Hochschulen in der Energiekrise: Präsenzlehre? Nicht um jeden Preis

Um Energie zu sparen, schränkt die Uni Erfurt die Öffnungszeiten ein. Nun macht sie sogar für einige Wochen dicht. Studierende fühlen sich übergangen.

Eine verschlossene Tür

Der Eingang zum Hörsaal: verschlossen Foto: Martin Schutt/dpa

BERLIN taz | Der Beschluss der Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen sollte erst gar keinen Zweifel aufkommen lassen. Anfang September hielten sie fest, dass der Präsenzbetrieb an den Hochschulen „gerade nach den Erfahrungen aus der Pandemie unverhandelbar“ sei. Die reine Onlinelehre, die Isolation, der psychische Druck für die Studierenden – all das soll es nicht mehr geben. Deshalb habe es „oberste Priorität“, dass die Hochschulen offenblieben – auch wenn sich die Energiekrise weiter zuspitzen sollte.

Selbst im Falle eines Energieengpasses werden die Hochschulen weiter versorgt, versprechen die Mi­nis­te­r:in­nen. Das hat ihnen die Bundesnetzagentur zugesagt. Im Gegenzug sollen die Hochschulen jedoch Energie einsparen. 15 bis 20 Prozent sind – je nach Bundesland und Uni – das Ziel. Dass das nicht allein mit runtergedrehter Heizung und neuen Energiesparlampen zu schaffen ist, wird nun deutlich. Viele Hochschulen schließen jetzt doch ihre Türen – zumindest vorübergehend.

So wie die Universität Erfurt. Ab nächster Woche bleiben dort sämtliche Gebäude geschlossen und öffnen erst Mitte Januar wieder. Ähnlich wie auch die Hochschulen in Trier oder Koblenz, die Universität des Saarlandes oder die TU Berlin um Weihnachten für mehrere Wochen alles dicht machen. Fallen in der Zeit Seminare oder andere Veranstaltungen an, sollen sie Online stattfinden. Zwar lassen die Hochschulen teils einzelne Arbeitsräume offen und beheizt. Wer aber beispielsweise Bücher aus der Bibliothek ausleihen oder das ganze Wochenende dort lernen möchte, hat Pech gehabt. „Es ist ein Rückschlag, dass es uns nach den Coronasemestern jetzt wieder trifft“, sagt die AStA-Vorsitzende der Hochschule Trier.

Studierende überdurchschnittlich stark von Armut gefährdet

Fast noch mehr als die „erweiterte Weihnachtspause“, wie die Uni Erfurt die Maßnahme nennt, stören die dortigen Studierenden die bereits geltenden Einschränkungen: Im September hatte das Präsidium beschlossen, die Öffnungszeiten der Bibliotheken zu verkürzen. Drei Monate lang, zwischen Oktober und Neujahr, sollten sie bereits um 20 Uhr schließen und an Wochenenden überhaupt nicht mehr öffnen. Auch andere Unis wie in Düsseldorf oder Bielefeld haben die Öffnungszeiten ihrer Bibliotheken eingeschränkt.

Wir werden wieder vergessen“, ärgern sich Lea und Inya. Die beiden Studentinnen der Uni Erfurt haben schon vor Wochen eine Petition gegen die Energiesparpläne ihrer Universität gestartet. Darin fordern sie, dass die Uni nicht einfach die hohen Energiekosten auf Studierende abwälzen kann. Gegenüber der taz begründen sie: „Wir haben eine enorme Inflation, die Energiekosten explodieren. Wir haben existenzielle Ängste.“

Tatsächlich trifft die Krise Studierende besonders hart. Mitte November erst erklärte das Statistische Bundesamt, dass im vergangenen Jahr 75 Prozent der Studierenden, die nicht bei den Eltern leben, von Armut bedroht waren. Die Einmalzahlung über 200 Euro, die die Bundesregierung Anfang 2023 allen Studierenden auszahlen möchte, reicht nach Ansicht der Betroffenen nicht aus. „Wir reden nicht davon, dass ich mir meinen dritten Kaffee in der Woche nicht leisten kann, sondern dass ich meine Jahresendabrechnung Anfang des nächsten Jahres nicht bezahlen kann“, beschreiben die Erfurter Studierenden Lea und Inya die Situation. Die Stimmung an der Uni gleiche einem Pulverfass.

Hochschulen rechnen mit Verdopplung der Energiekosten

Auch Gina Meier, Stura-Vorsitzende in Erfurt, kritisiert die Entscheidungen des Unipräsidiums. Unter anderem weil diese ohne den Stura gefällt worden seien, wie sie betont. Erst im Nachgang und auf Eigeninitiative der Studierenden wurden diese in den neugebildeten Energiekrisenstab aufgenommen. „Doch an den Entscheidungen war nicht mehr zu rütteln“, so Meier. Vergessen scheinen die Worte, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier während der Pandemie an die Studierenden richtete: „Jetzt ist es umgekehrt auch an uns, den Älteren, Solidarität mit Ihnen zu zeigen! Die Gesellschaft darf nicht darüber hinwegsehen, wie die junge Generation aus dieser Jahrhundertkrise hervorgeht.“ Doch sieht Solidarität so aus?

Carmen Voigt, Pressesprecherin der Uni Erfurt, rechtfertigt die Maßnahmen mit der Forderung der Bundesregierung, dass öffentliche Einrichtungen signifikant Energie einsparen sollen. Für die Hochschulen ist besonders wichtig zu wissen, wer die hohen Strom- und Heizkosten übernimmt. Zwar profitieren die Hochschulen von der Dezembersoforthilfe des Bundes. Diese Zuschüsse können aber höchstens einen Teil der horrenden Energiekosten abdecken. So geht beispielsweise die TU Berlin davon aus, im kommenden Jahr 90 bis 140 Millionen Euro für Strom, Gas und Fernwärme berappen zu müssen. Bisher lagen die Kosten dafür nach eigenen Angaben bei 24 Millionen Euro pro Jahr. An der Uni Erfurt rechnet man 2023 mit einer Verdopplung der Energiekosten gegenüber 2021.

Manche Bundesländer wie Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein haben ihren Hochschulen aus diesem Grund ein Sondervermögen in Aussicht gestellt – doch längst nicht alle. Der Sprecher der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Christoph Hilgert, fordert deshalb dringend Hilfe von Bund und Ländern. „Auf die guten Worte, dass sie trotz Energiepreiskrise geöffnet bleiben sollen, müssen nun weitere politische Taten folgen, die das sicherstellen“, so Hilgert. Auch GEW-Vorsitzender Andreas Keller forderte jüngst: „Nach vier Semestern mit pandemiebedingten Einschränkungen müssen die Hochschulen im Winter warm und offen bleiben.“

Studierende machen auf sich aufmerksam – Mit Erfolg!

Doch am Ende zahlen wohl die Hochschulen die Rechnung. Ob und welche Unterstützung die Unis neben den Dezembersoforthilfen erhalten, ist vielerorts noch unklar, auch in Erfurt. Aus dem Thüringer Wissenschaftsministerium heißt es, die Hochschulen seien im Sondervermögen des Landes vorgesehen, sofern sie ihre Bedarfe konkret beziffern. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) verweist auf taz-Anfrage auf die Strom- und Gaspreisbremse, die Hochschulen „für das gesamte Jahr 2023 und bis ins Frühjahr 2024 vor starken Preisanstiegen“ schützen sollen. Für die energieintensive Forschung sei ein Härtefallfonds über 500 Millionen Euro geplant.

Dabei sind sich alle Beteiligten einig, dass die Energiekrise nicht zulasten der Studierenden gehen soll. „Es bringt volkswirtschaftlich nichts, die Unigebäude zu schließen und Kosten zu sparen, die Studierende zu Hause aufbringen müssten“, sagt etwa die Berliner Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne). Damit die Hochschulen offenbleiben können, müsse der Bund mehr zahlen.

Oder die Studierenden mehr protestieren. Am Dienstag besetzten Studierende an der LMU München einen Hörsaal und in Erfurt vergangene Woche bereits die Bibliothek. Daraufhin ging das Erfurter Uni-Präsidium auf die Studierenden zu. Die Bibliothek soll nun doch wieder am Wochenende öffnen, von 13 bis 18 Uhr. Die Onlinelehre aber bleibt. Vorerst.

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