Af­gha­n*in­nen in Drittstaaten: Enttäuschung Aufnahmeprogramm

Das Aufnahmeprogramm für gefährdete Af­gha­n*in­nen schließt in Nachbarländer geflohene Jour­na­lis­t*in­nen aus. Das kritisiert Reporter ohne Grenzen.

Personen laufen in Kabul über eine Straße, eine Frau mit Kind ist verschleiert

„Das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan richtet sich an Afghan*innen, die sich weiterhin in Afghanistan befinden“, heißt es aus dem Auswärtigem Amt Foto: Ali Khara/reuters

BERLIN taz | Als am 17. Oktober der Start des Bundesaufnahmeprogramms für gefährdete Af­gha­n*in­nen groß angekündigt wurde, waren die Erwartungen hoch. Doch für Hel­fe­r*in­nen und Betroffene hat das vorgestellte Programm eine Enttäuschung parat. So sollen nur Menschen aufgenommen werden, die sich noch in Afghanistan befinden. Dabei befinden sich viele gefährdete Af­gha­n*in­nen unter schwierigsten Bedingungen in Nachbarländern.

Fatima Z. (Name von der Redaktion geändert) ist eine von ihnen. Sie hält seit einer persönlichen Begegnung in Kabul im März 2021 Kontakt per Whatsapp zur Autorin des Artikels – aktuell mit vielen Pausen, da sie von den Internetblockaden des iranischen Regimes betroffen ist. Die 26-Jährige ist Journalistin, hat im vergangenen Jahr an der Universität Kabul graduiert, kurz bevor die Taliban die Macht an sich rissen.

Bereits während ihrer Studienzeit hatte Fatima Z. begonnen, für Lokalmedien zu arbeiten. Als junge Frau, die in den Medien tätig ist und die obendrein der Volksgruppe der Hazara und der islamischen Strömung der Shia angehört, ist sie von der Talibanherrschaft gleich mehrfach bedroht. „Ich konnte nicht im Land bleiben“, sagt sie. Daher habe sie alles versucht, um ins sichere Ausland zu gelangen.

Da Fatima Z. von überall nur gesagt bekam, dass ihr zeitnah nicht geholfen werden könne, musste eine Zwischenlösung her. „Meine Kontakte haben gesagt, ich soll in ein Nachbarland gehen“, schildert sie. Das sei ihre einzige Chance gewesen, in ein sicheres Land zu kommen, denn Botschaften gerade von europäischen Ländern seien in Afghanistan derzeit allesamt geschlossen.

Keine sicheren Länder, besonders für Frauen

Doch es war nicht einfach, überhaupt ein Visum zu bekommen. „Ich habe es zuerst mit Pakistan versucht, aber eine Ablehnung erhalten“, schildert Fatima Z. Schließlich habe sie eine Möglichkeit gefunden, legal nach Iran zu gelangen: Sie konnte ein mehrmonatiges Visum ergattern. Seit etwa einem halben Jahr lebt sie nun dort, auf sich allein gestellt. Ihre Geschwister und Eltern sind in Afghanistan geblieben. Mit Gelegenheitsjobs hält sie sich über Wasser. „Es ist schlimm hier“, sagt sie, „beide Länder – Afghanistan und Iran – sind keine sicheren Orte zum Leben, insbesondere nicht für Frauen. In beiden Ländern gibt es Gewalt, Menschen- und Grundrechte gelten hier nicht.“

Fatima Z., Journalistin

„Ich will doch einfach nur ein normales freies Leben leben – in Sicherheit“

Obendrein würden Geflüchtete aus Afghanistan schlecht behandelt. „Jemand verspricht mir 50 Dollar für meine Arbeit, und dann bekomme ich sie einfach nicht“, benennt Fatima Z. ein Beispiel. So habe sie gerade genug, um zu überleben. „Ich will doch einfach nur ein normales freies Leben leben – in Sicherheit“, schließt sie.

Per Autoübersetzung verfolgt Z. auch deutschsprachige Medien, hat früh davon gehört, dass gefährdeten Frauen und Jour­na­lis­t*in­nen geholfen werden soll mit einem Bundesaufnahmeprogramm. Als es Mitte Oktober verkündet wurde, auch in afghanischen (Online-)Medien, war ihre Freude groß. Den Hinweis darauf, dass sie von dem Programm ausgeschlossen sei, da sie sich in einem Drittland aufhalte, kommentiert sie lediglich schockiert mit „omg“ („Oh mein Gott“).

Auch Katja Heinemann, die für Reporter ohne Grenzen das Nothilfeteam leitet, zeigt sich fassungslos über die Entscheidung der verantwortlichen Ministerien, nur Af­gha­n*in­nen zum Aufnahmeprogramm zuzulassen, die sich noch im Land aufhalten. „Gerade hochgradig gefährdete Menschen haben – insofern sie die Möglichkeit dazu hatten – Hals über Kopf das Land verlassen“, schildert sie.

Allein sie und ihr Team stünden mit mehr als 100 nachweislich gefährdeten Jour­na­lis­t*in­nen in Kontakt, die sich derzeit in Pakistan aufhielten. Nachweislich deshalb, da Reporter ohne Grenzen Menschen, die sich bei ihnen als gefährdet melden, überprüft. „Einen Presseausweis zu besorgen, den man in Afghanistan auch einfach kaufen kann, reicht eben nicht aus, um von uns als gefährdet gelistet zu werden“, betont Heinemann. Die Recherche und Prüfung von Menschenrechtsverletzungen im Journalismuskontext sei ihr Beruf.

Nicht mal eine Übergangsfrist wurde eingeräumt

Seit mehr als einem Jahr müssten sie die auf eine Ausreisemöglichkeit nach Deutschland wartenden Jour­na­lis­t*in­nen nun bereits vertrösten, seit mehr als einem Jahr erreichten sie deren verzweifelte Whatsappnachrichten, berichtet Heinemann. Und jetzt müssten sie eben diesen Menschen sagen, dass sie von dem Programm ausgeschlossen seien. „Das bringt unser Nothilfeteam an seine Grenzen“, sagt sie. Auch die vermeintlich feministische Außenpolitik der neuen Bundesregierung vermisst Heinemann hier. „Zu denen, die das Land sofort verlassen haben, zählen mehrheitlich Frauen“, konstatiert sie. „Das heißt, wir versperren ausgerechnet ihnen jetzt den Zugang.“

Der Beschluss, dass Gefährdete, die sich in Drittländern aufhielten, ausgeschlossen würden, sei kurz vor der Ankündigung des Aufnahmeprogramms getroffen worden, so Heinemann. Als Organisation, die in den beratenden Gesprächen zum Programm im Austausch mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesinnenministerium, den zuständigen Ministerien, gestanden habe, hätten sie immer wieder angemahnt, dass ein Einschluss von Menschen in Drittländern wichtig sei. Doch ohne Erfolg: „Nicht einmal eine Übergangsfrist wurde eingeräumt.“

Auch Christian Lüder von Berlin hilft, der regelmäßig über den Stand der Dinge in Sachen Asylrecht und humanitäre Aufnahmen berichtet, findet deutliche Worte: „Der Ausschluss von Menschen, die bereits nach Pakistan oder Iran geflohen sind, ist letztlich eine zynische Täuschung durch den Bund, denn der hat seit 14 Monaten dazu aufgefordert, Afghanistan zu verlassen, weil man nur nach der Ausreise helfen könne.“ Nun erweise sich das als Falle für die, die es geschafft hätten. Dabei verweist er darauf, dass die deutschen Botschaften in Pakistan und Iran die Aufgaben der Botschaft in Kabul übernommen haben.

Das Bundesinnenministerium antwortet auf die Anfrage nicht, wie es zur Entscheidung des Drittlandausschlusses gekommen ist und wie die Sicherheit für afghanische Menschen – speziell Frauen und Jour­na­lis­t*in­nen – in Iran eingeschätzt werde. Aus dem Auswärtigen Amt folgt ebenfalls keine konkrete Antwort auf die Fragen. Es heißt lediglich: „Das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan richtet sich an Afghan*innen, die sich weiterhin in Afghanistan befinden und somit konkreter Bedrohung und Gefahr ausgesetzt sind.“ Für Af­gha­n*in­nen in Erstaufnahmeländern stimme sich die Bundesregierung „derzeit über die Möglichkeit, diese über das deutsche Resettlement-Programm aufzunehmen, ab“.

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