Alternativer Nobelpreis für Cecosesola: Sicherheit durch Gemeinschaft

Regional Wirtschaften, nicht renditeorientiert und demokratisch: Der Kooperativenverbund Cecosesola in Venezuela wird ausgezeichnet.

Portrait von Matilde Jimenez

Matilde Jimenez, Kaffeeproduzentin, Teil der Kooperative Cecosesola Foto: Fabricio Ernesto M. González/Right Livelihood Foundation/dpa

BERLIN taz | Niemand hat das alleinige Sagen, bei den Jobs rotiert man, die Arbeiten werden gleichberechtigt unter den Geschlechtern verteilt: „Wir vermeiden jede Struktur, dann kann sich jeder besser entfalten.“ So beschreibt Mitgründer Gustavo Salas die Organisation innerhalb des venezolanischen Kooperativenverbundes Cecosesola.

Eine Handvoll Ver­tre­te­r*in­nen des Zusammenschlusses sind nach Stockholm gereist, um an diesem Mittwoch dort den Right Livelihood Award entgegenzunehmen, der auch als „Alternativer Nobelpreis“ gilt. Die im vergangenen Jahr tödlich verunglückte deutsche Commons-Forscherin Silke Helfrich hatte Cecosesola mehrfach für die Ehrung vorgeschlagen. Sie hielt den Verbund für ein herausragendes Beispiel einer Art des Wirtschaftens, die sich an der Logik von menschlichen Bedürfnissen ausrichtet und nicht an der Logik von Verwertung und Gewinn.

Zu Cecosesola gehören rund 30 Betriebe und Organisationen mit zusammen etwa 23.000 Mitgliedern. Sie sorgen dafür, dass auch viele arme Menschen in der Hauptstadt des Bundesstaates Lara Zugang zu allem Notwendigen haben: Die Kooperativen beliefern und betreiben mehrere Wochenmärkte in der Großstadt Barquisimeto und verkaufen dort gutes Gemüse zu einem günstigen Einheitspreis pro Kilo an mehrere Hunderttausend Menschen. Auch ein Gesundheitszentrum inklusive Krankenhaus, eine Sparkasse, ein Transportbetrieb, ein Möbelladen und ein Beerdigungsinstitut gehören dazu.

Aber auch nach innen ist der Verbund besonders: Jährlich halten die 1.200 hauptamtlichen Cooperativistas mehr als 3.000 kleine und große Treffen ab und entscheiden dabei im Konsens. Alle erhalten einen Einheitslohn. Ausnahme: die Ärzt*innen. Doch auch ein Radiologe berichtet, dass er öfters auf dem Markt an der Kasse steht oder in der Küche aushilft, wenn jemand gebraucht wird. Die Priorität bei Cecosesola bestehe darin, Raum für Gemeinsames zu schaffen.

Begegnung hilft

So fokussiert sich beispielsweise das gut ausgestattete Gesundheitszentrum nicht allein auf die Leiden der Kranken, die Wartebereiche sind auch Begegnungsräume. Explizites Ziel ist es, dass die Pa­ti­en­t*in­nen miteinander ins Gespräch kommen.

Portrait von Eduardo Torrealba

Eduardo Torrealba, landwirtschaftlicher Produzent, Teil der Kooperative Cecosesola Foto: Fabricio Ernesto M. González/Right Livelihood Foundation/dpa

Gegründet wurde Cecosesola 1967. „Der Compañero einer Kooperative war gestorben. Wir mussten eine Lösung finden“, berichtet Carmen Perozo, die heute in dem Beerdigungsinstitut arbeitet, das zum Ausgangspunkt des Netzwerks wurde. Um auch für arme Familien ein würdiges Begräbnis zu möglichen, entwickelten die In­itia­to­r*in­nen ein Versicherungssystem für inzwischen 184.000 Menschen. Und während viele kommerzielle Anbieter in den vergangenen Jahren wegen Materialmangels schließen mussten, fand Cecosesola neue Wege: In einer großen Halle werden die Särge aus Recyclingholz gebaut und schön verziert, weiße Papierschlangen von ausgedienten Kassenrollen dienen als weiche Unterlage für die Toten.

Das Nahrungsangebot in den Markthallen wiederum ist vielfältig und regional. „Früher konnten wir wegen des Drucks durch die Zwischenhändler kaum überleben“, sagt Bio-Bauer Adan Garcia. Cecosesola verkauft das Gemüse heute direkt an die Kundschaft und löste damit das Problem – und zugleich sind die Preise auch für die Kun­d*in­nen niedriger als in normalen Läden. Entsprechend groß ist der Andrang jeden Morgen.

„Ein großer Lernprozess“

Gute Lebensmittel zu erzeugen, ist auch das Anliegen der Frauen-Kooperative 8. März, die außerhalb der Hauptstadt vegetarische Vollwertnudeln, Müsli und Maniok-Mehl herstellt. Am Anfang von vielen Männern belächelt, ist es den Frauen gelungen, einen modernen Betrieb aufzubauen. „Das hier ist ein großer Lernprozess. Wir lernen zu teilen, gemeinschaftlich zu denken, lernen die Bedürfnisse der anderen zu respektieren wie die eigenen“, fasst eine der Beteiligten ihre Erfahrung zusammen.

Die verstorbene Commons-Expertin Helfrich fand entscheidend, dass es bei Cecosesola immer auch um den Aufbau und den Erhalt von Beziehungen geht, die auf Vertrauen, gegenseitige Hilfe, Solidarität und Gerechtigkeit fußen. So gelingt es den Cooperativistas, vielen Menschen durch den gemeinschaftlichen Zusammenhalt und eine Kultur des Respekts Sicherheit zu geben.

Zugleich ist das Ganze ein fortlaufender Bildungs- und Erfahrungsprozess und tief in der lokalen Ökonomie verwurzelt, begründete Helfrich den Vorschlag für den Alternativen Nobelpreis.

Portrait von Lizeth Carolina Vargas Cambero

Lizeth Carolina Vargas Cambero von der Central de Cooperativas de Lara (Cecosesola) Foto: Fabricio Ernesto M. González/Right Livelihood Foundation/dpa

Hinter dem Preis, der jedes Jahr einen Tag vor den offiziellen Nobelpreisen verliehen wird, steht die Right Livelihood Award Foundation, die der schwedisch-deutsche Philanthrop und Umweltaktivist Jakob von Uexküll 1980 gründete. Neben Cecosesola geht der Preis 2023 an Organisationen aus der Ukraine und Uganda sowie an Fartuun Adan und ihre Tochter aus Somalia, die sich in ihrem Land, das von Terrorismus und geschlechsspezifischer Gewalt geprägt ist, für Entmilitarisierung einsetzen.

Transparenzhinweis: Die Zitate der Cooperativistas stammen aus dem Dokumentarfilm „Alle bestimmen mit: Gelebte Utopie im Krisenland Venezuela.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.