Verschärftes Jugendstrafrecht in Polen: Piotr, Adam und der Justizminister

Polens Regierung jagt mit neuen Strafrechtsverschärfungen vielen Eltern Angst um ihre Kinder ein. Beobachtungen in einem Kiosk in Warschau.

Ein Mann in Unifrom, ein Mann im Anzug: polnischer Gefängnischef und polnischer Justizminister Ziobro

Justizminister Ziobro (re.), hier mit dem Chef der Gefängnisse in Polen, hat das Strafrecht verschärft Foto: Artur Widak/NurPhoto/imago

WARSCHAU taz | “Härtere Strafen für Verbrecher!“ – als Wahlkampfslogan war das im demokratischen Polen fast schon ein Garant für die Wiederwahl eines Justizministers. Denn nach der Überwindung des kommunistischen Polizeistaates 1989, der auch noch die Todesstrafe kannte, erschien vielen Polen das neue Strafgesetzbuch viel zu lax.

Doch an der Stellschraube lässt sich nicht endlos drehen. Nachdem jetzt Justizminister Zbigniew Ziobro das Strafrecht noch einmal verschärft hat und so selbst 14-Jährige nicht mehr unter das Jugendstrafrecht fallen und mit bis zu 40 Jahren Gefängnis bestraft werden können, ist in Warschau die Stimmung gekippt. Am meisten Angst haben Eltern um ihre Kinder.

Piotr und sein Vater Adam – beide heißen in Wirklichkeit anders – kommen oft in den Kiosk an der Warschauer Metrostation Pole Mokotowskie, in dem auch die taz-Korrespondentin regelmäßig ihre Zeitungen kauft.

Der zehnjährige Viertklässler liebt den Stand mit Comics und Spielsachen. Er stürzt sofort darauf zu, während sein Vater einige Waffenmagazine durchblättert. Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine interessiert er sich für Waffen aller Art. Piotr zupft an seiner Jacke. Der Junge hat schon etwas gefunden – ein WM-Fußball-Sammelalbum mit einigen Tütchen Bildern. Adam dreht sich um, sieht den Preis – umgerechnet über 12 Euro – und schüttelt den Kopf: „Zu teuer!“ bescheidet er seinem Sohn. „Such dir was anderes aus!“

In 60 Sekunden macht sich fast der ganze Kiosk strafbar

Piotr mault ein bisschen, aber der Vater bleibt unerbittlich. Als er zahlen will, reicht ihm Piotr ein Billig-Comic, dreht sich aber schon Richtung Ausgang. Doch die Kioskfrau hat in den Spiegel an der Decke geschaut, läuft Piotr hinterher und zieht das Fußball-Sammelalbum unter seinem roten Anorak hervor. „Hab ich es doch gewusst! Du bist ein Dieb!“, ruft sie und zückt bereits das Handy: „Ich rufe jetzt die Polizei!“

Dann schließt sie die Kiosktür zu und ruft zwei weiteren Kunden zu: „Sie sind Zeugen!“ Adam ist entsetzt: „Tun Sie das nicht! Bitte! Ich zahle das Heft auch. Wenn Sie wollen, auch den doppelten Preis. Aber zeigen Sie meinen Sohn nicht an. Er kommt dann ins Heim, wer weiß, vielleicht sogar in den Knast.“

Der Zwei-Meter-Mann ist verzweifelt, legt alles Geld auf die Theke, das er im Portemonnaie hat. „Bitte tun Sie das nicht! Sie ruinieren unsere ganze Familie!“ Dann schreit er Piotr an: „Komm sofort hierher. Entschuldige Dich! Wie kannst Du nur so etwas tun? Du bringst uns alle ins Gefängnis!“

Der Junge ist wachsbleich im Gesicht, geht langsam auf seinen Vater und die Kioskbesitzerin zu, druckst kaum hörbar heraus: „Das wollte ich nicht!“ Ein älterer Mann, der seinen Lottoschein am Tisch in der Mitte des Kiosks ausfüllt, richtet sich auf und sagt in scharfem Ton: „Sie machen sich hier gerade alle schuldig. Der Junge ist ein Dieb.“ Dann deutet er auf den Vater: „Sie versuchen Strafvereitelung zu begehen und bestechen zu diesem Zweck die Kioskfrau. Das kann Sie drei bis fünf Jahre Gefängnis kosten.“

Dann deutet er auf die Kioskfrau: „Und Sie denken anscheinend darüber nach, die Bestechung anzunehmen und die Polizei nicht anzurufen. Das kann Sie nach dem neuen Strafgesetzbuch bis zu zehn Jahre Haft kosten. Dazu kommt noch Geiselnahme. Denn Sie haben diese Dame hier und mich im Kiosk eingeschlossen. Das sind noch mal mindestens zehn Jahre!“

Die alte Dame in langem Mantel und dunkelgrünem Hut mischt sich ein: „Jetzt aber mal halblang! Hier geht gar niemand ins Gefängnis. Ich erinnere mich noch gut an den Kommunismus. Da hatten wir auch ständig Angst vor Polizei und Gefängnis.“ Sie geht an den hohen Tisch in der Mitte des Kiosks, nimmt einen Stift und schreibt etwas auf einen Zettel. „Hier“, sagt sie und wendet sich an den Vater: „Das ist die Adresse der ukrainischen Schule hier im Viertel. Da gehen Sie jetzt mit Ihrem Sohn hin und geben das Album der Schuldirektorin als Spende.“

Dann nickt sie der Kioskbesitzerin freundlich zu: „Jetzt schließen Sie hier wieder auf, und dann ist alles gut.“

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