Nach Geiselnahme des Halle-Attentäters: Keine Entwarnung

Der rechtsextreme Halle-Attentäter hatte zwei Geiseln in der JVA genommen, bevor er überwältigt wurde. Doch Gefahr geht nicht nur von solchen Taten aus.

Mauer und Tor der Justizvollzugasanstalt Burg bei Nacht

Ort der Geiselnahme: die JVA Burg gilt als modernstes Hochsicherheitsgefängnis in Sachsen-Anhalt Foto: Klaus Dietmar Gabbert/dpa

Vor ziemlich genau zwei Jahren wurde der rechtsextreme Attentäter von Halle zur Höchststrafe verurteilt: lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Das Urteil sollte den Betroffenen der Tat die Gewissheit geben: Dieser Mensch wird auf Lebzeiten zwar eine Gefahr darstellen, doch diese Gefahr ist für alle Zeiten hinter Gittern gebannt.

Diese Gewissheit bekam an diesem Dienstag erneut Risse. Am frühen Morgen wurde bekannt, dass es in der Justizvollzugsanstalt Burg in Sachsen-Anhalt eine Geiselnahme gegeben habe. Laut ersten Erkenntnissen habe eben dieser in Sicherheit verwahrte Attentäter gegen 21 Uhr zwei Mitarbeiter des Gefängnisses als Geiseln genommen und dazu gebracht, mehrere Türen zu öffnen. Sein Ziel war es, aus dem Gefängnis zu entkommen.

Der Täter soll jedoch von Justizbeamten überwältigt worden sein, die Geiseln seien frei und zumindest körperlich unversehrt. Heißt das Entwarnung?

Mitnichten. Auch wenn die Gefahr zunächst gebannt ist, bleiben Fragen: Wie konnte das passieren? Handelte der Attentäter tatsächlich, wie schon bei dem Attentat, mit einer selbstgebauten Schusswaffe? Und welche Konsequenzen wird die Geiselnahme haben?

Wenig Antworten

Eine Presskonferenz, die am Dienstag nach der Geiselnahme stattfand, gab kaum Antworten – sie warf eher neue Fragen auf. Das Landeskriminalamt ermittle nun, was genau geschehen sei, hieß es nur.

Die Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) sagte: „Ich bin betroffen zu sehen, dass der Gefangene seine Grundhaltung offenbar keineswegs geändert hat.“

Woher kommt diese Betroffenheit? Sie ist kaum zu verstehen, blickt man auf bisherige Versuche des Attentäters, seine antisemitische, rassistische, misogyne Grundhaltung zum Ausdruck zu bringen.

Überlebende traumatisiert

Zur Erinnerung: Der Attentäter hatte am 9. Oktober 2019, an Yom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, die Synagoge in Halle mit selbst gebauten Waffen zu stürmen versucht und sich dabei für Gleichgesinnte gefilmt. Als er nicht in die Synagoge gelangen konnte, erschoss er Jana L. auf der Straße vor der Synagoge auf niederträchtigste Weise. Mit seinem Auto fuhr der Attentäter weiter zum nahegelegenen Kiez-Döner – einem Ziel, das in sein rassistisches Weltbild passte. Im Laden tötete er Kevin S. Die Polizei vor dem Laden konnte den Attentäter nicht an der Flucht und dem Angriff auf weitere Personen hindern.

Bis er schließlich festgenommen werden konnte, hatte der Attentäter zwei Menschen erschossen, weitere verletzt und Dutzende traumatisiert.

Noch bevor der Prozess gegen ihn begann, unternahm er den ersten Fluchtversuch, damals noch aus der JVA Halle. Es gelang ihm, unbeobachtet einen über drei Meter hohen Zaun zu überwinden und fünf Minuten nach einem weiteren Ausgang zu suchen. Der Vorfall wurde vorerst nicht gemeldet. Personelle Konsequenzen sind nicht bekannt.

Gefahr für die Öffentlichkeiten

Im Oktober 2020, während der Attentäter den Überlebenden des Attentats im Gericht gegenübersaß, erhielt eine der Nebenklägerinnen antisemitische und misogyne Hassnachrichten auf Facebook und Instagram. Inzwischen konnte ermittelt werden, dass die Verfasserinnen mit dem Täter in Briefkontakt standen.

Im September 2021, kaum ein Jahr nach seiner Verurteilung, wurde bekannt, dass eine Polizistin vom Dezernat Dessau-Roßlau über Monate Liebesbriefe an ihn geschrieben hatte. Darin soll sie Sympathien für seine Tat ausgedrückt haben. Die Polizistin wurde suspendiert.

Im Oktober 2021 wurde der nächste Briefe abgefangen: Darin soll ein zweiter Brief versteckt gewesen sein mit einer Skizze zum Bombenbau für potenzielle Nachahmer:innen. Die Linke stellte damals im Rechtsausschuss des Justizministeriums die Frage nach der Gefahr für die Öffentlichkeit. Diese Frage wurde nicht geklärt.

Unversehrtheit verletzen

Wer den Täter einmal erlebt hat, mag ihn für impulsiv halten. So soll er sich auch in der JVA verhalten haben. Doch die Summe der Geschehnisse sollte vor allem klar machen, dass er ein klares Ziel hat: die Verletzung der Unversehrtheit von Menschen, die seinem rechtsextremen Weltbild nicht entsprechen.

Die Hoffnung, eben dieser Menschen, vor dem Täter sicher zu sein, wird mit jeder Tat auf ein Neues zerstört. Nicht nur durch den Täter selbst, sondern auch durch Sicherheitsbehörden, die all das immer wieder zulassen. Um das zu ändern, müssen alle Beteiligten begreifen, was Betroffene und Be­ob­ach­te­r*in­nen von rechtsextremen Gewalttaten seit jeher sagen: Die Gefahr liegt nicht nur in diesem einen Täter, sondern in einer Ideologie, die er lebt und befeuert.

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