Blockaden der Letzten Generation: Da bleibt was kleben

Die Letzte Generation blockiert erneut Straßen – trotz aller Versuche, den Protest zu kriminalisieren. Die Gruppe könnte sich am Ende durchsetzen.

Polizist*innen tragen eine Aktivistin der Letzten Generation weg

Aktivistin ist weg, doch bleibt das Tempolimit kleben? Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Sie kleben wieder. Die Ak­ti­vis­t:in­nen der Gruppe Letzte Generation haben ihre Ankündigung wahr gemacht und am Montag ihre Proteste nach einer Unterbrechung vergangene Woche fortgesetzt. Nach eigenen Angaben blockierten Ak­ti­vis­t:in­nen Kreuzungen an der Invalidenstraße, an der Potsdamer Straße und am Halleschen Ufer. Unterbrochen hatte die Gruppe ihre Aktionen, um der Bundesregierung die Chance zu geben, die Forderungen zu erfüllen: das 9-Euro-Ticket fort- und ein Tempolimit einzuführen. Auch in München blockierte die Gruppe eine Straße am Karlsplatz.

Dass die Letzte Generation wieder auf der Straße ist, zeigt: Die Strategie der Law-and-Order-Parteien, den Protest der Ak­ti­vis­t:in­nen durch Einschüchterung zu ersticken, ist dabei zu scheitern. „Weder Hundertschaften der Polizei noch Gefängnisstrafen werden uns daran hindern, mit immer mehr Menschen immer wieder zu kommen“, ließ Aimée van Baalen, Sprecherin der Gruppe, in einer Mitteilung zu der Blockade in München verlauten.

Derweil läuft das politische Projekt, die Aktionen der Gruppe zu kriminalisieren, auf Hochtouren. Nach taz-Informationen hat die Innenverwaltung von SPD-Senatorin Iris Spranger die Feuerwehr bereits im Juli angewiesen, immer zu erfassen, wenn es bei Einsätzen zu Behinderungen im Zusammenhang mit Klimaaktivisten kommt. Brisant: Eine solche Erfassung gibt es ausschließlich für Klimaaktivist:innen. Verzögert sich ein Einsatz aus anderen Gründen, etwa wegen falsch geparkter Autos oder Großveranstaltungen, wird das in der Lagemeldung nicht erfasst. Das zeigt eine Anfrage des grünen Innenexperten Vasili Franco, die der taz vorliegt. Zuerst hatte der Tagesspiegel darüber berichtet.

Spranger im Alleingang

Laut Franco habe sich der Eindruck erhärtet, dass die Innenverwaltung „gezielt das Feindbild Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen schüren möchte“, wie er der taz sagte. Die Feuerwehr würde für politische Zwecke instrumentalisiert. Zudem kritisierte Franco Innensenatorin Spranger, die vergangene Woche auf der Innenministerkonferenz dem Plan zustimmte, ein Lagebild zur bundesweiten Organisation der Letzten Generation erstellen zu lassen, möglicherweise, um die Gruppe später als kriminelle Organisation einstufen zu können.

Das sei ein weiterer „Alleingang“ Sprangers gewesen, der mit der Koalition nicht abgesprochen worden sei. „Es scheint, als hole sich die Innensenatorin lieber Schützenhilfe von der CDU, als ihre Politik gemeinsam mit der Koalition zu beraten“, so Franco.

Von der Letzten Generation heißt es derweil, man erlebe eine große Welle der Solidarität und einen stetigen Zulauf von Aktivist:innen. In ihrem nur einjährigen Bestehen sei die Gruppe von 20 auf mehrere hundert Ak­ti­vis­t:in­nen gewachsen. Regelmäßig hält die Gruppe Vorträge, lädt Neumitglieder zu Treffen ein, klärt über ihre Vorhaben auf. Diese Strategie trägt nun offenbar Früchte.

Und die Taktik könnte aufgehen, die Gruppe sich am Ende tatsächlich durchsetzen. Die durch die Blockaden ausgelöste gesellschaftliche Debatte ist inzwischen so ausufernd geworden, dass eine politische Antwort auf die Aktionen dringend notwendig geworden ist. Scheitern aber die Einschüchterungs- und Repressionsversuche – welche Lösung, außer Nachgeben, gäbe es noch?

Ins Herz der Autoobsession

Zu verdanken hat diese Zuspitzung des Konflikts die Gruppe vor allem sich selbst. Die gewählte Aktionsform der Straßenblockaden hat ins Herz der deutschen Autoobsession getroffen. Keine anderen Aktionen, nicht einmal die gefürchtete Zerstörung von fossiler Infrastruktur, hätte wohl im Autoland Deutschland eine vergleichbare Aufmerksamkeit erzielt.

Zur Erinnerung: Im Frühjahr hat die Gruppe wiederholt Ölpipelines zugedreht – gejuckt hat das fast niemanden. Aber in den Straßenverkehr einzugreifen, wo man in Deutschland den letzten Hort der Freiheit vermutet, damit konnte die Klimakrise nach der pandemiebedingten Krisenmüdigkeit zurück in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geholt werden.

Den Berufsverkehr zu stören war auch deshalb eine schlaue Aktionsform, weil sie ins Bewusstsein zieht, was sonst verdrängt wird: Die Klimakrise wird nicht nur – wenn auch im großen Stil – von der Großindustrie und den Superreichen befeuert, sondern auch durch den Lebensstil von uns allen im Globalen Norden. Im globalen Maßstab gehört die deutsche Bevölkerung (noch) zu den Profiteuren der Zerstörung. Die Normalität des alltäglichen Autofahrens gehört dazu. Sie zu stören ist richtig – genau davon zeugen die Abwehrreflexe, von den verbalen Entgleisungen der Po­li­ti­ke­r:in­nen bis zu den Handgreiflichkeiten auf der Straße.

Spitze der Absurdität

Die strategischen Entscheidungen der Letzten Generation haben eine Krise entfacht, die ganz einfach zu lösen wäre: Stets hat die Gruppe gelobt, ihre Aktionen vorerst zu beenden, wenn ihre Forderungen erfüllt werden. Womöglich würde bereits die Einführung eines Tempolimits dafür reichen. Alles, was es dazu bräuchte, wären einige mutige Po­li­ti­ke­r:in­nen bei den Grünen, die dieses wieder auf die Agenda der Bundesregierung setzen.

Dass es dazu (noch) nicht kommt, liegt vor allem daran, dass die Politik Angst hat, als erpressbar wahrgenommen zu werden. Dabei gibt es für Tempolimit und 9-Euro-Ticket stabile demokratische Mehrheiten. SPD und Grüne waren in den Ampel-Koalitionsverhandlungen für ein Limit – nur die FDP hat blockiert.

Darüber hinaus ist Klimaschutz ein verfassungsrechtlicher Auftrag, dessen mangelnde Ausführung erst 2021 vom Bundesverfassungsgericht bescheinigt wurde. Ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern wäre die einfachste und naheliegendste Maßnahme, den Anforderungen des Gerichts gerecht zu werden.

Das Gerede von der Erpressbarkeit ist deshalb die Spitze der Absurdität: Die Po­li­ti­ke­r:in­nen würden nur etwas tun, was sie ohnehin wollen – und wozu sie sogar höchstrichterlich verpflichtet sind. Stattdessen machen sie weiter business as usual, was konkret heißt: Politik im Interesse der Auto- und Kohleindustrie, also gegen die Interessen der Bevölkerung, dass nämlich die eigenen Lebensgrundlagen erhalten werden. Man kann sagen: Ein bisschen Erpressbarkeit würde diesem Staat sehr guttun.

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