Prozess gegen ehemalige KZ-Sekretärin: Ein Urteil, das in die Zukunft weist

Mit Irmgard F. ist wohl zum allerersten Mal eine KZ-Zivilangestellte zur Rechenschaft gezogen worden. Der Schuldspruch ist in vielerlei Hinsicht bedeutend.

Nahaufnahme Farbband in einer SChreibmaschine

Ein Rad in der Vernichtungsmaschinerie: Die ehemalige KZ-Sekretärin Irmgard F. bekam eine Bewährungsstrafe Foto: Nora Carol/getty

Zwei Jahre auf Bewährung für Beihilfe zum Mord an mehr als zehntausend Menschen, das hört sich nach einem extrem unverhältnismäßigen Urteil an. Doch es gilt bei der Strafe für eine frühere Sekretärin des Konzentrationslagers Stutthof einiges zu berücksichtigen: Irmgard Furchner hat mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht selbst getötet. Sie saß auf keinem Wachturm und legte nicht selbst Hand an. Ihre Waffe war eine Schreibmaschine. Ihre Tätigkeit – wie die vieler weiterer KZ-Bediensteter – diente dazu, den Lagerbetrieb aufrechtzuerhalten.

Die Sekretärin war ein Rädchen im Getriebe einer Todesmaschine, der in Stutthof in der Nähe des damaligen Danzig 65.000 Menschen zum Opfer fielen – nicht mehr und nicht weniger. Ein hohes Alter schützt nicht davor, wegen Beihilfe zum Mord zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Das Urteil von Itzehoe ist in dreifacher Hinsicht bedeutend. Erstens macht es deutlich, dass Deutschland auch fast 80 Jahre nach der Niederschlagung des NS-Regimes die Taten aufzuklären bereit ist – viel zu spät für die meisten mutmaßlichen Mörder, aber immerhin.

Zweitens ist mit Irmgard Furchner wohl zum allerersten Mal eine Zivilangestellte eines KZ zur Rechenschaft gezogen worden. Das zeigt, dass es zum Mord eben nicht unbedingt einer Schusswaffe, einer tödlichen Spritze oder Giftgases bedarf. Auch eine Schreibkraft kann sich schuldig machen, wo Menschen planmäßig getötet werden.

Daraus erwächst die dritte Komponente. Das Landgericht Itzehoe hat zwar ein Urteil gegen eine Person gefällt, deren Taten lange zurückliegen. Doch der Schuldspruch weist auch in die Zukunft. Er macht deutlich, dass künftig bei ähnlichen Verbrechen auch diejenigen die bundesdeutsche Justiz zu fürchten haben, die „nur“ die Schreibarbeit in einem Lager erledigt haben.

Das hört sich akademisch an, ist es aber nicht: Wer heute in der Ukraine Morde begeht oder dabei behilflich ist, könnte in vielen Jahren in Deutschland vor Gericht gestellt und verurteilt werden, sollte er oder sie einmal auf die Idee kommen, Urlaub im Schwarzwald zu machen.

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Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024

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