Ausstellung zu Mutterschaft in der Kunst: Kunst mit Kind

Originelle Perspektivwechsel: Die Ausstellung „Motherhood“ in Syke zeigt beeindruckend gegenwärtige Arbeiten zum uralten Thema der Mutterschaft.

Narbe unter einer Brustwarze. Von unten kommen Babyfüße ins Bild

Papas Narbe: Alex Giegolds Familienfotos stellen Kaiserschnitt und Mastektomie gegenüber Foto: Alex Giegold/Syker Vorwerk

Natürlich ist es ein bisschen albern, jetzt mit Jungfräulichkeit anzufangen. Aber es ist doch ausgesprochen verblüffend, wie neu und unverbraucht diese Ausstellung über Mutterschaft in der Kunst daherkommt. Gerade zu Weihnachten, da sich hierzulande ja kaum Deckung finden lässt vor all den frisch entbundenen Jesusbabys und ihren (eben unbefleckten) Muttis vor den Krippen.

Nun ist in Sachen christlicher Ikonografie so ganz viel nicht zu holen im Syker Vorwerk. Und auch sonst verdankt die Schau „Motherhood“ ihren originellen Schwung höchstens am Rande ihren Motiven, um die sich Kunst seit jeher rankt: Frauen, Babys, Milch und Brüste. Aufregend ist hingegen der Perspektivwechsel, den Kuratorin Nicole Giese-Kroner hier mit 14 Künst­le­r:in­nen und -kollektiven unternimmt. Weil es eben um die Mutter als Kunstschaffende geht, als Künstlerin also, was in der zeitgenössischen Kunst auch heute alles andere als selbstverständlich ist.

Ein noch gar nicht so wahnsinnig historischer Ausgangspunkt wäre etwa Marina Abramović, mit der sich Künstlerin Hannah Cooke in einer der in Syke ausgestellten Videoarbeiten auseinandersetzt. Cooke hat das Setting von Abramovićs berühmter Performance „The Artist Is Present“ nachgebaut: Hier wie dort sitzt eine Frau mit rotem Kleid und langen braunen Haaren an einem Holztisch und bietet sich ihrem Gegenüber regungslos als Projektionsfläche an.

Vor der scheinbaren Abramović hat hier nun Hannah Cooke Platz genommen und stillt ungerührt ihre Tochter Ada. Über ein paar Minuten tritt das stille Duell auf Augenhöhe ohne weitere Erklärung den Beweis an: Auch eine Mutter kann erstens hier sitzen und damit zweitens auch Kunst schaffen. „Ada vs. Abramović“ ist in Sachen Kunstbetrieb die programmatische Arbeit der Ausstellung, reiht sich aber ein in vielfältige Zugriffe aufs Thema.

Motherhood ist noch bis zum 26.2.2023 im Syker Vorwerk (Am Amtmannsteich 3, Syke) zu sehen. Öffnungszeiten und Veranstaltungstermine finden Sie hier.

Drei Räume weiter beschäftigt sich Clara Alisch „Lactoland“ etwa ebenfalls mit dem Stillen, lässt die Frage der Öffentlichkeit dabei aber komplett beiseite, um dem Publikum erst recht auf die Pelle zu rücken. Ihr Video verschneidet eine Frau beim Abpumpen ihrer Brust mit einer Szene aus der Bonbonmanufaktur in der Bremer Böttcherstraße.

Zwischen spritzender Milch und rhythmisch angesaugter Brustwarze ist immer wieder die Künstlerin zu sehen, die einen milchig weißen Bonbonteig knetet und zu Drops formt. Auf einem Tisch vor der Leinwand steht ein offenes Glas mit eben diesen Bonbons – zur Selbstbedienung.

Solche Kippmomente von Tabu und Fetisch hatten sich ungewollt bereits vorab in der Ankündigung der Ausstellung niedergeschlagen. Von einem Gruppenfoto der Berliner Künstlerin Sophia Süßmilch kursierten schon vor Ausstellungsbeginn mindestens drei Versionen im Netz. Auf allen sitzen ein junges Mädchen und eine Schwangere auf Schaukelpferden, dazwischen die nackte Künstlerin auf allen Vieren.

Für die Ausstellungswerbung im Netz wurde nun mal das Kindergesicht unkenntlich gemacht, um das minderjährige Modell zu schützen. In einer dritten Versionen wurden auch die Brustwarzen der Künstlerin verwischt, damit Instagram ihren Account nicht sperrt – nicht schon wieder. So viel an dieser Stelle zum gesellschaftlichen Fortschritt, zur Prüderie und zur Ästhetik der Zensur.

Der weibliche Körper steht in „Motherhood“ naturgemäß im Mittelpunkt. Es gibt aber durchaus auch Arbeiten über queere Mutterschaftsentwürfe: intime Familienfotos etwa, die Narben vom Kaiserschnitt der Mutter mit der Mastektomie des Vaters kontrastieren. Auch Mütter gibt es hier, die Männer sind. Und Frauen, die ausdrücklich keine Mütter sein wollen.

Queere Mutterschaft

Dass hier eine komplexe Gemengelage zur Verhandlung steht, hatte der vollständige Ausstellungstitel bereits in notwendiger Sperrigkeit versprochen: „Motherhood. Nicht / Noch nicht / Nicht mehr / Vielleicht / Muttersein“. Erfreulich ist beim Gang durchs Syker Museum, wie aufmerksam die Präsentation diese zwar verwandten, aber doch sehr unterschiedlichen Fragestellungen zu ihrem Recht kommen lässt. Sie werden eben weder unter das gemeinsame Thema gezwungen, noch runtergekocht aufs historisierende Pars pro Toto.

Und das hätte man ja ohne Weiteres tun können: im Marsch von den Fruchtbarkeitsgöttinnen an vorzeitlichen Höhlen durch zweitausend Jahre Marien-Franchise über Paula Modersohn-Becker bis heute oder so. Hat man aber nicht. Stattdessen wirft „Motherhood“ beeindruckend gegenwärtige Schlaglichter auf Fragen, die so alt sind wie die Menschheit – und auf Antworten, die gefunden, behauptet, erkämpft und eben auch immer wieder verteidigt werden müssen.

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