Geschenke an Weihnachten?: Der Zauber mit der roten Schleife

Wer bekommt welches Geschenk? Ist alles rechtzeitig besorgt? Und brauchen wir den Kram eigentlich? Vier Geschichten über das Schenken und Beschenktwerden.

Ein verpacktes Geschenk mit roter Schleife

Manche mögen gar keine Geschenke, andere wiederum ganz viele Foto: Fo­to:­Im­a­go

All I Want for Christmas Is You

Peter Weissenburger

Schon klar, Geschenke sind mehr als Konsumwahnsinn, sie sollen Wertschätzung zum Anfassen sein. Und doch kann ich gar nicht genug beweinen, wie sehr es mir die besinnliche Vorweihnachtszeit zerschießt, sie besorgen zu müssen. Nicht irgendwelche Geschenke natürlich, sondern etwas Persönliches und Nützliches und natürlich Nachhaltiges. Wohlgemerkt für Menschen, die das ganze Jahr lang alles, was sie wirklich brauchen, einfach sofort im Internet bestellt haben. Hinzu kommt, dass wir in einer Welt des hochpersonalisierten Konsums und der extrem ausdifferenzierten Geschmäcker leben. X braucht ’ne Yogamatte, ja okay, aber welche Dicke, Farbe, Festigkeit und Stretchigkeit? Kautschuk oder Kork? Es ist ein Graus.

Viel grausiger aber noch als Weihnachtsgeschenke besorgen: Weihnachtsgeschenke bekommen. Von Menschen, die ich liebe und die sich größte Mühe gegeben haben, etwas Persönliches und Nützliches und natürlich Nachhaltiges zu besorgen. Heißt im besten Fall, dass ich ein Notizbuch bekomme (jeder weiß, dass ich was mit Schreiben mache), im schlimmsten Fall kriege ich eine Pflanze (die selten bis zum Frühling überlebt). Alles andere verkaufe ich auf Ebay, um mir von dem Geld etwas Ähnliches in der präferierten Dicke, Farbe und Festigkeit zu kaufen.

Es gibt gute Gründe, die Materialschlacht einfach mal sein zu lassen, dieses Jahr: das Klima sowieso; die Ausbeutung der Lager-Logistik-Liefer-Arbeiterklasse; die Tatsache, dass die Inflation eine soziale Schenkschere erzeugen wird – also Scham; dass es besonders großen Spendenbedarf im Nonprofit-Sektor gibt. Aber mir geht es einfach nur darum, meine Ruhe zu haben. An Weihnachten mit Menschen das Immaterielle feiern zu können, was uns verbindet:#AllIwantforChristmasisYou. In der Zeit, die wir shoppend verbringen, könnten wir telefonieren. Oder wenigstens auf eine Karte schreiben, was uns aneinander wichtig war in diesem Jahr. Das ist nämlich im Gegensatz zu Yogamatten etwas, von dem es Ende des Jahres oft zu wenig gibt: echte Wertschätzung.

Das beste Hauptgeschenk

Doris Akrap

Die Verabredung „Wir schenken uns dieses Jahr nichts“ mag die nachhaltigste Idee sein, seit es Weihnachtsgeschenke gibt. Sie zu treffen, muss man sich allerdings leisten können. Ich beispielsweise habe überhaupt gar nichts gegen Geschenke, nie gehabt, auch nicht zu Weihnachten. Sobald jemand besagte Verabredung ausspricht, wird mir eng ums Herz. Nicht, weil ich geschenkegeil wäre. Nicht, weil mich das protestantisch Magere an dieser Aussage stört (obwohl es das schon auch tut) oder ich aktivistischen Moralismus rieche, der hinter jedem Geschenk das 1,5-Grad-Ziel bedroht sieht. Beklemmung kriege ich wegen des ersten Schultags nach den Weihnachtsferien. Ja, mein letzter erster Schultag nach den Weihnachtsferien ist schon ziemlich lange her, aber er war stets schlimmer als mündliche Abiprüfung und Erstkommunion zusammen.

Ich hatte Angst vor der Frage, was ich zu Weihnachten bekommen hätte. Mit glänzenden Augen berichteten an besagtem Tag die Mit­schü­le­r*in­nen immer von all den tollen Dingen, die ihnen Opa, Oma, Onkel geschenkt hatten. Sehr schlimm wurde es, wenn Leh­re­r*in­nen den Unterricht mit der Frage begannen: „Na, seid ihr auch alle reichlich beschenkt worden?“ Die Einzige, die dann nicht voller Inbrunst „Jaaaaa“ rief, war ich. Ich rief zwar trotzdem leise „Ja“, aber nur, um nicht aufzufallen. Meine Eltern waren Arbeiter mit Weniggeldhintergrund und Oma, Opa, Onkel waren entweder tot oder lebten sehr weit weg.

Als reichlich ließ sich meine Geschenkeausbeute wahrlich nicht bezeichnen. Das Allerallerschlimmste aber war die Nachfrage: „Und was war dein Hauptgeschenk?“ Das, was ich geschenkt bekommen hatte, war für die anderen nur Nebengeschenk. Gemessen an den Geschenken der anderen, hatte ich nur eine Zwergenlandschaft vorzuweisen. Um dieser Schmach zu entkommen, erfand ich irgendwann Hauptgeschenke: einmal war es eine Platte von Jennifer Rush, ein anderes Mal eine Konzertkarte für Bruce Springsteen.

Eine Platte von Jennifer Rush schenkte ich ein paar Jahre später meinem Vater zu Weihnachten. Und Bruce Springsteen traf ich noch ein paar Jahre später an einer Frankfurter Hotelbar, wo er nach seiner Buchvorstellung Bier trank. Das war wie Hauptgeschenk kriegen.

Auf die Plätze, fertig, los

Carolina Schwarz

Unter vier Geschwistern wird etwas Alltägliches ja schnell zum Wettkampf. So auch beim Thema Weihnachtsgeschenke. Da meine Geschwister und ich alle erwachsen sind, geht es längst nicht mehr darum, wer das beste, teuerste oder größte Geschenk bekommt. Nein, es geht darum, wer als erstes alle Geschenke für die ganze Familie zusammenhat.

Dieses Jahr wurde der Wettbewerb besonders früh eingeleitet. Am Sonntag, dem 9. Oktober, ich saß gerade mit einem Kaffee in der Sonne, schrieb meine große Schwester in unsere Familien-Whatsapp-Gruppe: „Ich weiß schon, was ich euch allen zu Weihnachten schenke. Falls ihr meinen Ideen nicht traut, könnt ihr mir im Laufe der Woche noch Wünsche schicken. Am Wochenende ist Christmas Shopping.“ Ich begann zu schwitzen – und das nicht nur wegen 23 Grad im Schatten. Hatte ich doch erst zwei oder drei Ideen in meinem Kopf gesammelt.

Schuld an unserem unausgesprochenen Wettbewerb ist natürlich meine Mutter – Mütter sind ja grundsätzlich an allem schuld. Sie ist dieser Typ Mensch, der schon im August nach den Wünschen für meinen Freund fragt, damit sie beim Besuch im Oktober die Geschenke mitbringen kann für seinen Geburtstag im Dezember. Dieser Drang zum Vorplanen (und Sparen) ist auf uns übergegangen und hat sich noch verstärkt. Und ich muss sagen: Ich kann das nur empfehlen.

Was für andere Menschen eine lästige Beschäftigung in voll gestopften Geschäften ist, erledigen wir unter Adrenalin schon im Herbst. Die Weihnachtszeit bleibt dann frei für Glühwein, Plätzchen und andere Feiereien. Mein bisheriges Verfahren, im November sammeln und beim Black Friday zuschlagen, ist zwar noch immer Spartipp Nummer eins, aber den Wettkampf gewinne ich damit nicht mehr. Zum Glück ist nächstes Jahr ja wieder Weihnachten und ich kann mir neue Strategien überlegen. Gibt es eigentlich noch den Sommerschlussverkauf?

Konventionsfremder Gast

Volkan Ağar

Weihnachten finde ich schön. Und ich kann Weihnachten nicht ausstehen. Mein bis heute gespaltenes Verhältnis geht zurück auf den Umstand, dass meine nichtchristliche Familie kein Weihnachten feiert. Weil alle anderen Weihnachten feiern, fand ich die Feiertage gerade als Kind ziemlich fad. Es geht aber auch um Geschenke, mit denen damals alle anderen außer man selbst überhäuft wurden. Meine Geschwister und ich wurden immer auf die muslimischen Feiertage vertröstet, deren Ausbeute nicht annähernd so gut ausfiel wie die unserer christlich sozialisierten Mitschüler. Deren Heiligabend fantasierten wir auch auf Basis ihrer Erzählungen als Finalrunde der Kinderspielshow „Super Toy Club“: Die Gruppe mit den meisten Punkten darf hier am Ende mit einem Einkaufswagen ein Spielwarengeschäft leerräumen. Was ein Traum.

Aus kindlichem Stolz ließ ich mir jahrelang nichts anmerken. Aus diesem Stolz wurde irgendwann Wut über die Ungerechtigkeit. Dann passierte ein Wunder: Freundinnen und Freunde luden mich zu ihren Weihnachtsfeierlichkeiten ein. Mein Nachteil wurde so zum Privileg: Als konfessions- und konventionsfremder Gast wurde ich herzlich empfangen, großzügig bewirtet und beschenkt, ohne dass jemand von mir Geschenke oder die Erfüllung anderer mit den Festtagen verbundener Verpflichtungen erwartete. Dasitzen, nett sein und lächeln. Das war alles, was ich für die weihnachtlich-überschwängliche Zuneigung tun musste. Mit jeder Einladung weichte das ein bisschen weiter auf, was sich in jungen Jahren in mir verhärtet hatte.

Nach den ersten Erfahrungen des passiven Mitfeierns, bei denen ich mich noch auf meine Naivität berufen konnte, ließ ich mich nicht mehr in Verlegenheit bringen. Und kam so auch in den Geschmack des Schenkens. Mit allem, was dazugehört: leuchtende Augen, weil man es tatsächlich einmal geschafft hatte, jemandem eine Freude zu machen. Und mehr oder weniger gut gespielter Freude, weil man Menschen, die nicht die eigenen Eltern und Geschwister sind, dann doch manchmal falsch einschätzt. Aber was zählt, ist die gute Absicht, nicht wahr? Weil es eben um mehr geht als um das richtige Spielzeug, mag ich Weihnachten dann doch ein bisschen mehr, als ich es nicht ausstehen kann.

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