Menschenhandel in Berlin: Frauen und Kinder als Handelsware

Kinder und Jugendliche werden immer häufiger Opfer von Menschenhandel. Die Betroffenen kommen aus allen sozialen Schichten und Kulturen.

Eine Teilnehmerin des weltweiten «Walk For Freedom», einem Schweigemarsch gegen Menschenhandel, hält bei bei der Abschlussversammlung nahe dem Kurfürstendamm ein Plakat mit der Aufschrift «Abolish slavery with each step» (Sklaverei abschaffen mit jedem Schritt).

Beim jährlichen „Walk of Freedom“ gehen weltweit Menschen gegen moderne Sklaverei auf die Straße Foto: Christoph Soeder/dpa

BERLIN taz | Blessing ist 13 Jahre alt als sie zum ersten Mal zur Prostitution gezwungen wird. Ein Bekannter hatte dem jungen Mädchen aus Nigeria eine Ausbildung in Europa versprochen, doch als sie dort ankommt, soll sie als Pros­tituierte arbeiten. Sie weigert sich, woraufhin sie von mehreren Männern vergewaltigt wird. Ganz alleine in einem fremden Land, dessen Sprache sie nicht spricht, ohne Pass, ist sie ihren Peinigern ausgeliefert. Sie tut, was von ihr verlangt wird und geht anschaffen, zuerst in Belgien, später in Deutschland. Wenn sie zu wenig verdient, wird sie geschlagen.

Zwei Jahre später wird sie in Berlin bei einer Razzia festgenommen. Aus Angst vor den Tätern und einem angeblichen Voodoofluch schweigt die 15-Jährige gegenüber den Behörden über das, was ihr widerfahren ist. Erst in der Beratungsstelle für Betroffene von Menschenhandel offenbart sie sich und sagt einige Monate später gegen die Täter aus.

Fälle wie der von Blessing sind in der Hauptstadt kein Einzelfall, sagt Margarete Muresan bei einem Pressegespräch am Donnerstag. Seit zwölf Jahren arbeitet sie in der Beratungsstelle des katholischen Verbands für Mädchen- und Frauen-Sozialarbeit In Via. Hier finden Betroffene von moderner Sklaverei in Berlin seit 25 Jahren Unterstützung. Seit 2010 bieten sie auch in Brandenburg aufsuchende Sozialarbeit für Sex­ar­bei­te­r*in­nen in der Grenzregion zu Polen an.

Rund 5.000 Frauen* aus über 30 Ländern haben sie seitdem beraten. Das Ziel sei dabei aber nicht der Ausstieg aus der Prostitution, betont Muresan. „Wir wollen unterstützen und aufklären und nicht bevormunden. Die Frauen entscheiden selbst, welche Hilfe sie brauchen.“

80 Fälle von Menschenhandel in Berlin

Menschenhandel ist eine schwere Menschenrechtsverletzung, bei der eine Person unter Ausnutzung ihrer Zwangslage in eine Ausbeutungssituation gebracht wird. Das kann Zwangsprostitution sein, aber auch erzwungener Handel mit Drogen, unfreiwillige Organentnahme, Diebstahl oder Bettelei.

Fast 50 Millionen Frauen, Männer und Kinder leben Menschenrechtlern zufolge in Sklaverei. Neue Formen von Sklaverei gebe es „fast überall auf der Welt“, erklärte die Gesellschaft für bedrohte Völker anlässlich des Internationalen Tages zur Abschaffung der Sklaverei am 2. Dezember. Die Opfer erleiden Zwangsarbeit, sexualisierte Ausbeutung und Organdiebstahl. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nimmt moderne Sklaverei zu. 2021 befanden sich demnach zehn Millionen Menschen mehr in moderner Sklaverei als in den Schätzungen von 2016. (epd)

Davon sind laut Ex­per­t*in­nen auch immer mehr Minderjährige betroffen. In Berlin gab es im vergangenen Jahr laut Muresan 80 Fälle von Menschenhandel – darunter 30 Minderjährige. Und das sind nur die Fälle, die zur Anzeige gebracht wurden, die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.

Die Betroffenen kommen aus allen sozialen Schichten und Kulturen. „Wir waren anfangs überrascht, dass auch viele Deutsche von Menschenhandel betroffen sind“, sagt die Leiterin der Beratungsstelle Astrid Gude.

Eine Methode der sexuellen Ausbeutung ist hierzulande etwa die „Loverboy-Masche“. Margarete Muresan erzählt von einem Fall aus ihrer Beratung: Ein 16-jähriges Mädchen aus guten Verhältnissen lernt in den sozialen Medien einen 20-jährigen Mann kennen. Sie chatten, treffen sich, er führt sie schick aus und sie fangen eine Beziehung an. „Am Anfang ist alles schön, sie ist verliebt“, sagt Muresan.

Aus Scham und Angst verzichten Opfer oft auf eine Anzeige

Dann fangen die Probleme an. Der junge Mann sagt, er sei in finanziellen Schwierigkeiten, sie könne ihm helfen, indem sie etwas dazu verdiene. Er überredet sie, anschaffen zu gehen, als „Ausnahme“, um schnell an Geld zu kommen. Doch das Geld reicht nicht, es reicht nie und die Ausnahme wird zur Regel.

„Am Schluss hatte sie bis zu 20 Freier am Wochenende“, erzählt die Sozialarbeiterin. Das Mädchen wird geschlagen, das Geld wird ihr abgenommen, doch erst, als sie erfährt, dass sie nicht die einzige ist, schafft sie es, sich von dem Mann zu lösen und sich Unterstützung zu holen.

Viele tun das nicht. Aus Scham, aber auch, weil sie mit kompromittierenden Fotos erpresst werden oder die Täter drohen, zur Polizei zu gehen. „Viele wissen nicht, dass sie Opfer von Menschenhandel sind und denken, ich habe das ja freiwillig gemacht oder sehen sich gar als Täterin“, sagt Muresan.

Doch das Bewusstsein für das Problem steigt. Als infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Tausende Frauen und Mädchen nach Berlin flüchteten, war die Sorge vor Menschenhandel groß. Bislang liegen die Zahlen in Berlin laut Muresan jedoch im „niedrigen einstelligen Bereich“.

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