Der andere Trollinger: Alter Wein in neuen Schläuchen

Trollinger ist der Klassentrottel unter deutschen Weinen, selbst in Schwaben hat er es schwer. Einige renitente Winzer wollen ihn nun neu erfinden.

Jemand erntet Weintrauben

Klasse statt Masse, ist das die Lösung? Foto: Horst Rudel/imago

Den Umgang mit Trollinger kann Alexander Eisele nur schwer ertragen. Der werde „nur schlecht geredet und heruntergemacht“. Und das, sagt der 39-jährige Winzer aus dem Neckartal, habe er „überhaupt nicht verdient“.

Trollinger ist so etwas wie der Klassentrottel unter den deutschen Weinen. Es hat Konjunktur, über ihn zu spotten. Gar kein richtiger Rotwein sei das, eher Rosé, ein zahnloses und schwer zu definierendes Weinchen. Dabei war Trollinger lange die Königsrebe in Schwaben, er galt als die Cashcow unter den Württemberger Weinen und stand in den allerbesten Lagen, weil nur da die Trauben dieser kapriziösen Rebe ausreifen konnten. Dort hätten auch Rieslinge und Spätburgunder von internationalem Format heranwachsen können – doch die schwäbischen Wengerter entschieden sich für Trollinger. Dass sie für ihren durchsichtigen, meist halbtrockenen Rotwein pro Flasche kaum Gewinn erzielten, störte sie nicht; der großbeerige Trollinger kann Unmengen an Trauben produzieren. Menge und Masse machten das Geschäft lange Zeit rentabel.

Der Publizist und Winzer Horst Hummel schreibt über das Verhältnis der Schwaben zu ihrem Leibgetränk: „Der Trollinger schmeckt immer gleich und darüber sind die Schwaben am glücklichsten. Er wird ausschließlich von Schwaben in Schwaben getrunken und ausschließlich von Schwaben in Schwaben gelobt.“ Die Vierteles-Schlotzer, die ihren heißgeliebten Zechwein aus dem klobigen Henkelglas schlürfen, wurden gar zum Symbolbild schwäbischer Mentalität.

Trollinger ist ein umgänglicher Wein, von dem mancher mühelos eine Handvoll Viertele und mehr trinken kann. Aber das Verhältnis der Schwaben zu ihrem täglichen Begleiter ist schwer gestört. Die Trinkgewohnheiten haben sich geändert, seit dunkle, eichenwürzige Rotweine aus Rebsorten wie Cabernet Sauvignon zum Lebensstil gehören, und die alte Generation der Vierteles-Schlotzer stirbt aus. Entsprechend sind die Trollinger-Anbauflächen in den letzten zehn Jahren von über 2.500 Hektar auf unter 2.000 geschrumpft. Tendenz weiter sinkend. Neuen Statistiken zufolge hat Riesling den Trollinger in Württemberg schon überholt, und der Lemberger sitzt ihm im Nacken.

„Dieses Nationalheiligtum darf man nicht opfern“, sagt Alexander Eisele, der zu einer kleinen, renitenten Gruppe von Winzern zählt, die mit den Konventionen im konservativen Schwaben gebrochen haben und den Weinbau anders angehen. Als er 2014 sein Weingut in Hessigheim im Neckartal von den Eltern übernahm, kelterte Eisele den Trollinger noch so, wie es im Schwäbischen üblich ist: Während die meisten Rotweine auf der Maische vergären, wodurch Farbpigmente und Gerbstoffe ausgelöst werden, wird bei dieser Rebsorte traditionellerweise die Maische erhitzt. „Anschließend ist der Most tot. Auf diesem Weg kann nichts anderes entstehen als der dünne, hellrote Wein, der dem Trollinger zu seinem Ruf verholfen hat“, schreibt Horst Hummel.

Alexander Eisele zweifelte bald an diesem Verfahren und entwickelte eine eigene Stilistik. Er lässt den Trollinger mit natürlichen Hefen spontan und auf der Maische vergären, er schönt und filtriert nicht, er baut den Wein in gebrauchten Burgunderfässern aus – ein radikaler Gegenentwurf zum süßlich-dropsigen Weinzwitter, der nach Erdbeermarmelade riecht. Und während seine Eltern in bester schwäbischer Maximierungsmanier 120 bis 130 Hektoliter pro Hektar ernteten, beschränkt Eisele den Ertrag auf 70 Hektoliter, um dem Wein zu mehr Profil zu verhelfen. Sein Trollinger zeigt eine filigrane Struktur, lebhafte Säure und geschmeidige Tannine, der Muschelkalkboden steuert eine mineralische Note bei.

In diesen Muschelkalk hat sich der Neckar zwischen Hessigheim und Besigheim tief hineingegraben, seit dem Mittelalter legten Generationen von Weinbauern mühsam Terrassen für ihre Reben an. Diese Steillagen können nur mit enorm aufwändiger Handarbeit bearbeitet werden, „ein richtiger Knochenjob“, sagt Alexander Eisele. Aber sein Trollinger sei immer der erste Wein, der ausverkauft ist, obwohl der Winzer dafür 14 Euro verlangt – in Schwaben beinahe unerhört viel Geld.

Direkt gegenüber, nur durch die Hauptstraße getrennt, hat sich die Felsengartenkellerei Besigheim breitgemacht, die ihren Trollinger in bewährter Manier auf Temperatur bringt. Es sind mehr als zwei Weinstile, es sind Welten, die die Nachbarn voneinander trennen. Während Eisele einen halben Hektar Trollinger biologisch kultiviert, bewirtschaftet die Genossenschaft beinahe 700 Hektar Rebfläche und überschwemmt das Land mit seiner maischeerhitzten Weinkarikatur. Er könne sich nicht vorstellen, wer so etwas in Zukunft noch trinkt, sagt Eisele, aber einige der großen Kellereien ignorierten die Zeichen der Zeit.

Inzwischen hilft es aber selbst im gemütlichen Neckartal nicht mehr, Probleme auszusitzen: Dem Trollinger ist es in vielen Lagen zu warm geworden. Der Klimawandel zeigt sich immer stärker, auch Rebstöcke leiden unter Sonnenbrand. In den Terrassen können die Temperaturen bis auf 50 Grad hochschnellen, „da macht der Trollinger nicht mehr viel“, sagt Eisele. Er ist ohnehin eine schwierige Rebsorte und mit seiner porösen Schale extrem anfällig für Krankheiten und Schädlinge. „Alles, was man nicht haben will, hat Trollinger immer zuerst“, sagt Bernd Kreis, bekannter Sommelier, Weinhändler und Winzer. Weil er so wüchsig sei, müssten die Winzer ohnehin deutlich mehr Aufwand betreiben. Deshalb wurden viele Trollingeranlagen schon gerodet und mit anderen Rebsorten bestockt. Auf den Hessigheimer Terrassen wächst von Cabernet über Merlot und Syrah bis zum Tempranillo inzwischen alles. „Wenn die alten Rebstöcke rausgerissen werden, blutet mir das Herz“, sagt Alexander Eisele. Er weiß von etlichen Genossenschaftswinzern in der Gegend, die den Trollingeranbau aufgeben: Die Plackerei lohne sich einfach nicht mehr.

Für die Trollingerbewahrer steht jedoch fest, dass die schwäbischste aller Rebsorten eine Zukunft hat. Dafür müsse man aber endlich „aus dem traditionellen Stil ausbrechen, die Erträge herunterfahren und seine wahren Werte erkennen“, sagt Kreis. Die Leichtigkeit, Frische und die animierende Frucht des Trollingers seien Vorzüge, die bestens in die heutige Zeit passen. Er eignet sich auch für den schwefelfreien Ausbau, eine Stilistik, die gerade in der Bio- und Naturweinszene angesagt ist.

Auch Eisele schwefelt seinen Trollinger nur minimal. Württembergische Spitzenwinzer wie die Aldingers exportieren ihren naturbelassenen Trollinger „Sine“ – ohne Zugabe von Hefen und Sulfiten, ohne Fil­tration – nach Skandinavien und sogar in die USA. „Das ist eine Perspektive, die wir haben“, sagt Bernd Kreis. Um als Winzer rentabel wirtschaften zu können, „müsste die Flasche Trollinger mindestens zwanzig Euro kosten“. Der Trollinger ist vom hohen Sockel in die Nische abgestürzt, aber „da könnte er wenigstens überleben“.

„Wir sind immer noch Trollingerland. Wer soll denn den ganzen Merlot trinken, der überall angebaut wird?“, fragt Alexander Eisele, für den der Erhalt der verstoßenen Königsrebe auch die schwäbische Antwort auf die Globalisierung der Weinwelt ist. Mit dem Trollinger gehe ein „Teil unserer Identität verloren“. Sitzen die Einheimischen künftig abends etwa mit einem Glas feisten Syrah zusammen? „Das passt nicht zur schwäbischen Mentalität“, sagt der Winzer. „Dagegen müssen wir arbeiten.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.