Kompromiss beim Bürgergeld: Kein Problem für Karlsruhe

Der Verzicht auf die teilweise sanktionsfreie Vertrauenszeit beim Bürgergeld ist mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vereinbar.

Arbeitsminister Heil bei einem Pressebesuch.

Arbeitsminister Heil bei einem Besuch im Jobcenter Berlin-Lichtenberg Foto: Christian Spicker/imago

FREIBURG taz | Eins vorab: Die sogenannte Vertrauenszeit war eine sozialpolitische Entscheidung der Ampelkoalition, keine Vorgabe aus Karlsruhe. Wenn es also um Hart-IV-Sanktionen geht, sind stets zwei Typen von Pflichtverletzungen zu unterscheiden. Bei der Verletzung von Meldepflichten verpasst die Leistungs­empfänger:in einen Termin im Jobcenter. In der Praxis sind das rund 75 Prozent der Fälle. Die öffentliche Diskussion konzentriert sich aber meist auf die Verletzung von Mitwirkungspflichten, weil hier die Sanktionen drastischer sind. Eine Mitwirkungspflicht ist etwa die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, einer Aus- oder Fortbildung.

Bis 2019 wurde bei einem Meldeversäumnis das Arbeitslosengeld 2 um 10 Prozent gekürzt. Bei der Verletzung einer Mitwirkungspflicht waren die Sanktionen gestaffelt. Beim ersten Mal wurde die Leistung um 30 Prozent gekürzt, beim zweiten Mal um 60 Prozent, anschließend wurde die Leistung total gestrichen. Die Sanktion galt jeweils für drei Monate.

Daran gab es Kritik. Der Staat müsste das menschenwürdige Existenzminimum immer sichern, deshalb sei eine Kürzung dieser Leistungen auch bei einem Pflichtverstoß nicht möglich.

Das Bundesverfassungsgericht sah dies im November 2019 aber anders. Der Staat könnte von Hilfsbedürftigen durchaus verlangen, dass sie an der Überwindung ihrer Hilfsbedürftigkeit mitwirken. Entsprechende Aktivitäten könnten auch mit Sanktionen durchgesetzt werden, so die Richter:innen. Allerdings sei hier die Prüfung der Verhältnismäßigkeit besonders streng, weil es um Eingriffe ins Existenzminimum geht.

3 Vorgaben

Daraus leitete das Bundesverfassungsgericht drei Vorgaben für den Gesetzgeber ab, die auch beim Bürgergeld zu beachten sind: Erstens ist die Kürzung der Leistungen um 60 Prozent oder die Totalstreichung unzulässig, es sei denn, Forschungsergebnisse belegen die Erforderlichkeit (was bisher nicht der Fall ist). Zweitens muss es bei der Kürzung der Leistung um 30 Prozent Ausnahmen für Härtefälle (etwa psychisch Kranke) geben. Und drittens muss das Geld sofort wieder bezahlt werden, wenn der/die Arbeitslose der Pflicht doch noch nachkommt oder glaubhaft versichert, dazu bereit zu sein.

Karlsruhe verlangte vom Bundestag nicht, das Gesetz bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu ändern. Vielmehr machte das Bundesverfassungsgericht seine Vorgaben mit sofortiger Wirkung zu einer gesetzlichen Übergangsregelung. Diese Übergangsregelung galt bis zum 1. Juli 2022.

Seitdem gilt ein einjähriges Moratorium, das der Bundestag für Sanktionen wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten beschlossen hat. Bei Meldeversäumnissen sind Sanktionen aber möglich, allerdings erst ab dem zweiten Verstoß.

Im Bürgergeldkonzept der Ampel waren ab 1. Januar auch wieder Sanktionen für die Verletzung von Mitwirkungspflichten vorgesehen, aber erst nach einer „Vertrauenszeit“ von einem halben Jahr. In diesen sechs Monaten sollte es nur bei wiederholten Meldeversäumnissen Leistungskürzungen von 10 Prozent geben.

Diese Vertrauenszeit wurde im Kompromiss von Ampel und CDU/CSU nun auf Betreiben der Union jedoch gestrichen. Bei Verletzungen der Mitwirkungspflichten soll es nun schon ab dem ersten Tag des Bürgergeldbezugs Sanktionen geben, allerdings gestaffelt: beim ersten Verstoß 10 Prozent Kürzung für einen Monat, beim zweiten Verstoß 20 Prozent Kürzung für zwei Monate und für weitere Verstöße 30 Prozent Kürzung für drei Monate.

Es dürfte bei diesem Kompromiss also keine Probleme mit Karlsruhe geben, da die Sanktionen maximal 30 Prozent betragen und sie nach Erfüllung der Pflicht enden und es auch eine Härtefallregelung gibt.

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