Asyldrama in Hamburg: Gefährliche Abschiebung bei Nacht

19-Jähriger flüchtete vor Ausländerbehörde aus Fenster im 5. Stock und fiel in die Tiefe. Der Afghane sollte nach Kroatien, nun ist er in der Klinik.

Ein Flugzeug fliegt in den grauen Wolkenhimmel

Per Flieger zurück auf die Fluchtroute – das löste wohl Angst aus Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

HAMBURG taz | Einen gefährlichen Ausgang nahm der Versuch einer Abschiebung in der Nacht zu Donnerstag in der Erstaufnahme in der Poststraße in Hamburg-Harburg. Ein 19-Jähriger hatte versucht, sich mit zusammengeknoteten Bettlaken aus seinem Zimmer im 5. Stock des roten Backsteinbaus abzuseilen, als um 2.45 Uhr Mitarbeiter des Amtes für Migration und zur Unterstützung hinzugezogene Polizisten vor seiner Tür standen.

Dabei war der junge Afghane über die letzte Distanz gesprungen und verletzte sich schwer, wie ein Sprecher der Polizei am Freitag bestätigte.

Laut einem Bericht des Hamburger Abendblatts, das mit beteiligten Beamten sprach, standen diese zunächst vor der verbarrikadierten Zimmertür und hörten von innen noch Geräusche, bevor es still wurde. Schließlich wurden die geknoteten Laken entdeckt, die am Fenster hingen. Ein Wachmann soll dann von Außen gesehen haben, wie ein Mann in die Tiefe stürzt.

Die Polizisten entdeckten den Heranwachsenden dann auf einem Vordach des Gebäudes. Er sei ansprechbar gewesen, so das Blatt, habe aber über Schmerzen am ganzen Körper geklagt, woraufhin er per Rettungswagen ins Krankenhaus kam.

„Dublin“-Abschiebung nach Kroatien

Nach Auskunft von Matthias Krum, Hamburger Sprecher des Amtes für Migration, sollte der junge Mann nach den Regeln des „Dublin“-Verfahrens nach Kroatien abgeschoben werden. Er sei im April von dem Balkan-Land in die Bundesrepublik eingereist, hätte aber dort schon einen Asylantrag gestellt gehabt. Gefragt, warum die Abschiebung nachts stattfand, erklärt Krum, dies habe organisatorische Gründe. Weil die Überführung mit dem Flugzeug über Frankfurt am Main geplant war, müsse man solche Maßnahmen „frühzeitig beginnen“.

Nächtliche Abschiebungen sind sehr umstritten. Die Rot-Rot-Grüne Regierung in Berlin zum Beispiel hatte in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart darauf zu verzichten. Dennoch wird dies auch dort noch in jedem sechsten Fall praktiziert, wie die taz jüngst berichtete.

„Nächtliche Abschiebungen sind in Hamburg die Regel“, sagt Moritz Reinbach, „Abschiebebeobachter“ der Hamburger Diakonie. Das liege daran, dass die meisten Flüge sehr früh am Morgen starten. Daneben ginge es den Behörden auch darum, Aufmerksamkeit zu vermeiden und der Betroffenen habhaft zu werden. Idealerweise, so Reinbach, sollte darauf verzichtet werden, „besonders bei Familien mit Kindern und kranken Menschen“.

Laut einer Anfrage der Linken-Politikerin Carola Ensslen wurden im dritten Quartal dieses Jahres 68 Menschen aus Hamburg abgeschoben und 29 Menschen nach der „Dublin“-Verordnung in ein anderes Land überstellt, über das sie zuerst nach Europa eingereist waren. Darunter waren acht junge Menschen im Alter von 18 bis 23 Jahren. Wären sie einen Tag unter 18, dürften nicht abgeschoben werden. „Es ist brutal, dass die Dublin-Regel für junge Volljährige voll gilt“, sagt Ensslen.

Grüne wünschen gute Besserung

Sie hält es für wahrscheinlich, dass der junge Afghane bei der Flucht über die Balkan-Route in Kroation schlechte Erfahrungen machte und große Angst vor der Rückführung hat. „Und die nächtlichen Abschiebungen sind brutal“, sagt Ensslen. „Ich bin jedes Mal erschüttert, wenn die Menschen nachts aus ihrem Bett gerissen und mitgenommen werden“. Da gebe es andere Lösungen.

„Dem jungen Mann ist zunächst mal rasche Genesung zu wünschen“, sagt Michael Gwosdz von der in Hamburg mitregierenden Grünen-Fraktion. „Für uns ist Abschiebung ‚ultima ratio‘ und nächtliche Abschiebungen wollen die Behörden in Hamburg eigentlich auch vermeiden“, so der flüchtlingspolitische Sprecher. Das Problem seien aber eben die frühen Abflugzeiten. „Es ist die Frage, ob es besser ist, wenn der Betroffene über Nacht in Abschiebehaft kommt“.

Zudem würde bei besagten „Dublin“-Fällen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entscheiden, so dass Hamburg keinen Spielraum habe. „Aber ich halte das ganze ‚Dublin‘-System für reformbedürftig“, sagt der Grüne Migrationsexperte. „Es ist absurd, Leute zwischen europäischen Ländern hin- und her zu schieben“, sagt Gwosdz. „Besser wäre, sie können an einem Ort eine Aufenthaltsperspektive entwickeln“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.