Steinmeiers Weihnachtsansprache: Früher war mehr unbequem

Der Bundespräsident sagt, dass die Letzte Generation ihrem Anliegen schade. Damit biedert sich das Staatsoberhaupt der Mehrheit seines Publikums an.

Bundespräsident Steinmeier steht vor einem Weihnachtsbaum

Die Strohsterne sahen vergangenes Jahr ganz ähnlich aus: Steinmeier vor seinem Weihnachtsbaum Foto: Tobias Schwarz / afp

Die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten ist ein ganz spezielles Genre mit eigenen Regeln. Sie soll Hoffnung verbreiten, ohne Kritisches ganz beiseite zu lassen. Sie soll Moral enthalten, aber wohldosiert, um die finale Verbreitung von Zuversicht nicht zu stören. Die Spielräume sind klein. Aber es gibt sie. Hat Frank-Walter Steinmeier sie klug genutzt?

Fangen wir mit dem Positiven an. Steinmeier hat die Deutschen aufgerufen, weiterhin solidarisch die Belastungen des Ukrainekriegs zu ertragen. Das ist richtig. Denn es gibt kein Anzeichen dafür, dass der Krieg bald enden wird. Erfreulich wäre ein zarter Hinweis gewesen, wie diese Lastenteilung besser funktionieren kann. Die Weihnachtsgeschichte enthält ja genug Anknüpfungspunkte, um zu fragen, ob die Reichen genug zur Solidarität beitragen. Aber das hätte ein wenig Wagemut erfordert.

Wenn man die Allgemeinplätze der Rede streicht, bleiben zwei markante Forderungen übrig: Der Krieg gegen die Ukraine müsse mit einem „gerechten Frieden enden, der Landraub nicht belohnt“. Das ist ein wünschenswertes Ziel. Aber warum ist es die Aufgabe des Bundespräsidenten, in der Weihnachtsansprache das Ergebnis ferner Verhandlungen zu definieren, bei denen Gerechtigkeit und Frieden kaum deckungsgleich sein werden?

Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Ex-Außenminister, der den Landraub der Krim 2014 diplomatischer betrachtete, hier als Spätbekehrter redet, der seine Läuterung demonstrieren will.

Der Letzten Generation bescheinigt Steinmeier, „der Sache des Klimaschutzes zu schaden, indem sie andere gegen sich aufbringen“. Aber sind ein paar Hundert KlimaaktivistInnen es wert, vom ersten Mann im Staate verurteilt und somit als bedeutsam geadelt zu werden? Wenn schon, dann wäre der Zusatz nötig, dass das Gerede von der Klima-RAF verhetzend wirkt. Diese Aktionen sind ziviler Ungehorsam.

Banale Einsichten

Auch wenn man ihre Wirkungen skeptisch beurteilt, gibt es keinen Grund, AktivistInnen als kriminelle Vereinigung zu behandeln. Doch solche Differenzierungen fehlen. Steinmeier spiegelt nur, was die Mehrheit denkt – das ist zu wenig. Zum Kampf gegen den Klimawandel ist nur zu erfahren, dass er „nichts an Dringlichkeit verloren“ habe. Das ist banal. Schon der mögliche Eindruck, Letzte Generation und Klimawandel könnten gleichrangige Probleme sein, hat etwas Niederschmetterndes.

Gustav Heinemann hat in der Weihnachtsansprache 1971 von den Deutschen mehr Bürgermut gefordert und gesagt: „Es ist bequem, unangenehme Wahrheiten zu verschweigen.“ Bei Steinmeier müssen wir uns mit bequemen Weisheiten begnügen.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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