Freie Fahrt fürs Fahrrad: Utopie bei Schietwetter

Oldenburg testet eine Ampelanlage, die Fahrräder bei Regen bevorzugt behandelt. Das mag Symbolpolitik sein – aber auch extrem sinnvolle Feldforschung.

Radfahrerin in heftigem Regen

Es mag ja ungemütlich aussehen, aber in Oldenburg bekommt sie bei dem Wetter immerhin schneller grün Foto: Bernd Thissen/dpa

Eine Ampel, die automatisch grün wird, wenn ein Fahrrad kommt: Natürlich ist das eine gute Nachricht. Selbst wenn es die nur an einer einzigen Oldenburger Kreuzung gibt, und sie zudem nur bei Regen funktioniert. Das war nämlich die Idee des kürzlich gestarteten Pilotprojekts: Rad­fah­re­r:in­nen bei Schietwetter nicht gleichberechtigt mit bedachten Autos durchregnen zu lassen, sondern sie fix durchzuwinken – weil sie eben nasser werden und der Straßenverkehr bei schlechter Sicht und Pfützen auch nicht gerade ungefährlicher ist.

Technisch ist das Projekt recht aufwändig. Wärmesensoren im Boden registrieren biologische Ver­kehrs­teil­neh­me­r:in­nen bereits 50 Meter vor der Ampel, eine weitere Wärmebildkamera behält die Einmündung im Blick, während die Anlage in Echtzeit Wetterdaten ausliest, um auch pünktlich in den Regenmodus umzuschalten.

Bevor nun aber wer vor Freude gleich das Auto abschafft, wäre Folgendes noch zu bedenken: Die Oldenburger Kreuzung von Quellenweg und Uhlhornsweg ist schon ein bisschen ab vom Schuss, weit entfernt jedenfalls von der innerstädtischen Kampfzone. Außerdem haben Autos hier ohnehin nicht viel zu melden, weil knapp 200 Meter weiter der Unicampus beginnt, wo zwei Zebrastreifen zwischen Hörsaalzentrum, Mensa und Bibliothek ganz ohne Ampel zeigen, wo die Blechhaufen hingehören: in die Warteschlange nämlich, bis die Vorlesungen anfangen und die Straße frei wird.

Die ist Idee ist gut und die Welt bereit

Trotzdem: Die Idee ist gut und Fahrräder gibt es hier aufgrund der Uni auch zur genüge. Wirklich aufregend an der Geschichte ist aber wohl die seltene Eintracht von Symbolpolitik und Feldforschung. Denn wenn es hier geht, warum nicht auch woanders? Und so traurig das auch sein mag, wäre ja bereits der Perspektivwechsel weg vom Auto einen goldenen Sattelschoner wert.

Kein Zufall ist übrigens, dass ausgerechnet Oldenburg diesen Vorstoß wagt. Hier rühmt man sich seit jeher (und inzwischen zu Recht) seiner Fahrradfreundlichkeit, die immer auch mit offenen Augen in die Nachbarschaft guckt. Studierende fahren sogar mit dem Semesterticket zum Graskaufen in die Niederlande, wo die Regenampel herkommt.

Im vergangenen Jahr ist Oldenburgs Zertifikat als fahrradfreundliche Kommune verlängert worden: wegen Radschnellwegen, die nicht nur innerstädtische Hotspots verbinden, sondern bis weit ins Umland führen. Auch werden bereits seit den 1990er-Jahren kontinuierlich Kreuzungen umgestaltet, Radwege nicht nur ausgewiesen, sondern sogar gepflegt, viele Abstellplätze geschaffen, die niedersächsische Förderung von Lastenrädern kommunal zusätzlich aufgestockt, und so weiter und so fort.

Kurz gesagt: Die öffentlichkeitswirksam grüngeschaltete Regenampel ist kein reiner PR-Stunt, sondern darf durchaus als Ausdruck ernsthafter Bemühungen um die Verkehrswende gelten. Das wäre nach der symbolpolitischen Feldforschung schon die nächste Zweisamkeit mit Seltenheitswert: dass hier nämlich guter Wille und Expertise zusammenkommen.

Und wer weiß, vielleicht begreifen ja wenigstens einzelne Au­to­fah­re­r:in­nen im Sprühregen vor der plötzlich roten Ampel, wie irre der Normalbetrieb eigentlich ist. Oder dass es so dramatisch gar nicht ist, wenn es wenigstens ausnahmsweise mal nicht nur um sie und ihr ungehindertes Durchrauschen geht. Aber da wird’s vielleicht doch endgültig zu utopisch.

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Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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