Proteste an der Universität Jena: Zu ungeduldig für Basisdemokratie

Das Präsidium der Uni Jena will die Besetzung eines Hörsaals beenden. Doch die Studierenden sind entschlossen – und bleiben bei ihren Forderungen.

Ein Besetzter Hörsaal, Transparente an einer Tafel

Besetzter Hörsaal in der Universität Jena am 4. Dezember Foto: Sebastian Drue

JENA taz | „Herzlich Willkommen“ und „Besetzt“ steht auf großen Bannern über dem Eingang des Hörsaal 1 – dem größten im Gebäude – an der Universität Jena. Der Hörsaal ist seit mittlerweile sieben Tagen besetzt, um gegen die Entscheidung des Präsidiums zu protestieren, den Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte abzuschaffen.

Für diesen Zweck wurden Matratzen, Pflanzen und Lichterketten in den Raum geschafft, an der Tafel steht der Tagesablauf mit Plena und Vorträgen. Immer mehr Menschen strömen in den Raum, einige tragen ein Tablett mit Mensaessen, andere unterhalten sich leise.

Der Hörsaal wurde in den letzten Tagen permanent von etwa 30 Personen und zeitweise von mehr als 100 Personen besetzt. Damit soll jetzt Schluss sein, das wünscht sich zumindest das Präsidium unter Prof. Dr. Walter Rosenthal von den Besetzer*innen. Laut den Organisator*innen, einer Gruppe Studierender der Universität Jena, kam die Forderung der Beendigung der Besetzung überraschend.

Für die Deadline, Dienstag am Nikolaustag um 12 Uhr, wurden noch einmal verstärkt Menschen eingeladen. Und die kamen auch. Etwa 400 Personen, viele davon selbst Studierende, die meisten davon dem linken Spektrum zuzuordnen. Einige Personen mit Hemd und Sakko stachen heraus, denn die Universitätsleitung war auch da. Der Präsident ließ sich allerdings nicht blicken. Ihr Erscheinen war laut den Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen nicht abgesprochen.

Uwe Cantner, der Vizepräsident, steht mit vorbereiteten Karteikarten vor dem Podium mit Blick zu den langen Sitzreihen. Die haben sich mittlerweile gefüllt. “Der Hörsaal ist voller als bei jeder Vorlesung“ hört man aus der Menge.

Alle haben Stimmrechte

„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns den Lehrstuhl klaut“ wird durch das Mikro gerufen und vom Publikum wiederholt. Mittlerweile steht der Vizepräsident auf der Bühne. Über sein Rederecht muss aber erst abgestimmt werden. Das geschieht nach einem basisdemokratischen Verständnis, wie alle Entscheidungen in der Organisationsgruppe getroffen werden sollen.

Im Hörsaal bedeutet das, dass alle Menschen im Publikum zu dem Rederecht abstimmen können, aber auch, dass jede einzelne Person ihre Meinung zu dem Vortrag sagen darf.

Es wird hitzig, für besondere Aufregung sorgt, dass das Präsidium im Vorhinein ankündigt, keine Fragen zu beantworten. „Das geht doch nicht“, wird gerufen. Eine ältere Rednerin mit gestrickter Regenbogenmütze meint bestimmt: „Wir bleiben eben so lange hier, bis unsere Fragen beantwortet werden. Punkt“. Die Entscheidung zieht sich in die Länge. Zuhören oder es sein lassen? Können Fragen gesammelt werden oder müssen sie jetzt gestellt werden?

Als die Red­ne­r*in­nen am Pult eine schriftliche Bestätigung des Präsidiums fordern, dass sie die Fragen auch wirklich beantworten werden, ist das wohl zu viel, dauert zu lang und das Präsidium verschwindet durch den Ausgang, ohne das Publikum noch einmal eines Blicks zu würdigen. So bleibt unklar, was sie zu den Anschuldigungen oder zu der Besetzung gesagt hätten.

Sicherlich wären sie auch sehr publikumswirksam ausgebuht worden, aus den Wortmeldungen und bestätigendem Beifall vorher konnte man schon entnehmen, dass die meisten Anwesenden solidarisch mit den Be­set­ze­r*in­nen sind.

Die Red­ne­r*in­nen machen trotzdem weiter, bekräftigen die Gesprächsbereitschaft ihrerseits und präsentieren ihre Forderungen: Dazu gehören neben dem Fortlauf des Lehrstuhls auch der Wunsch nach einer transparenten und demokratischen Entscheidungsfindung an der Universität und nach besseren Löhnen für studentische Hilfskräfte.

Ein Motivationsschub

„Es ist für mich ein richtig guter Motivationsschub, dass heute so viele Leute da waren und sich mit uns solidarisiert haben“ sagt Jonas, ein Mitorganisator der Besetzung der taz. „Es macht Lust, weiterzumachen. Und es sind ja auch immer noch nicht alle Forderungen ausgehandelt“, bestätigt Sophia. „Wenn die Universität überraschend fordert, die Besetzung zu räumen, obwohl sie vorher entgegenkommend reagiert hat, dann ist das eine Verschärfung der Situation. Wir bleiben aber weiterhin gesprächsbereit“, fügt sie hinzu.

An ein Aufgeben ist noch nicht zu denken. Die Studierenden wollen sich klar gegen einen Rechtsruck positionieren, der in Thüringen stattfindet. Während der Kundgebung im Hörsaal kommt die Nachricht rein, dass etwa zehn Personen von der AfD vor dem Hörsaal protestieren und auch versuchen in das Gebäude zu kommen.

Ob das Präsidium nach dem verwehrten Redewunsch noch gesprächsbereit ist, bleibt abzuwarten. Sie hatten den Be­set­ze­r*in­nen eigentlich mündlich einen anderen Raum anbieten wollen, um die Besetzung zu beenden, sagte eine Sprecherin der Universitätsleitung der deutschen Presseagentur.

Vorerst dürfen die Be­set­ze­r*in­nen noch bleiben. Spannend wird in den nächsten Tagen, wie die Studierenden ihre Forderungen ausarbeiten und sich intern organisieren können. Die Beinahe-Räumung endet mit der Aufforderungen, in kleinen Gruppen weiter über die Inhalte zu diskutieren.

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