Verschobenen Wahlen in Somaliland: Stabilität kann schnell vergehen

In der schwersten Hungerkrise der Geschichte Somalilands verhärten sich nun die politischen Fronten. Die Opposition erkennt den Präsidenten nicht mehr an.

Viehmarkt in Somaliland

So wichtig wie anderswo der Finanzmarkt: Viehmarkt in Burao, Somaliland Foto: Katrin Gänsler

HARGEISA taz | Wäre alles wie geplant gelaufen, wäre Muse Bihi Abdi möglicherweise längst nicht mehr im Amt. 2017 wurde der 74-Jährige zum Präsidenten von Somaliland gewählt. Die Amtszeit beträgt fünf Jahre, eine Wiederwahl ist möglich. Doch im September ließ der Ältestenrat des Landes, genannt Guurti, die für den 13. November geplante Präsidentschaftswahl verschieben und der Amtsinhaber bleibt ohne Wahl bis zu zwei weitere Jahre an der Macht.

Für die Opposition ist dieser Zustand nicht haltbar. „Seine Amtszeit ist vorbei und die Verlängerung illegal“, sagt Mohamud Adan Jama, Sprecher der größten Oppositionspartei Waddani. Man erkenne Muse Bihi Abdi nicht mehr als legitimen Präsidenten an. „Er hat alles versucht, um Wahlen zu verhindern.“

Die Regierung sieht das gelassener. „Wir haben diese Angewohnheit, Amtszeiten zu verlängern“, sagt Saad Ali Shire. Somalilands Finanzminister war ab 2010 zuerst Planungs- und dann Außenminister. Schon bei zwei früheren Präsidenten sei das Mandat um zwei Jahre verlängert worden, Verfassung hin oder her.

In den Straßen von Hargeisa, der Hauptstadt, hält sich die Aufregung ebenso in Grenzen wie in entlegenen Dörfern. Von den 3,5 Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen Somalilands lebt schätzungsweise ein Drittel in absoluter Armut und viele davon sorgen sich eher um die nächste Mahlzeit als um die nächsten Wahlen. Die international nicht anerkannte Republik Somaliland, die von den UN als Teil Somalias definiert wird, leidet unter der anhaltenden Dürre am Horn von Afrika, die Hilfswerke als die schwerste der vergangenen 40 Jahre bezeichnen und die den verbreiteten Hunger hervorgerufen hat. Nach UN-Schätzungen sind 36 Millionen Menschen in Kenia, Äthiopien und Somalia – einschließlich Somaliland – auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Ohne Anerkennung: kein Zugang zu internationalen Krediten

Die verschobenen Wahlen könnten in Somaliland die humanitäre Notlage weiter verschärfen. Der Staatshaushalt hat ein Volumen von gerade einmal rund 350 Millionen US-Dollar pro Jahr. Im besonderen Maße trägt dazu die Viehwirtschaft bei, die etwa 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Doch aufgrund der Dürre verenden Tiere. Gleichzeitig ist Somaliland stark von der Weltwirtschaft abhängig. Ohne verarbeitende Industrie und mit nur wenig Landwirtschaft muss so ziemlich alles eingeführt werden: von Zucker über Pasta bis hin zu Baumaterial. Aber da Somaliland nicht als Staat anerkannt ist, hat es keinen Zugang zu Krediten von Weltbank und Internationalem Währungsfonds, um Finanzlöcher zu stopfen. Mehr noch als andere arme Länder hängt Somaliland von Privatinvestoren und Überweisungen aus seiner Diaspora ab. Politische Instabilität hilft da nicht. „Konflikte entmutigen Investitionen. Konflikte stehen stets im Gegensatz zur Entwicklung“, gibt Finanzminister Saad Ali Shire zu.

Vor allem aber schadet die Krise dem Ruf Somalilands als einzigem funktionierenden Staat auf dem Gebiet Somalias – eine Errungenschaft, deren Anerkennung alle politischen Lager des Landes eint. „In Bezug auf Stabilität und Demokratie sind wir eine Erfolgsgeschichte. Darauf sind wir stolz“, betont Oppositionspolitiker Mohamud Adan Jama.

Somaliland war bis 1960 ein britisches Kolonialgebiet am Golf von Aden. Nach der Unabhängigkeit 1960 vereinte es sich mit der ehemals italienischen Somalia-Kolonie weiter südlich. Aber im Mai 1991 erklärte Somaliland unter Führung einer Rebellenorganisation wieder seine Trennung von Somalia, das nach dem Sturz von Langzeitdiktator Siad Barre in politischen Wirren versunken war. Damals lag die heutige Hauptstadt Hargeisa in Trümmern, aber ein neuer Staat wurde aufgebaut. Somaliland ist seitdem weitgehend von den mörderischen Clankonflikten verschont geblieben, die Somalia seit dreißig Jahren zerreißen, und auch bisher nicht in den Fokus der islamistischen Terrorgruppe al-Shabaab geraten, die bis heute Teile Somalias beherrscht und in der Hauptstadt Mogadischu mörderische Angriffe verübt.

Dafür fließen allerdings in Somaliland auch mehr als ein Drittel des Budgets in die Sicherheit. Bleibt das Land stabil und demokratisch – für den globalen Norden bedeutet das vor allem regelmäßige Wahlen –, dann könnte der Staat möglicherweise eines Tages tatsächlich international anerkannt werden. Bisher hat das nur Taiwan getan, obwohl eine Reihe von Staaten und Organisationen Vertretungen in Hargeisa unterhalten, die faktisch als Botschaften fungieren.

60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts macht die Viehwirtschaft aus

Die verschobenen Wahlen verschlechtern nun auch die Situation der Menschenrechte. Bei Protesten im August kamen fünf Menschen ums Leben, über 100 wurden verletzt. „Die Sicherheitskräfte haben sich unverhältnismäßig verhalten“, kritisiert Waddani-Sprecher Mohamud Adan Jama. Khadija Mousa, Programmkoordinatorin des somaliländischen Menschenrechtszentrums (HRC), hat bei erneuten Protesten am 13. November außerdem 63 willkürliche Festnahmen dokumentiert. „In den vergangenen zwei Jahren hat das immer mehr zugenommen“, kritisiert sie. Die Festgenommenen würden weder erfahren, warum sie festgehalten werden, noch würden sie einem Haftrichter vorgeführt. Ende November wurde sogar ein Journalist nach einer Reihe von Facebook-Posts bezüglich mutmaßlicher Verwicklungen des Präsidenten in das Khat-Drogengeschäft festgenommen, schreibt HRC. Jede Form des Ungehorsams würde gleich als Regierungskritik verstanden werden.

Was die Lage verschärft, ist die von der Verfassung geregelte Notwendigkeit, Ende Dezember drei neue Parteien zuzulassen – ein einzigartiger Vorgang. Um eine Zersplitterung der politischen Landschaft zu verhindern, sind in Somaliland zeitgleich nur jeweils drei Parteien zugelassen. Welche, wird alle zehn Jahre neu entschieden – in wenigen Wochen ist der nächste Termin. Werden aber die neuen Parteilizenzen vor der Präsidentschaftswahl vergeben, könnte das Präsident Muse Bihi Abdi helfen, findet die Opposition.

Bei einer Präsidentschaftswahl würde Waddani-Kandidat Abdirahman Mohamed Abdullahi haushoch mit bis zu 70 Prozent der Stimmen gewinnen, behauptet Parteisprecher Mohamud Adan Jama. Schon bei den Parlamentswahlen vergangenes Jahr wurde Waddani stärkste Kraft.

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