch in deutlichen Mehrbett-Zimmern sind Jugendliche gut untergebracht. Wir haben Zwei-Bett-Zimmer mit eigenem Bad.

Sie betreiben Kitas. Haben Sie Erfahrung mit dieser Zielgruppe?

Richtig, wir sind seit 30 Jahren als Kita-Träger aktiv. Aber wir sind im nördlichen Schleswig-Holstein ein relativ großer Träger in der Jugendhilfe. Für uns ist wichtig, dass Integration vom ersten Tag an gelingt, und die jungen Menschen, die jetzt nach Deutschland kommen, auch als Chance gesehen werden. Deshalb hatten wir schon in der ersten Flüchtlingswelle 2015/16 über 350 minderjährige Flüchtlinge betreut. Wir haben mit der Stadt Neumünster das „vorläufige Clearing“ entwickelt, also dann die damalige Umverteilung mitgestaltet.

43, ist Geschäftsführerin des Hamburger Kita- und Jugendhilfe-Trägers Sternipark.

Wie sieht Ihr Konzept aus?

Ganz wichtig ist, die deutsche Sprache zu lernen. Und was entscheidend ist, damit die Jugendlichen nicht auf unsinnige Ideen kommen, ist Beschäftigung. Wir hatten 2015/16 in Schleswig-Holstein eine schöne Kooperation mit der Handwerkskammer. Die bot für die über 16-Jährigen eine „Einstiegsqualifizierung“ an, wo sie Deutsch lernten und Berufe kennenlernten. Und von den über 117 Jugendlichen, die anfingen, kamen 90 in eine Ausbildung. So etwas müssen wir in Hamburg auch aufbauen.

Wo liegt die Einrichtung?

Das Gebäude liegt in einem Gewerbehof. Es ist eine ehemalige Suchteinrichtung mit großen Zimmern zwischen 16 und 20 Quadratmetern, einem Garten und Gemeinschaftsräumen.

Haben Sie genug Fachkräfte? Man hört, andere Einrichtungen schließen, weil die fehlen.

Uns freut jede Fachkraft. Aber man muss sich davon verabschieden, dass es auf dem Markt genug Sozialpädagogen gibt. Wir haben Fachkräftemangel bei Jugendhilfe und Kitas.

Und was tun Sie?

Wir müssen unseren Blick für Quereinsteiger öffnen. Im Kita-Bereich gibt es schon seit fünf Jahren so ein Programm. Wer ein Studium mitbringt oder etwa Kinderkrankenschwester ist, der kann sich qualifizieren und in der Kita arbeiten. Nur dürfen es dort nicht mehr als 25 Prozent sein. Und das brauchen wir in der Jugendhilfe auch.

Haben Sie dort fachfremdes Personal?

Wir diskutieren das gerade, wie alle anderen Träger mit der Stadt.

Sind die 48 Plätze belegbar?

Die Zimmer sind da und jetzt über die Hälfte belegt. Das muss man in Prozessen machen. Wir öffneten vor Weihnachten die erste Wohngruppe und dann zwischen Weihnachten und Neujahr die zweite. Nun kommt die dritte. Aber es sind neue Teams, die sich bilden. Da braucht man etwas Geduld.

Wie haben Sie es geschafft, so zügig aufzumachen?

Ich habe tolle Mitarbeiter, die das Herz am richtigen Fleck haben. Vor Weihnachten haben wir uns gefragt, ob wir eine Eröffnung schaffen, damit auch der KJND entlastet wird. Da fragten wir unsere Kollegen, die sonst in den Kitas arbeiten. Und es erklärten sich so viele Mitarbeiter bereit, dass das geklappt hat.

Gibt es dort auch Security? Wer passt nachts auf?

Pädagogen und Sprachmittler. Wir könnten rein theoretisch auch Security einsetzen, aber wir glauben, dass es sinnvoll ist, rund um die Uhr waches, anwesendes Personal zu haben.

Bleiben die Jugendlichen in der Einrichtung?

Der Plan ist: Die kommen an, es wird geklärt, ob sie in Hamburg bleiben, dann kommen sie in Ersteinrichtungen und dann sollen sie von dort relativ schnell in Folgeeinrichtungen umziehen. Dieses System hat in Hamburg ja nicht funktioniert, sonst wäre der KJND ja nicht so übergelaufen.

Wohin sollen sie ziehen?

In die ganz normale Jugendhilfe oder ins verselbstständigte Wohnen. Aber die Folgeplätze reichen nicht aus. Deswegen stellen wir uns darauf ein, dass die länger bleiben. Aber dann muss es auch funktionieren. Die Jugendlichen kommen mit Ideen und Träumen nach Deutschland, was sie erreichen wollen. Wenn wir sie frustrieren – etwa wenn wir sagen: „Ihr kriegt jetzt noch keinen Deutschkurs!“ –, behindert das die Integration.

Und sie müssen zur Schule?

Genau. Nur die sind auch überlaufen. Und ärgerlich ist, dass die „Internationalen Vorbereitungsklassen“ leider für unsere Jugendlichen gar nicht mehr greifen, weil sie nicht für über 16-Jährige geschaffen wurden. Dabei brauchen unsere Jugendlichen vom Lernstand her genau diese Vorbereitung. Aber sie dürfen nur in berufliche Maßnahmen und auch dort reichen die Plätze nicht. Deshalb diskutieren wir mit den Behörden, wie wir die Jugendlichen ins Bildungssystem integrieren. Und wir hoffen, dass wir auch in Hamburg neue Wege gehen.

Denken Sie an eine träger­eigene Schuleinrichtung?

Sternipark hat in Hamburg eine genehmigte private Berufs­fachschule für Sozialpädagogische Assistenz. Wenn es daran scheitert, dass es keine Plätze gibt, dann ist sicher unsere Schule bereit, für diese Jugendlichen ein Kursangebot zu ­entwickeln.

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