Protokolle zur Weltklimakonferenz: „Mir ist so ein Gipfel zu blöd“

Für manche ist der Klimagipfel in Ägypten die große Chance, das System zu verbessern. Für andere ist das Treffen nur eine Übergangskonferenz.

Eine Hand, in deren Innenflächen das Wort "Pay" aufgemalt wurde, ist vor einer Weltkugel zu sehen

Protest gegen Industrieländer: „Pay“ Foto: Peter Dejong/ap

Sabine Minninger: Eine Überlebensfrage für arme Staaten

„Ich bin als zivilgesellschaftliche Beobachterin vor Ort auf dem Weltklimagipfel. Das ist ­wichtig, denn ein Teil der Verhandlungen findet auf den Fluren oder hinter verschlossenen Türen statt. Nur wenn ich mit am Verhandlungstisch sitze, kann ich das Geschehen auch wirklich beobachten und beeinflussen. Ich erhoffe mir, dass hier in Scharm al-Scheich eine Entscheidung gefällt wird, wie, wann und in welchem Ausmaß die Industriestaaten Verantwortung für die klimabedingten Schäden übernehmen, die sie im Globalen Süden anrichten. Für die ärmsten Staaten ist finanzielle Unterstützung bei der Klimakrise eine Überlebensfrage.“

Sabine Minninger ist Referentin für Klima­politik beim evangelischen Hilfswerk Brot für die Welt.

Tadzio Müller: Der Gipfel der Blödheit

„Ich bin auch dieses Jahr wieder nicht bei der Klimakonferenz dabei, obwohl mir sehr viel an Klimagerechtigkeit liegt. Wenn ich eine Grafik der globalen Treibhausgasemissionen zeichne, sehe ich, dass die Klimakonferenzen überhaupt keinen Effekt auf die Emissionen haben. Die einzige Variable, welche die Emissionskurve beeinflusst, ist die globale Wirtschaft. Wächst sie, steigt die Kurve an, schrumpft sie, fällt die Kurve ab.

Dann gibt es noch das Argument, dass Klimakonferenzen Orte sind, an denen die Länder des Globalen Südens die berechtigte Frage der Klimareparationen diskutieren können. Das stimmt. Aber was ist der Nutzen davon, etwas auf die Agenda zu setzen, wenn es trotzdem nicht passiert? Vor 13 Jahren wurden in Kopenhagen 100 Milliarden US-Dollar jährlich versprochen. Freundlich gerechnet sind wir gerade in den unteren Zwanzigern. Für eine Klimakonferenz ist mir meine Zeit zu wichtig und so ein Gipfel zu blöd.“

Tadzio Müller ist Klima- und LGBT-Aktivist und hat unter anderem die Bewegung „Ende Gelände“ mit aufgebaut.

Vanessa Nakate: „Das System für alle verbessern“

„Meine Erwartungen an diese Klimakonferenz im ägyptischen Scharm al-Scheich sind, dass unsere Staats- und Regierungschefs sich verpflichten, nicht mehr in fossile Brennstoffe zu investieren. Und dass sie endlich einen gerechten Übergang zu erneuerbaren Energien unterstützen. Gleichzeitig sollen sie die Energiearmut in den Ländern Afrikas und im Globalen Süden bekämpfen. Wir brauchen außerdem eine solide Finanzierung für Verluste und Schäden, die die Klimakrise verursacht. Der Grund: Diese passieren genau jetzt. Wenn wir AktivistInnen weiter gemeinsam mobilisieren, habe ich die Hoffnung, dass die Macht der vielen das System verändern wird. Dies wird für uns alle die Zukunft verbessern.“

Vanessa Nakate , 26 Jahre, ugandische Aktivistin, ist eines der weltweit bekanntesten Gesichter von Fridays for Future.

Wahid: „Ägypten ist ein autoritärer Staat“

„Ich bin ein Aktivist aus Ägypten und Mitglied der Gruppe OccupyCOP27, die sich für die Freilassung politischer Gefangener in Ägypten einsetzt. Wir möchten uns mit der Klimabewegung in Europa vernetzen, damit wir die Kämpfe für ökologische und soziale Gerechtigkeit verknüpfen können. Ich bin trotzdem nicht auf dem Weltklimagipfel. Die ägyptischen Behörden haben sehr restriktiv gehandhabt, wer dabei sein darf und wer nicht. Ägypten ist ein autoritärer Staat. Das sollte zumindest für ältere Menschen in Deutschland nicht schwer zu verstehen sein, denn ein totalitäres Regime kennen sie aus der Zeit des Nationalsozialismus oder der DDR. Einige der ägyptischen Behörden, die die Bürger ausspionieren, wurden sogar früher von der DDR ausgebildet.“

Wahid heißt nicht wirklich so. Er möchte wegen des rigiden Umgangs der ägyptischen Regierung mit ihren Kri­ti­ke­r:in­nen anonym bleiben. Laut Menschenrechtsorganisationen gibt es in Ägypten rund 60.000 politische Gefangene.

Katrin Ganswindt: Lobby gegen Lobby

„Ich bin auf der Klimakonferenz in Ägypten, weil ich hier mit den Menschen, die die Finanzentscheidungen treffen, direkt sprechen kann. Heute ist der Climate Finance Day. Es finden verschiedene Veranstaltungen zum Thema Klimafinanzierung statt, zu denen ich gehe, um kritische Fragen zu stellen. Auf der Konferenz treten wir als Fossil Free Finance Kampagne auf. Das ist ein Netzwerk verschiedener Nichtregierungsorganisationen, die dafür kämpfen, dass kein Geld mehr in Kohle, Öl und Gas fließt. Es gibt nämlich eine Menge Geld, das in die Expansion besagter Industrien gesteckt wird. Denn neben uns lobbyieren hier auch die großen Finanzinstitute und die fossile Industrie.“

Katrin Ganswindt ist zuständig für Kohle- und Divestment-Kampagnen bei der NGO Urgewald e. V.

Tasneem Essop: Klimagerechtigkeit sicherstellen

„Mein Name ist Tasneem Essop. Ich bin die Direktorin des Climate Action Network. Das ist ein Dachverband von über 1900 Nichtregierungsorganisation, die an der Bewältigung der Klimakrise arbeiten. Ich bin auf der Klimakonferenz in Ägypten, um sicherzustellen, dass die Verhandlungen den am meisten gefährdeten Menschen und Gemeinschaften auf der Welt zugutekommen. Denn diese leiden unter den Auswirkungen des Klimawandels, obwohl sie am wenigsten für die Klimakrise verantwortlich sind. Ich bin hier, um sicherzustellen, dass Klimagerechtigkeit hergestellt wird.“

Tasneem Essop ist die Direktorin des Dachverbandes von Klima-NGO's Climate Action Network.

Stefan Aykut: Nur eine Übergangskonferenz

„Ich war letztes Jahr auf der Klimakonferenz in Glasgow und im Jahr davor in Madrid, um dort die Unternehmen, Städte-Netzwerke und sozialen Bewegungen zu untersuchen. Das waren beides sehr zentrale Klimagipfel. Einerseits sollten die Staaten 2020 neue Klimapläne vorlegen, andererseits wurde der institutionelle Rahmen von Paris dort noch verhandelt. Es gibt so eine Logik bei Klimakonferenzen, dass nach einem großen Klimagipfel eine Übergangskonferenz folgt. So wie ich das sehe, ist das in Ägypten jetzt der Fall.

Die Themen, die dieses Jahr auf der Agenda stehen, sind trotzdem wichtige: Klimaschäden und Klimafinanzierung. Aber dafür sind andere Menschen die Expert*innen. Dadurch, dass die Frage der Umsetzung wichtiger wird, gibt es auch andere Foren und Orte, wie etwa die G7, die wir in den Blick nehmen müssen.“

Stefan Aykut ist Juniorprofessor für Soziologe an der Universität Hamburg und forscht zu globaler Klimapolitik.

Orieny Japheth: „Stimmen der Jugend Afrikas stärken“

„Ich komme aus einem Dorf in den ariden und semi-ariden Gebieten des Landkreises Kisumu in Kenia. Als ich aufwuchs, hatte der lokale Fluss Awach so viel Kraft, dass er ganze Mangobäume entwurzelte. Heutzutage hat meine Gemeinde in der Trockenzeit mit chronischem Wassermangel zu kämpfen.

Ich bin mit der Afrika-Jugendkarawane zur Weltklimakonferenz gefahren. Zuvor nahm ich an der Jugendklimakonferenz teil. Ich bin hier, um die Stimmen der afrikanischen Jugendlichen und die unglaubliche Arbeit, die sie leisten, um sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen, zu stärken. Auf der Konferenz überreichen wir eine Erklärung mit Schlüsselbotschaften der afrikanischen Jugend, wie etwa die Forderung einer gerechten Energiewende, an die Präsidentschaft.“

Orieny Japheth ist Aktivist beim Umweltaktionsnetzwerk Kenia und bei Youth4Nature.

Shilo Shiv Suleman: „fühlt sich an wie eine Handelsmesse“

„Ich bin mit meinem Kunstkollektiv Fearless Collective auf der Klimakonferenz. Wir malen ein Wandbild, gemeinsam mit Indigenen, Frauen aus dem globalen Süden und jungen Ak­ti­vis­t:in­nen. Deren Stimmen möchten wir mit unserer Kunst verstärken. Für mich fühlt sich die Klimakonferenz ein bisschen wie eine Handelsmesse an. Hier sind viele Geschäftsleute und Technokraten unterwegs, die versuchen, technische und finanzielle Lösungen für die Klimakrise zu finden. Eine der interessanteren Debatten ist die über Klimaschaden­ersatz. Im Kern geht es darum, dass die Situation, in der wir uns global befinden, keine Folge der letzten paar Jahre ist, sondern die Folge von 400 Jahren Kolonisation und Ressourcenraub.“

Shilo Shiv Suleman ist leitende Künstlerin des Fearless Collective.

Dorothee Hildebrandt: „Ich halte nichts vom Herfliegen“

„Ich bin mit dem Fahrrad von Schweden bis zur Klimakonferenz in Ägypten gefahren, weil wir endlich den Klimawandel aufhalten müssen.Ich halte nichts davon, dass die meisten Leute hierher geflogen sind. Natürlich können nicht alle Leute herradeln, aber fliegen ist mit das Schlimmste, was man machen kann. Die Konferenz könnte ja auch online stattfinden.

Ich hoffe, dass ich dadurch, dass ich hier bin und viel Aufmerksamkeit bekommen habe, etwas verändern kann, aber ich bin ja nur eine von vielen. Bevor ich losgefahren bin, hatte ich keine Hoffnung, überhaupt auf die Konferenz zu kommen. Aber der ägyptische Präsident ist einen Teil der Strecke mit mir geradelt und als Dank habe ich eine Akkreditierung bekommen.“

Dorothee Hildebrandt ist Teil von „Grandmas for Future“ in Schweden.

Jefferson Estela: „Wir brauchen endlich Sicherheit“

„Die Weltklimakonferenz in Ägypten ist mein zweiter Klimagipfel. Ich bin Klimaaktivist, Geschichtenerzähler und Community-Organisator. Auf dem Gipfel bin ich als Delegierter der Jugendkoalition Loss and Damage, die sich für Maßnahmen zur Bewältigung der Verluste und Schäden einsetzt, die durch den Klimawandel entstehen. Vor Ort verfolge ich deshalb die Verhandlungen zum Thema Klimaschadenersatz. Die meisten Organisationen hier beschäftigen sich damit. Alle, die dabei sind, haben große Erwartungen. Dass die Klimakonferenz in Ägypten stattfindet, verstärkt den Druck, über Klimaschadenersatz an den Globalen Süden sprechen zu müssen.

Auf den Philippinen erholen wir uns noch von dem letzten Taifun, der uns vor Kurzem erwischt hat. Wir brauchen endlich die Sicherheit, dass der Globale Norden für die Verluste und Schäden aufkommt, die die Klimakrise bei uns anrichtet. Die Gelder werden benötigt, um bei der nächsten Katastrophe besser vorbereitet zu sein. Denn diese wird es unweigerlich geben. Klimafinanzierung muss in einem Umfang und in einer Geschwindigkeit bereitgestellt werden, die unseren Bedarf deckt. Von der Klimakonferenz erwarte ich auch, dass die Länder das Signal senden, dass sie ernsthaft an der Umsetzung ihrer Klimavorhaben arbeiten.“

Jefferson Estela ist Delegierter der Jugendkoalition Loss and Damage, die sich für Maßnahmen zur Bewältigung der Verluste und Schäden einsetzt, die durch den Klimawandel entstehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.