Silvesterknaller wieder erlaubt: Zeit für ein Böllerverbot

Die Entlastung von Krankenhäusern ist kein Thema mehr – es darf wieder geböllert werden. Aber warum eigentlich?

Silvesterböller

Für die einen große Freude, für andere große Last Foto: Marius Schwarz/imago

Was für die einen Spaß bedeutet, kann für andere eine große Belastung sein. Dazu zählen Mobbing und fehlendes Tempolimit. Und alle Jahre wieder auch Feuerwerksraketen.

Zwei Jahre lang war das Böllern auf den Straßen verboten; im Vordergrund stand die Entlastung des Krankenhauspersonals wegen Corona. Ihr Ziel hat die Politik durchaus erreicht: Der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zufolge mussten in den Vorjahren jeweils um die hundert Schwerverletzte stationär behandelt werden, im Pandemiejahr 2020/2021 waren es nur noch 32. Auch die Verletzten in Augenkliniken sanken von 500 auf 79. Für einen nächtlichen Spaziergang war der Rückgang Feuerwerksverletzter ein angenehmer Bonus: So konnte man sich den Anblick angeschmorter Hände getrost sparen.

Christian Drosten hat das Ende der Pandemie angekündigt, und nun ist auch mit dem Böllerverbot Schluss. Zusammen mit überforderten Krankenwagen kehren noch mehr Unannehmlichkeiten zurück: Feinstaubbelastung, Chemikalien und Mikroplastik, Müllhaufen, brennende Autos und Container, außerdem verängstigte Haus-, Zoo-, Wildtiere und Menschen.

Denn die Knallerei macht nicht nur Kaninchen und Hunden Angst: Auch Menschen leiden unter Silvesterlärm. Zudem gab es in diesem Jahr einen Zuwachs an Geflüchteten: Bei manchen führt der Krach zu Reaktualisierung, besonders bei jenen, die einen Krieg aus der Nähe erleben mussten.

Und wozu das Ganze?

Be­für­wor­te­r:in­nen ziehen das Spaß-Argument vor. Aber auch hier stellt sich, ähnlich der Tempolimit-Debatte, die Frage: Macht das Böllern wirklich so viel Spaß? Ist es die ganzen verängstigten Hunde und verletzten Augen wert? Was ist das für eine Definition von Freude, der so viele belastet und so vieles kostet?

Die DKG merkt an, dass diesem vermeintlichen Vergnügen insbesondere Männer und Jungs verfallen. Von den stationär Aufgenommenen gehörten im Jahr 2019 83 Prozent, 2020 86 Prozent und 2021 sogar 100 Prozent dem männlichen Geschlecht an.

Ursprünglich war der Lärm dazu gedacht, böse Geister zu vertreiben. Heute dient er vor allem dazu, auf sich aufmerksam zu machen. Wenn aber Tradition keine Rolle mehr spielt, wird es nicht langsam Zeit, sich davon zu lösen? Schließlich ist Tradition fluide und ändert sich mit der Zeit, genauso wie Sprache oder Ernährungsgewohnheiten.

Wenn private Böllerei verboten wird, heißt das nicht, dass Feuerwerk gänzlich vom Himmel verschwindet. Städte und Kommunen könnten Spots einrichten, wo es städtisch durchgeführtes Feuerwerk gibt. Dort kommt die Nachbarschaft zusammen, grüßt sich und feiert gemeinsam ins neue Jahr hinein. Ganz ohne Schäden.

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In Tokyo und Hamburg aufgewachsen, Auslandsjahr in Shanghai. Studium in Berlin, Chongqing und Halle. Schreibt seit 2021 für die taz. Kolumnistin des feministischen Magazins an.schläge (Foto: Hella Wittenberg)

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